NORDLICHT: Das Bridges-Kammerorchester zeigt in der Elbphilharmonie, wie musikalische Traditionen aus 15 Ländern einander kongenial inspirieren.
Nicht nur am Himmel ist aurora borealis in letzter Zeit in Deutschland zu sehen, auch spektakuläre Musik-»NORDLICHTER« für diese Kolumne findet man bisweilen ohne weit zu reisen. Zum Beispiel vor ein paar Tagen im restlos ausverkauften Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie, als das bridges-Kammerorchester im Rahmen des Schleswig-Holstein-Musikfestivals zu Gast war.
DIE NORDLICHT-KOLUMNE Natürlich sterben Oper, Theater und Konzerte mit klassischer Musik in Deutschland nicht sofort aus. Vielerorts stehen sie nicht einmal auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Aus dem Norden aber hört man bemerkenswert oft etwas von Theaterneubauten, von Erfolgsmodellen und inspirierenden neuen Formaten. Solche »Nordlicht«-Erfahrungen wird diese Kolumne von Stephan Knies in Zukunft vorstellen.
Das 25-köpfige Ensemble bringt den Hintergrund von 15 Nationalitäten und den verschiedensten Kulturen und Musiktraditionen mit: Klassisch ausgebildete Musikerinnen und Musiker an klassischen Orchesterinstrumenten wie Geige, Flöte, Horn oder Harfe spielen mit Virtuosinnen und Virtuosen an Mongolischer Shudraga, Kanun, Oud oder Tar. Damit aus der Vielfalt ein Ganzes, ein Klangkörper wird, lernen die einen Vierteltonschritte und die anderen Dinge wie eine klassisch komponierte Variationsform. Alle zusammen lernen sie die Stücke, die andere Mitglieder komponiert haben und damit ein Stück ihrer eigenen kulturellen Identität zum gemeinsamen Klang werden lassen.
Jeder, der ein Solo spielt, erhält die ungeteilte Aufmerksamkeit der übrigen, ob sie nun begleiten oder pausieren. Alle Instrumentalistinnen und Instrumentalisten sind abseits des Orchesters auch in kleineren Ensembles organisiert, mit denen sie in vielen Konzerten kammermusikalisch auftreten. Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass im Leitbild von bridges zu lesen ist, das Bestreben sei schon immer gewesen, »alle Musiker*innen und Mitarbeitenden dauerhaft fair zu bezahlen«.
Selbstbewusst (und das völlig zurecht) definiert sich der Klangkörper als»internationales Role-Model, das künstlerische Exzellenz mit gesellschaftlichem Impact verbindet«. Und die zweifellos unfassbar viele Arbeit, die das Team um Gründerin, Leiterin und Flötistin Johanna-Leonore Dahlhoff in dieses Projekt gesteckt hat, schlägt sich nieder in Auszeichnungen wie dem Deutschen Schallplattenpreis, der Aufnahme in der Förderung Bundesprogramm Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland – oder eben in Einladungen zu einem der renommiertesten deutschen Festivals.
Für den Auftritt in der Elbphilharmonie wurde die italienisch-türkische Dirigentin Nil Venditti engagiert, die international erfolgreich ist und sich mit interkulturellem Arbeiten auskennt. Sie wirft sich mit vollem Elan in die teilweise vertrackten Partituren und schifft den Klangkörper sicher durch den von den Orchestermitgliedern charmant moderierten Abend, der den etwas langen Titel »Von der Seidenstraße über Venedig nach Konstantinopel« trägt.
Bislang in der Nordlicht-Kolumne
- Reportage über Islands Harfe
- Oslos junges Klassik-Publikum
- Finnlands Wagner-Wunder
Und genau diese beiden Städte heimsen dann auch den größten Applaus ein: Die berühmte, für das Ensemble arrangierte Variationenreihe über den damaligen Gassenhauer la Follia des Venezianers Antonio Vivaldi und Istanbul des bridges-Cellisten Gabriel Mientka. Aber auch Fragestellungen nach der eigenen Identität in der Fremde finden Platz im zweistündigen Programm, wie »I am from Nowhere« der in England lebenden Iranerin Atefeh Einali: Bewegend, klangschön, dabei ganz ohne Betroffenheitskitsch. Können wir Abende dieser Art bitte öfter hören, als selbstverständlichen Teil von Festivalprogrammen und Konzerthaus-Spielplänen?
★★★★☆