Was Salzburg plant. Und können wir uns Oper noch leisten?

September 1, 2024
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Macbeth bei den Salzburger Festspielen soll wieder aufgenommen werden (Foto: SBF, Uhlig)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

und willkommen in der neuen Klassik-Spielzeit! Über die Sommerferien war BackstageClassical natürlich mit täglichen Meldungen, Reportagen, Podcasts und Interviews aus der Welt der klassischen Musik aktiv – jetzt geht es auch mit dem Newsletter am Montag wieder los. Ich freue mich auf eine spannende Saison! Heute blicken wir zurück und voraus auf die großen Festspiele, haben es mit einigen Skandalen zu tun und mit neuen Blicken auf Clara Schumann und Anton Bruckner. Ach ja, und nach den Wahlen gestern in Sachsen und Thüringen – hier noch ein Artikel aus dem Archiv zur Kulturpolitik der AfD.

Salzburg 2025 ohne Mozart und Strauss?

Wenn man tief in den Bauch der Salzburger Festspiele hineinhorcht, ist das Erstaunen einiger Mitarbeiter groß: Plant Markus Hinterhäuser für die kommende Saison tatsächlich einen Sommer ohne Mozart und Strauss-Opern? Von Maria Stuarda ist die Rede, von Erwartung, von Eötvös‘ Drei Schwestern und von Giulio Caesare – außerdem hört man, dass Philippe Jordan die Wiederaufnahme von Macbeth leiten soll. Und dann ist da noch von einer Carmen die Rede, mit (Achtung!) Cecilia Bartoli  – in der nachfolgenden Saison soll diese Oper dann wohl auch szenisch mit Asmik Grigorian kommen. Ach ja, und Teodor Currentzis kehrt angeblich mit Castor et Pollux zurück. Zum Thema der Russland-Beziehungen der Festspiele hat in der Sommerpause der Dirigent Martin Haselböck einen klugen Aufsatz geschrieben:  »Die grosse russische Kultur verdient auch heute unsere Beachtung und Unterstützung«, schreibt er mit Blick auf die aktuelle Debatte. »Die zahlreichen russischen Künstlerinnen und Künstler, die durch den Krieg zum Verstummen oder ins Ausland gezwungen wurden, sollen eingeladen und gefördert werden. Vorsicht und Distanz ist indes bei jenen (wenigen) geboten, die sich durch ihre Verquickung mit dem Regime selbst belastet haben.« Haselböck kritisiert besonders Markus Hinterhäuser: »Die Salzburger Festspiele haben ihr Handeln in der Nazizeit kommissionell aufgearbeitet. Es wäre gut, wenn die in diesem Prozess gewonnen Erfahrungen dazu führen würden, dass die Entscheidungen, die in Sachen Russland im Hier und Jetzt getroffen werden nicht wieder erst posthum zurechtgerückt werden müssen.«

Die Bayreuther Chor-Debatte

Nachdem Claudia Roths Hänsel und Gretel-Debatte sich weitgehend als Rohrkrepierer entpuppt hat, kreiste die diesjährige Bayreuth-Debatte schließlich um den Festspiel-Chor: Der Leiter Eberhard Friedrich hatte – nicht ganz ohne Frust – seinen Abschied angekündigt, worauf die Festspiele erklärten, dass er eh in Rente hätte gehen müssen. Außerdem habe Katharina Wagner mit Thomas Eitler-de Lint aus Leipzig längst einen würdigen Nachfolger gefunden. Am letzten Festspieltag wurde dann eine weitere Meldung zum Presse-Hype. Online-Magazine titelten: »Festspielchor wird abgeschafft«. Das ist natürlich Quatsch! Fakt ist, dass die Festspiele alle Chormitglieder zu erneuten Vorsingen einladen. Zum einen will man einen weitgehend intransparenten Bewerbungs-Vorgang transparenter gestalten und eventuell verkrustete Strukturen aufbrechen, zum anderen will man dem  und dem neuen Chorleiter die Chance geben, eigenes Personal zu bestellen. Vielleicht hat sich der Festspielchor in Bayreuth auch einfach verzockt: Anders als das Festspielorchester war er nur wenig verhandlungsbereit und weigerte sich, nötige Sparmaßnahmen mitzutragen. Die aktuelle Entwicklung ist damit auch ein Zeichen, dass die Klassik-Welt in der Realität der klammen öffentlichen Kassen angekommen ist.   

Aktuell bei BackstageClassical

Wie viel Theater können wir uns noch leisten?

Theater im Umbau: Hier das Theater an der Wien (Foto: Theater an der Wien, Nidetzky)

Nicht nur der Bayreuther Festspielchor zeigt, dass alte Privilegien innerhalb der Kultur auf dem Spiel stehen. Sicherlich wird auch die kommende Saison von massiven Spar-Debatten begleitet werden. Dabei wird es nur wenig helfen, wenn man wie Unisono-Chef Gerald Mertens die rosarote Gewerkschafts-Brille aufsetzt und predigt, dass alles gut sei. Mertens erklärte neulich im WDR, dass es keine Krise der Klassik gäbe: die Sommerfestivals seien gut besucht, und für die Saison 2024/25 sei er mehr als optimistisch. Gleichzeitig machte das Handelsblatt mit einem Artikel (Bezahlschranke) auf, dessen Überschrift lautete: »4,6 Milliarden Euro Steuergelder, aber kaum noch Publikum«. Der Text kreist um die Frage, ob wir uns als Staat unsere Stadt- und Staatstheater überhaupt noch leisten können. Und die Antwort, die Autor Hans-Jürgen Jakobs gibt, ist ziemlich klar: Nicht in der Form, in der sie sich derzeit befinden. Ich habe mir in einem ausführlichen Essay ebenfalls Gedanken gemacht, warum die deutsche Theaterlandschaft plötzlich so massiv unter Druck gerät, und warum Leute wie Mertens den Künstlerinnen und Künstlern einen Bärendienst erweisen, wenn sie kompromisslos am alten System festhalten.

Neuer Blick auf Clara Schumann

In ihrer neuen Biografie Clara (Siedler Verlag) stellt Christine Eichel eine moderne Künstlerin im 19. Jahrhundert vor. Sie hat Rechte für sich erkämpft, die heute oft noch nicht selbstverständlich sind. Eine mitreißende Biografie, die das Bild Clara Schumanns anhand zahlreicher Quellen vollkommen neu beleuchtet. BackstageClassical bringt den exklusiven Vorabdruck dieses Werkes und ein ausführliches Gespräch mit Christine Eichel über Clara als Musikerin, Ehefrau und Mensch (hier bei ApplePodcast, für alle Player, oder bei Spotify).

Podcast von BackstageClassical

Personalien der Woche I

Köln spielte eine ziemlich große Rolle im Sommerloch: Knapp 800 Millionen Euro soll der Bau der Oper am Offenbachplatz inzwischen kosten. Die Sanierung ist längst eine Bürde für die Stadt, findet die Kölner Rundschau (Bezahlschranke) – und macht dafür auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker verantwortlich. Und die ist nun auch bei einem anderen Skandal eingeschritten: Angeblich habe es massiven (auch sexualisierten) Machtmissbrauch an der Kölner Philharmonie gegeben, von einer »Hochrangigen Führungskraft« am Hause von Intendant Louwrens Langevoort. Hier die ganze Geschichte. +++ Deutsche Behörden erwarten vom russischen Komponisten Vladimir Tarnopolski, nach Russland zu reisen, um sein Visum zu verlängern – das würde für den oppositionellen Künstler aber gefährlich. Ein offener Brief verlangt Hilfe von der deutschen Politik. +++ Angelina Jolie spielt Maria Callas, und die Kritikerinnen und Kritiker sind begeistert. Der Clou: Die Schauspielerin wird sogar selber singen. Neue Bilder und Hintergründe zum Dreh. +++ Die Klagen von Anna Netrebko auf Grund von Verleumdung und Vertragsbruch gegen die Met wurden abgewiesen – ein Fall wird aber wohl verhandelt. +++ Der Komponist und Dirigent John Williams muss seine Konzerte mit den Wiener Philharmonikern krankheitsbedingt absagen. +++ Orchesterdirektor  Thomas Schmidt-Ott verlässt das Deutschen Symphonie-Orchester Berlin (DSO) zum Ende der Saison 2024/2025: »Die Entscheidung, das DSO nach insgesamt fast 10 Jahren an der Spitze des Managements nun zum zweiten Mal zu verlassen, ist mir nicht leichtgefallen. Ich blicke voller Dankbarkeit auf die letzten Jahre, in denen das DSO neben seiner musikalischen Brillanz historische Bestmarken in Sachen Ticketverkauf, Auslastung, Konzert- und Tournee-Erträge, Drittmittel etc. erzielte.«

Quo vadis Brucknerhaus? 

Das Brucknerhaus in Linz kommt nicht zur Ruhe: Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) ist inzwischen zurückgetreten, da er dem Intendanten Dietmar Kerschbaum (der bereits entlassen wurde) vor dessen Bewerbung offenbar Insider-Informationen zugesteckt hatte. Kerschbaum selber soll sehr vorteilhafte Verträge mit sich selbst abgeschlossen und eine Agentur mit der Dramaturgie beauftragt haben. All das könnte man als Provinz-Posse hinstellen. Aber ein derartiger Umgang mit Kultureinrichtungen zerstört das grundlegende Vertrauen in Politik und Kultur – gerade jetzt, da die FPÖ zum Wahlkampf-Finale in Österreich mobilisiert und Spitzenkandidat Herbert Kickl gerade die Salzburger Festspiele in einer Wahlkampfrede als »Ort von Heuchlern« und als »Inzuchtpartie« diffamiert hat. Es ist diese Rhetorik, der Skandale wie jener am Brucknerhaus in die Hand spielen. Ein Kommentar dazu und wer das Haus in Zukunft leiten könnte: hier

Personalien der Woche II

Der Dirigent Lahav Shani (Foto: Borggreve)

Bei BackstageClassical haben wir immer wieder über die aktuellen Streitereien zwischen Dirigenten und Intendanten und Regisseuren berichtet – Markus Thiel macht im Merkur nun eine andere, spannende Debatte auf: Sind unsere Orchester zu laut für unsere Sänger geworden? Unter anderem kommt Christian Thielemann zu Wort: »Immer häufiger passiert es, dass junge Kollegen förmlich hochgeschossen werden und zu früh an Positionen oder bestimmte Stücke kommen. Bei diesen Jungstars, die naturgemäß über all diese Erfahrungen nicht verfügen könnten, wären nicht nur Agenten gefragt, sondern auch Intendanten, die diese Kollegen engagieren.« +++ Der Dirigent Lahav Shani schreibt in der Süddeutschen Zeitung (Bezahlschranke) über den Nahostkonflikt, darüber, dass er am 7. Oktober zum ersten Mal fühlte, dass er als Jude ungeschützt sei. »Und dann kam die größte und bitterste Enttäuschung meines Lebens«, schreibt er, »dass Menschen jeglicher politischer Richtung auf der ganzen Welt aufgehört haben zu denken. Ich verstehe das Bedürfnis, Solidarität zu zeigen mit den Schwachen und Unterdrückten. Ich weiß auch, dass Israel sich in den letzten Jahren nicht mehr genug bemüht hat, um eine Lösung des Konflikts zu erreichen. Dass so viele Menschen aber aufgehört haben, mehr als eine Informationsquelle zu nutzen, macht mich fassungslos.« 

Die neue Saison mit BackstageClassical

BackstageClassical geht in die neue Saison: Mit täglichen Klassik-News, großen Reportagen und spannenden Interviews. Folgen Sie unseren Podcasts bei Spotify oder Apple Podcast und verpassen Sie keinen Text, wenn Sie uns auf auf Facebook, X oder Instagram  folgen. Alle Texte bei BackstageClassical sind kostenlos – und das wird auch so bleiben. Neuerdings können Sie uns nicht nur mit einer einmaligen Spende, sondern auch mit einem freiwilligen Abo unterstützen. Und Ihre Werbung erreicht bei BackstageClassical zielgerichtet ein breites Publikum. Wir freuen uns über Ihre Anfragen

Und wo bleibt das Positive Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Am Mittwoch feiert Anton Bruckner 200. Geburtstag. Die Feierlichkeiten sind bereits auf Hochtouren! Eines meiner bisherigen Highlights war Ausstellung Der fromme Revolutionär in der Wiener Nationalbibliothek. Wenn Sie möglichst komprimiert so ziemlich alles über Anton Bruckner wissen wollen – dann empfehle ich Ihnen unseren Podcast mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst, der über die Musik Bruckners redet, Norbert Trawöger, dem Künstlerischen Direktor des Bruckner Orchesters in Linz und den Machern der Bruckner-Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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