Die Ausstellung Der fromme Revolutionär eröffnet das Jubiläumsjahr zum 200. Geburtstag von Anton Bruckner in der Wiener Nationalbibliothek.
Die Rezeptionsgeschichte Anton Bruckners verrät mehr über die jeweilige Zeit, in der auf den Komponisten geblickt wurde als über den Komponisten selbst: Zu Lebzeiten galt Bruckner als Epigone des Revolutionärs Richard Wagner, als Antipode zur alten Schule eines Johannes Brahms. Nach seinem Tode wandelte sich das Bruckner-Bild zur romantischen Verklärung. Der Komponist galt nun plötzlich als konservativer Romantiker, wurde vom Nationalsozialismus eingemeindet und zum Gegenpol zur Schoenberg-Schule stilisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg, besonders ab der 1970er Jahren, entdeckte man dann den privaten Bruckner, den Spätberufenen, gottesfürchtigen Musiker mit seinen zahlreichen Neurosen. Leidenschaftlich und voyeuristisch wurde sein amouröses Ungeschick in zahlreichen plumpen Heiratsanträgen (meist an sehr junge Frauen) thematisiert, die allesamt abgelehnt wurden.
Wie also sieht das Bruckner-Bild 200 Jahre nach seiner Geburt aus? Die Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek gibt Antworten und ist eine der ersten großen Veranstaltungen im Bruckner-Jahr, das auf den Geburtstag des Komponisten am 4.September zusteuert.
Die Ausstellung Der fromme Revolutionär wurde von Andrea Harrandt und Thomas Leibnitz kuratiert. Sie stützt in erster Linie die These, dass Brucker auch deshalb ein österreichischer Nationalkomponist war, weil er so etwas wie die österreichische Seele und ihr Spannungsfeld zwischen Land und Großstadt verkörpert hat. Wittgenstein formulierte es einmal so: »Ich glaube, das gute Österreichische (Grillparzer, Lenau, Bruckner) ist besonders schwer zu verstehen. Es ist in gewissem Sinne subtiler als alles andere, und seine Wahrheit ist nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit.«
Zeitlebens blieb Bruckner seiner Heimat Oberösterreich treu, seinen Wirkungsstätten Linz und St. Florian. Das Kitzler-Studienbuch, eine der jüngeren Errungenschaften der Nationalbibliothek und eine eindrückliche Quelle des jungen Komponisten, zeigt dass Bruckner sich bereits früh mit vielen unterschiedlichen Genres auseinandergesetzt hatte, die er später nie mehr pflegen sollte. Er experimentierte mit Klavierstücken oder Quartetten. Aber es sollte noch dauern, bis der Mut, sich musikalisch zu befreien, wuchs. Bruckner konzentrierte sich zunächst lieber auf seine Laufbahn als gefeierter Organist.
Kar wird, dass Oberösterreich mit seiner christlichen Lebens- und Musikkultur die musikalische Wiege Bruckners war. Im Intrigen-Molloch Wien fühlte Bruckner sich nie wirklich wohl. »Retten Sie mich!«, schrieb er an seinen Förderer Johann Herbeck, als er 1866 beschlossen hatte, Linz zu verlassen. Er fürchtete sich vor der Großstadt, wusste aber ebenfalls, dass sein Genius nach Expansion verlangte. Also zog Bruckner in die Metropole, wo er schnell unfreiwillig zum Spielball zweier sich bekämpfender Interessensgruppen wurde: dem Wagner- und dem Brahmslager.
Die Ausstellung zeigt Dokumente aus Bruckners frühen Jahren: viele Bilder, Fotos, Briefe – und den Pass für seine einzige große Reise in die Schweiz, wo er – von Frankreich aus – den Mont Blanc sehen wollte.
Bruckner hatte seinen Nachlass der damaligen k. k. Hofbibliothek überschrieben. Nun werden die 130 Objekte chronologisch und (etwas brav) nach biografischen Stationen ausgestellt. Unbekannte Fotografien, Porträts, Dokumente des Alltags und natürlich die Originalmanuskripte der Symphonien. Egal, ob der große Horn-Anfang der Vierten, die Richard Wagner gewidmete Dritte oder der vierte Satz der unvollendeten Neunten: es ist durchaus aufregend, die gestochenen Noten der Original-Autographe zu studieren.
Überhaupt Wagner: Die Ausstellung zeigt zahlreiche Exponate, in denen Bruckner von seinen Zeitgenossen als devoter Groupie Wagners zu sehen ist, etwa in einem Scherenschnitt, in dem der Komponist aus Bayreuth dem Pilger aus Wien großzügig Schnupftabak anbietet, den Bruckner mit gespreizten Fingern entgegennimmt.
Zu sehen ist ein Foto des Kritikers Eduard Hanslick, das Bruckner gewidmet ist. Die beiden hatten sich bereits 1856 in Linz kennengelernt. Hanslick ging später scharf ins Gericht mit Bruckners Musik, schätzte ihn aber als Menschen. Dennoch versuchte Bruckner sogar bei Kaiser Franz Joseph darauf einzuwirken, dass seinen Hauptkritiker von ihm ablasse – ohne Erfolg.
Die Ausstellung dokumentiert auch Anton Bruckner als Lehrer, etwa anhand der Aufzeichnungen seiner Vorträge zur Harmonielehre. Ein strenger Meister, der bedingungslose Autorität von seinen Schülern einforderte und seine (durchaus aufmüpfigen) Eleven als Ersatz-Familie um sich scharte. Am Ende seines Lebens füllte Bruckner seine Taschenkalender hauptsächlich noch, indem er akribisch all seine Gebete notierte.
Schließlich wird der Lebensbogen bis zum letzten Foto geschlagen, das den alten Anton Bruckner vor seiner letzten Wohnung im Wiener Belvedere, an der Seite seines Bruders, seines Arztes und seiner Haushaltshilfe zeigt: ein alter, gottesfürchtiger Mann, dessen revolutionären Ideen sich erst mit 40 Jahren Bahnen brachen, und der seither die Musikgeschichte revolutioniert hat.
★★★★☆
Der fromme Revolutionär:
Österreichische Nationalbibliothek,
Josefsplatz 1, 1010 Wien