NORDLICHT. Neustart am Opernhaus Oslo: Edvard Gardner tritt mit einem kultivierten »Holländer« als Chefdirigent an.
Der Brite Edward Gardner ist in Norwegens Musikleben ein vertrautes Gesicht: Seit 2015 war er Chefdirigent des Bergen Philharmonic Orchestra, und im Opernhaus am Oslofjord ist er seit Jahren als Gast und im Vorlauf auf seine neue Position auch als künstlerischer Berater tätig gewesen. Nun feierte er – in der Nachfolge von John Fiore und dem kurzen Intermezzo von Karlheinz Steffens – seinen Einstand als Musikdirektor mit einer konzertanten Aufführung von Richard Wagners Fliegendem Holländer. An seiner Seite eine Weltklasse-Besetzung an Sängersolisten, angeführt von Lise Davidsen als Senta und Gerald Finley in der Titelpartie.
Schon in der Kratzer-Trilogie um Blaubarts Burg im Januar hat Gardner gezeigt, dass er einen kultivierten Klang der Suche nach dem extremen Ausdruck vorzieht – das Heulen des Sturms in der Ouvertüre zeigt bereits an, dass auch dieser Holländer auf feine Schattierungen setzt und nicht auf Klangüberwältigung. Später, wenn Daland der vom Gast schon paralysierten Senta etwas von dessen Schätzen vorschwadroniert, lässt ihn Gardner die Magie zwischen den beiden mit subtilen Tempowechseln stören, nicht mit plattem Quäken der nervig-begleitenden Bläserachtel – auch so kann man zeigen, dass der Vater »lästig« ist, wie er irgendwann selbst bemerkt.
Überhaupt wählt Gardner, zum pastellfarbenen Gesamtklang passend, durchweg straffe Tempi. Zu straff wohl (und mit zu wenig Platz für Atem) für die eine oder andere Melodielinie der Solisten im Orchester und bei den Sängern; die rhythmische Präzision nimmt im Laufe der Aufführung aber deutlich zu. Sein Orchester wird getragen von einem homogenen wie virtuosen Fundament aus Bässen, Celli und Bratschen und gekrönt von einer makellosen Solotrompete. Auch auf den von Stephen Harris bestens vorbereiteten Chor kann sich Gardner verlassen.
Aus dem hauseigenen Solistenensemble (verwunderlich: alle anderen sind Gäste!) glänzt Eirik Grøtvedt als Steuermann mit silbrigem Kern im Tenor und bester Diktion – es ist seit Jahren eine Freude, ihn in Oslo zu hören. Anna Kissjudit (Mary) steht ihm in nichts nach, ihr erlesener samtig-präsenter Mezzo kennt über den ganzen Stimmumfang keine Schwächen. Sentas armem Verehrer Erik verleiht Stanislas de Barbeyrac die nötige Dringlichkeit, der stimmgewaltige Überschwang lässt ihn dabei bisweilen fahrig werden. Brindley Scherratt nimmt man (wiewohl etwas indisponiert) den gierigen, die eigene Tochter bedenkenlos an einen Fremden verscherbelnden Kleingeist des Daland sofort ab.
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So sängerisch ungleich wie überwältigend ist das Paar, das (wie bei Wagner üblich) keines werden wird: Gerald Finley lebt die gebrochene Figur des Holländers mit jedem Ton, gestaltet sie mit Klangfarbe, hochfeiner Rhythmisierung und Intonation zu einem erschütternden, zwischen Hoffnung und Verzweiflung gebeutelten Menschen – das ist hohe Sängerdarsteller-Kunst. Ihm gegenüber steht die Urgewalt von Lise Davidsens Senta, die ihre Partie klug steigert und doch von der ersten Sekunde an den Saal mit ihrer schieren Präsenz und Souveränität beherrscht.
Das Debut des neuen Musikdirektors, ein »historischer Tag«, wie Opernchefin Randi Stene in ihrer Begrüßung betont, wurde live mitgeschnitten und wird im kommenden Jahr als Stream und CD erhältlich sein. Wir dürfen gespannt sein, wohin sich die Oper in Oslo musikalisch entwickeln wird.
★★★☆☆
Transparenzhinweis: BackstageClassical wurde zur Berichterstattung von der Oper Oslo eingeladen.