Warum Joe Chialo nicht als Kulturminister auf Bundesebene taugt. Und warum der Herbst für ihn zu einer Bewährungsprobe wird.
Der Tagesspiegel hat nicht ganz unrecht, wenn er vorhersagt, dass der Herbst besonders heiß für Berlins Kultursenator Joe Chialo wird: Bis zu zehn Prozent soll der Berliner Kulturetat gekürzt werden – das entspricht rund 100 Millionen Euro. Klar, dass die Szene beunruhigt ist. Autor Rüdiger Schaper schreibt zudem: »In Kürze soll auch die Intendanz der Volksbühne ausgeschrieben werden. Das gehört zum komplizierten Verfahren, dass sich das Haus Chialo ausgedacht hat. (…) Wer soll, wer könnte übernehmen? Die Choreografin Florentina Holzinger wird genannt, ebenso der norwegische Regisseur Vegard Vinge, der vor Jahren in Berlin irre Inszenierungen gemacht hat, auch Ersan Mondtag scheint im Gespräch zu sein.«
Die Flops des Senators
Wie auch immer dieser Besetzungsprozess ausgeht: Chialo muss endlich etwas Positives auf die Beine stellen. Die Liste seiner Flops ist zu lang geworden: Da war der geplante Umzug der Landesbibliothek in die ungenutzte Lafayette-Imobilie. Er ist gescheitert, weil Chialo seinen eigenen Senat nicht mitgenommen hat. Es folgte die Schlappe mit der Antidiskriminierungsklausel. Sie floppte, weil Chialo schlichtweg politisches Handwerk vermissen ließ. Und dann noch das Hick-Hack um die Renovierung der Komischen Oper.
Vorbei die Zeiten, als die Feuilletons den Kulturpolitiker noch hochgejazzt haben wie Peter Laudenbach vor einiger Zeit in der Süddeutschen Zeitung. Laudenbach schrieb in seiner ultimative Lobhudelei, dass selbst Chialos Fehler ihm helfen könnten, sein eigentliches Ziel zu erreichen: das Amt des Kulturstaatsministers. Dabei sind Chialos handwerklichen Fehler offensichtlich. Das erste Mal haben wir bei BackstageClasscial darüber berichtet, als es um die Findungskommission für den neuen Konzerthaus-Intendanten ging, die letztlich Tobias Rempe auserkoren hat.
Zwei Mitglieder der Findungskommission hatten damals das Handtuch geworfen. Gegenüber unserer Redaktion hieß es aus Frust über die Rolle von Chialo, darüber, dass er von klassischer Musik nur wenig verstehe, unbedingt einen eigenen Kandidaten durchsetzen wollte und eigentlich nicht wirklich an Beratung interessiert war. Chialo bestätigte daraufhin zwar das Ausscheiden der Berater, lieferte gegenüber BackstageClassical aber eine eigene Lesart der Situation. Demnach seien die zwei Mitglieder »unabhängig voneinander aufgrund von internationalen Konzertverpflichtungen, Auslandsaufenthalten oder Gastspielreisen nicht mehr in der Lage, ihren Aufgaben im Gremium angemessen gerecht zu werden.« Chialos Sprecher machte außerdem klar, dass es sich bei dem Gremium nicht um eine »Findungskommission« gehandelt habe, sondern um ein »Beratungsgremium«, das den Senator bei seiner Entscheidungsfindung lediglich unterstütze.
Die absurde Findungskommission
Dass gleich zwei Berater im internationalen Konzertbetrieb einem Findungsgremium zunächst zu- und dann absagen, satt digital an den Terminen teilzunehmen, ist zumindest unüblich. Und die Umdeutung der »Findungskommission« in ein »Beratungsgremium« sowie der explizite Hinweis, dass der Senator selber entscheide, fügen sich in ein Narrativ, nach dem Joe Chialo seine eigene Machtfülle besonders wichtig ist.
Immer wieder ist vom egozentrischen Führungsstil des Senators zu hören, davon, dass Chialo gern seine Macht demonstriere und das eigene Unwissen gern durch autoritären Führungsstil kompensiere. Nach außen gibt er gern den coolen Politiker (der sich einst mit Rammstein-Musik inszenierte), stellt Videos ins Netz, die ihn als lachenden, zuhörenden und emphatischen Mover und Shaker zeigen. Doch im Alltag begegnen viele einem ganz anderen Senator.
»Als Senator kann ich das!«
In seinem Umfeld ist von »Beratungsresistenz« die Rede, vom einem »aufbrausenden« Charakter und von einer gewissen Eitelkeit. Kulturschaffende berichten, dass Chialo bei Sachfragen nicht zuhöre, dass er angesprochene Probleme ignoriere und mangelnde Sachkenntnis immer wieder durch ein Lächeln oder aber auch durch eine aggressive Diskussionsführung auf die Seite dränge. Ein berühmtes Wort von ihm sei: »Als Senator kann ich das machen.«
Wie unangenehm Berlins Kultursenator im politischen Dialog sein kann, war vor einiger Zeit öffentlich bei Markus Lanz zu sehen, als Chialo Bundesumweltministerin Steffi Lemke die Leviten in Sachen Afrikapolitik lesen wollte und dabei unangenehm besserwisserisch auftrat und Sachargumente einfach ignorierte. Lemke ließ ihn lächelnd abblitzen.
Große Mitarbeiter-Fluktuation
Chialos Charakter war für einige seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu viel. Die Fluktuation im Berliner Kulturressort ist hoch, vor allen Dingen bei engen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Senators wie seiner Büroleiterin, seiner Referentin oder seinem Sprecher.
Viel verrät ein Interview, das Chialo der Seite Nachtkritik gegeben hat. Darin sagt er: »Ich bleibe dabei, dass Kunst nicht nur eine monetäre Geschichte ist. Die Exzellenz kommt ja zunächst einmal aus der Arbeit selbst. Denken Sie an Mozart, der arm gestorben ist, ohne zu wissen, dass er der Mozart geworden ist, als den wir ihn heute verehren.« Auch ein ZEIT-Porträt mag Aufschluss über Chialos unbedingten Karriere-Willen geben. Der Senator erzählt hier, dass seine Mutter ihn zwang, Ruten abzuschneiden, mit denen er später geschlagen wurde. »Danach hatte ich überall Striemen«, sagte Chialo, der seine Mutter später vergab und erklärte: »Man muss aber auch sagen, danach tritt nie wieder so eine Arglosigkeit in der Beziehung ein.«
Zoff mit Staatssekretärin Wedl-Wilson
Einen ernsthaften Clinch scheint es auch mit Chialos Kultur-Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson zu geben. Chialo hatte die gut vernetzte Kulturmanagerin und ehemalige Leiterin der Hanns Eisler Musikhochschule eigentlich geholt, weil er selber nur wenig Ahnung von klassischer Musik hat.
Mitglieder der »Beratungskommission« erklären gegenüber BackstageClassical, dass Wedl-Wilson die Suche nach dem Konzerthaus-Intendanten zunächst auch geleitet habe, bis Chialo den Job selbst übernahm. Angeblich soll Wedl-Wilson bereits auf Chialos Abschussliste gestanden haben und nur auf Grund der schützenden Hand des Regierenden Bürgermeister Kai Wegner noch im Amt sein. Bestätigt werden diese Erzählungen allerdings nicht – Wedl-Wilson lehnt jeden Kommentar ab.
Nachfolger von Claudia Roth? – Eher nicht!
Chialo, heißt es, habe das Amt des Kulturstaatsministers fest im Auge. Wenn die CDU auf Bundesebene gewinnt, visiert er offensichtlich das Amt von Claudia Roth an. Termine bei nationalen CDU-Veranstaltungen haben bei ihm oft jetzt schon Vorrang vor mühsamen Vor-Ort-Termin, in dem es um die Niederungen der Berliner Kulturpolitik geht. Und auch aus der freien Kulturszene hört man zunehmend Stimmen, dass der Draht zum Kultursenator abgebrochen sei.
Der setzt sich derweil gern bei Großevents in Szene, macht ein gutes Bild in der Öffentlichkeit. Tatsächlich wirkt Joe Chialo etwa im Gegensatz zu Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda, der Kulturpolitik mit intellektuellem und strukturellem Weitblick betreibt und tief im Vertragsrecht steckt, wie eine schillernde Diskokugel. Aber vielleicht ist ja genau das, was die CDU nach dem Wahlsieg für die Kultur sucht: Einen Repräsentanten, dem es weniger um die Kultur als um die Darstellung der guten Laune geht.