»Manchmal muss mir der Regisseur Beine machen«

August 5, 2024
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Georg Zeppenfeld als Gurnemanz in der aktuellen Parsifal-Inszenierung in Bayreuth (Foto: BF/Nawrath)

Der Bass Georg Zeppenfeld ist ein Ausnahmesänger: In Bayreuth prägt er unter anderem die Rolle des Gurnemanz im Parsifal. Ein XXL-Gespräch über seinen Karriereweg, das Regietheater und musikalische Ansprüche.

Zum Probebeginn bei den Bayreuther Festspielen machte der Bass Georg Zeppenfeld einen Abstecher nach Bamberg zu einem Künstlergespräch mit dem Münchner Kritiker Markus Thiel beim Richard-Wagner-Verband. BackstageClassical veröffentlicht eine leicht gekürzte Version des Gespräches.

Markus Thiel: Auf der Homepage der Festspiele kann man nachlesen, dass Sie 2023 sieben Parsifal-Aufführungen gesungen haben, dazu dreimal Walküre, zweimal Tristan und fünfmal Holländer, macht zusammen siebzehn Einsätze. Heuer sind es sechsmal Parsifal, zweimal Walküre und dreimal Holländer. Das sind nur elf Aufführungen: Sie lassen nach, Herr Zeppenfeld!

Georg Zeppenfeld: Der Marathon letztes Jahr war eher ein Zufall. Ursprünglich sollte ich im Ring Fasolt singen. Als Herr Tcherniakov um meine Besetzung als Daland im Holländer gebeten hatte, habe ich meinerseits gesagt, bitte nehmt mir den Riesen ab, das wird mir sonst zu viel. Im Nachgang kamen noch zwei Vorstellungen als König Marke im Interims-Tristan dazu, der nur angesetzt wurde, damit man das Covid-Risiko besser in den Griff bekommen konnte. Die vielen Auftritte waren nicht beabsichtigt und ich habe jedes Mal mit Kopfschmerzen in den Kalender geguckt und gedacht, naja, ob das mal gut geht? Es hat funktioniert, weil ich diszipliniert war und ein ziemliches Einsiedlerdasein geführt habe. Aber immer möchte man das nicht haben. Ich bin ganz froh, dass ich dieses Jahr relaxter sein kann.

Wann war denn Ihr letzter Sommer ohne Bayreuth, abgesehen von Corona?

2014. Ich hatte 2010 und 11 in Lohengrin König Heinrich gesungen, 2011 auch Pogner in den Meistersingern. Von 2012 bis 2014 war ich in Salzburg, nachdem Nikolaus Harnoncourt mich darum gebeten hatte, den Sarastro in seiner letzten Zauberflöten-Produktion zu übernehmen. Ich konnte ihm das nicht abschlagen und Gott sei Dank hat das die Festspielleitung in Bayreuth verstanden und akzeptiert. Gleich nachdem ich damals um Urlaub gebeten hatte, kam die Einladung für 2015 als Marke zu Katharina Wagners Tristan-Inszenierung.

Sie sind also mal fremdgegangen …

Das hätte es in früheren Jahren in Bayreuth nicht gegeben. Es wäre als Treuebruch empfunden worden. Man wäre ein Verräter gewesen für alle Zeiten und hätte hier kein Engagement mehr bekommen. Ich bin sehr dankbar, dass man das heute entspannter sieht und dass ich 2015 zurückkehren konnte.

Georg Zeppenfeld als Daland in Bayreuth.(Foto: BF/Nawrath)

Was ist denn Bayreuth für Sie? Sind das Arbeitsferien? Eine Pflicht gewordene Gewohnheit oder sogar ein innerliches Muss?

Nein, ein innerliches Muss ist es von beiden Seiten nicht. Ich sehe das eher so: Man kann sich Bayreuth durchaus ohne Zeppenfeld vorstellen, aber ich freue mich sehr, dass das nicht der Fall ist, denn ich bin einfach gerne da. Ich mag es, dass man hier so nah mit anderen Sängern, die sich in meinem Fach tummeln, zu tun hat. Dass mehrere gute Bassisten sich treffen, erlebt man sonst nicht, denn entweder ist man selber besetzt oder eben der Kollege – in Bayreuth trifft man sich zuverlässig in der Kantine. Ich genieße diese eigenartige Mischung aus viel Arbeit und aus Druck, denn der spielt immer und überall eine Rolle, aber eben auch die entsprechende Urlaubssituation. In diesem Jahr hatte ich gerade einen längeren Aufenthalt in Wien, davor war ich in München und Zürich und bin ein bisschen mit hängender Zunge nach Bayreuth gekommen. Aber es ging schnell, dass die Situation sich entspannt hat. Die Mixtur aus Arbeit an Dingen, die ich sehr gerne tue, und abendlichen Wanderungen in den Wäldern und Feldern rund um Obernsees, wo ich immer wohne, fühlt sich ab Tag zwei an wie Urlaub, selbst wenn es kein Urlaub ist.

Über die Wege einer Karriere

Sie sind eine Säule der Bayreuther Festspiele, also im deutschen Fach. Sie treten andernorts immer wieder in italienischen Opern auf und sagen, dass Ihnen das gut tut. Trotzdem sind Sie in einer komfortablen Schublade gelandet. Wie kommt das? Wollen Sie das? Ist das der Markt, der Sie da hintreibt?

Ich denke, das sind Marktgesetzmäßigkeiten. Eine Agentur – ohne Agentur geht heute gar nichts mehr in der Opernwelt – hat es viel leichter, einen zu vermitteln und in Engagements zu bringen, wenn für den potenziellen Kunden von vornherein feststeht, der Sänger gehört dahin und der andere dorthin. Aus Sicht der Opernhäuser ist es so, dass es einen gewissen Druck gibt, die Solisten, die Deutsch als Muttersprache haben, im deutschen Repertoire einzusetzen. Und weil die Theater dem Publikum eine möglichst große Vielfalt an Sängerinnen und Sängern bieten wollen, singen die Muttersprachler das deutsche Fach und die anderen werden fürs Italienische, Französische und andere Sprachen genommen. Das ist ehrlich gesagt für uns Sänger gar nicht so interessant, denn es ist auch für die Stimme günstiger, wenn man eine größere Bandbreite an Partien bedient.

Wann war der Punkt in Ihrer Karriere erreicht, wo Sie es selber steuern konnten und sich die Sachen aussuchen durften?

An dem Punkt war ich nie, weil ich immer die Situation gemieden habe, ganz freischaffend zu arbeiten. Das ist erstens dem Umstand geschuldet, dass ich an der Dresdner Semperoper sehr gerne regelmäßig im Ensemble mit den Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeite. Und zum zweiten ist es mit erheblichen Risiken verbunden, nur freischaffend zu sein. Das hat man spätestens in der Corona-Zeit gemerkt. Die Freischaffenden waren plötzlich komplett angewiesen auf das Wohl und Wehe der Opernhäuser, wenn es darum ging, Verträge abzuwickeln und wenigstens zum Teil entschädigt zu werden für entgangene Gagen. Das Gros der Opernsängerinnen und -sänger – das muss man sich klar machen – kratzt am Existenzminimum!

Gesangssolisten sind im Grunde sehr spezialisiert ausgebildete, hochqualifizierte Leute für ein ganz schmales Repertoire an Arbeit, und trotzdem werden sie in aller Regel nur so bezahlt, dass sie gerade über die Runde kommen, wenn es denn gut läuft. Wenn so etwas passiert wie eine Pandemie, wird dem Großteil der unter diesen Umständen Arbeitenden der Boden unter den Füßen weggezogen. Da ist sofort Not da! Ich kenne eine Menge Kolleginnen und Kollegen, die in der Pandemiezeit nicht wussten, wo sie das Geld für die nächste Miete hernehmen sollen. Es geht in diesem Beruf nur ganz wenigen Leuten sehr gut – Gott sei Dank gehöre ich dazu –, den meisten geht es aber nur so lala. Und das ist mit ein Grund, weshalb ich von vornherein nicht scharf drauf war, rein freischaffend zu arbeiten.

Also auch, weil es finanzielle und existenzielle Ängste gab?

Ja, denn ich komme aus Verhältnissen, wo man noch lernt, dass es wichtig ist, ein regelmäßiges Einkommen zu haben. Natürlich gibt es für die Karriere gewisse Leitplanken. Wenn man einen Vertrag hat wie ich in Dresden, ist man gebunden. Und damit komme ich zurück auf Ihre Frage nach der Freiheit in der Repertoirewahl. Die Semperoper hat mich für fünfundzwanzig Abende pro Spielzeit mit fünf Monaten Anwesenheitspflicht unter Vertrag, und das bedeutet, das Haus hat erstens eine gewisse Priorität bei der Auswahl der Zeiten, die ich in Dresden sein muss, und zweitens wird festgelegt, was ich dort singen soll. Ich kann immer sagen, nein, das passt nicht für meine Stimme, aber ich muss der Semperoper schon klar machen, dass ich dort gerne und freiwillig arbeite, sonst werden sie sich überlegen, ob sie mich noch weiter beschäftigen wollen. Das heißt, wenn mal was kommt, das mir vielleicht nicht in den Kram passt, mache ich es in der Regel trotzdem, wenn es stimmlich geht.

Nochmal zum Repertoire. Passen diese Partien am besten zu Ihnen, zu Ihrem Charakterbild? Sind Sie ein Typ für Partien im deutschen Fach?

Es gibt Partien, die mir sehr gut liegen, und solche, denen ich gerne aus dem Weg gehe. Ich glaube, dass mir grundsätzlich das Tragische etwas mehr liegt als das Komische – Schurke habe ich inzwischen gelernt. Das lag mir zunächst ebenfalls nicht so wahnsinnig nahe.

Wo holt man denn das Böse her, wenn man es für sich nicht so empfindet? Vielleicht ist es da und Sie wissen es nur nicht?

Es ist nicht unbedingt eine Frage von Empfindung, auch vom stimmlichen Ausdruck her. Ich habe eine lyrische, relativ weich klingende Stimme und kann die Leute damit eher emotional berühren, als wenn ich sie mit Heftigkeit an die Wand drücken wollte. Wenn ich Aggression auf die Bühne bringen will, versuche ich es meistens über die Sprache, die Sprachfärbung. Wenn ich das mit der Stimme versuchen würde, wäre es auf die Dauer für meine Stimme abträglich.

Sie haben in unserem großen Interview für die Juni-Ausgabe der Opernwelt 2023 gesagt, dass Sie ein gewisses Phlegma haben. Hilft Ihnen dieser körperlich sehr ruhige Grundrhythmus oder behindert das?

Bei manchen Partien hilft das, bei manchen muss mir der Regisseur erstmal ein bisschen Beine machen. Mein Weg zum Kaspar in Freischütz war ziemlich weit. Ich habe ihn bisher nur in einer Produktion in Dresden szenisch gesungen. Mir hat das gut getan als Darsteller und ich habe gelernt, wo stimmlich meine Grenzen sind. Nicht, dass mir ein bestimmter Ton Probleme bereiten würde, aber man muss für diese Rolle eine gewisse Aggressivität in der Stimme haben. Kaspar ist die negative Energie, die das Stück antreibt, der Freischütz mit einem braven Kaspar ist kein Freischütz. Ich habe mir inzwischen gewisse Techniken zugelegt, mit denen ich das singen kann, aber das wäre keine Partie, die ich als Gast irgendwo gerne singen würde, denn gastweise kann ich überlegen, was ich will und was nicht. Der Zaccaria in Nabucco hat ebenfalls eine gewisse negative treibende Kraft, dazu ist die Rolle länger und deutlich schwerer zu singen. Aber die Faktur der Partie, das Italienische, das Kantable, das immer vorhanden bleibt, das liegt mir einfach mehr.

Georg Zeppenfeld im aktuellen Bayreuther Ring von Valentin Schwarz.(Foto: BF/Nawrath)

Wie oft sind Sie während der Probenarbeit zu einer Inszenierung von sich selbst überrascht worden nach dem Motto „Das bin ich ja auch“? Gibt es solche Momente?

Das gibt es durchaus. Wenn man sich mal in die Wolfsschlucht reinsteigert, weil man weiß, dass man am nächsten Tag nicht gleich wieder singen muss, entdeckt man durchaus neue Seiten an sich. Und insofern war die Dresdener Produktion nicht unwichtig für mich.

Das war eine Inszenierung von Axel Köhler …

Und es war eine eher traditionelle Regie, das heißt, da durfte der Böse richtig schurkig sein und der verhinderte Strahlemann Max war genau das. Manchen war das zu bieder, aus meiner Sicht war es eine stimmige Inszenierung des Freischütz, denn sie greift Dresdner Themen auf – Zerstörung, Krieg, Pogrom.

Wie spontan sind Sie auf der Bühne? Überraschen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen?

In einer ersten Vorstellungsserie nicht. Ich glaube, dass ich dicht an dem bleibe, was wir probiert haben. Von mir selber überrascht bin ich vielleicht, wenn während einer Vorstellung was Unvorhersehbares passiert, wenn ein wichtiges Requisit fehlt oder wenn ein Kollege eben nicht auftritt. Das ändert sofort die Situation. Man kann nicht bei seinem Konzept bleiben, man muss reagieren. Wenn plötzlich alle schwimmen, merkt man selber, hoppla, ich kann ja schwimmen! Es macht in solchen Momenten einen irrsinnigen Spaß, die Vorstellung weiterlaufen zu lassen, völlig neue Dinge zu tun und dadurch die Probleme zu lösen.

Über spontane Momente auf der Bühne

Waltraud Meier hat mir erzählt, dass sie in solchen Situationen durch die Überspannung der Emotionen öfter lachgeflashed war.

Es ist für mich eher wie ein Adrenalineinschuss. Man sucht fieberhaft nach einem Ausweg, die Sekunden dehnen sich zu Minuten und hinterher ist man sowas von wach! Lachgeflashed war ich bisher nur, wenn jemand das Kichern anfängt. Dann muss ich sehr an mich halten oder mich so wegspielen, dass ich mal kurz grinsen kann – und danach geht’s wieder.

Siegfried Jerusalem, der öfter textgefährdet war, hatte bei der Tristan-Inszenierung von Heiner Müller in Bayreuth einen Blackout und sang – es musste schließlich weitergehen – irgendein Fantasiedeutsch. Waltraud Meier hat daraufhin, um aus der Situation den Druck zu nehmen, leise zu ihm gesagt: „Oder so ähnlich“. Wie textsicher sind Sie? Bei Ihnen versteht man doch jedes Wort!

Und das ist ein Problem! Ich bin, muss ich zugeben, sehr textsicher und genau deshalb bin ich vergleichsweise ungeübt im Umgang mit solchen wolkigen Situationen. Der spektakulärste Schmiss, der mir jemals passiert ist, war 2021 im letzten Jahr der Kosky-Meistersinger in Bayreuth, als ich in der Pogner-Ansprache plötzlich merkte, dass ich mich vergaloppiert hatte. Es gibt da zwei Stellen, die die gleiche Musik haben, aber unterschiedlichen Text. Als ich beim ersten Mal den zweiten Text gesungen habe, merkte ich irgendwann – ich hatte eine Teetasse in der Hand und dachte, wenn du diesen Text singst, steht die Teetasse doch auf dem Tisch! –, dass da was nicht stimmte: Entweder du hast dich verspielt oder du hast versungen und vertan. Als mein Blick zur Souffleuse ging, fing die Kollegin an zu blättern, und ich wusste, dass keine Hilfe zu erwarten war. Es wurde in der Folge für mehrere Sekunden sehr still um Herrn Zeppenfeld, bis ich mich orientiert hatte und mich wieder einfädeln konnte, während Herr Jordan im Orchestergraben sich halb kaputt gelacht hat. Ich kenne viele Kollegen, die sich da geschickter geholfen hätten als ich. Ich hab halt keine Routine in dieser Situation.

Warum sprechen Sie nicht wie ein typischer Opernsänger? Wenn ich manchmal Interviews mit Bassisten mache, dröhnt es mir nur so entgegen, die sprechen mit ihrer Singstimme – und bei Ihnen ist das nicht so.

Ich hoffe, dass ich das jetzt hier nicht demonstrieren muss.

Empfinden Sie sich denn als typischer Vertreter Ihrer Zunft? Sind Sie ein typischer Bassist?

Ein typischer Bassist vielleicht, ein typischer Opernsänger vielleicht nicht. Ein gewisses Phlegma haben die meisten Bässe. Ich kenne ein paar, die das nicht haben und im Buffofach sehr gut sind, weil man da eine gewisse Geschwindigkeit im Wechsel von Stimmungen und Farben braucht. Dazu muss ich mich immer erst aufraffen, das heißt, dieses Phlegma steht mir manchmal im Weg.

Sie stammen aus Attendorn im südlichen Sauerland, da gibt es knapp fünfundzwanzigtausend Einwohner, Eisen und Metall verarbeitende Industrie, viele Naturdenkmäler und Naturschutzgebiete. Ist das der richtige Humus für eine Künstlerkarriere?

Schwierig. Das liegt jetzt weniger an der Eisen verarbeitenden Industrie, sondern vielmehr daran, dass das nächste professionelle Orchester eine knappe Autostunde entfernt ist – und die nächsten Opernhäuser sind in Hagen, Dortmund oder Köln. Zumindest in meiner Kindheit hatten meine Eltern kein Auto, da hätte ich also nicht hin- und zurückkommen können. Ich hatte Glück, dass ich als Schüler ein Stipendium bekam mit einer Freikarte für eine Theateraufführung in der Stadthalle der Kreisstadt Olpe. Wenn mich da nicht freundlicherweise die Eltern einer ebenfalls prämierten Schülerin mitgenommen hätten, wäre ich dort gar nicht angekommen, denn der öffentliche Nahverkehr läuft da nur bis siebzehn Uhr dreißig. Bei mir war das eher eine Verkettung von glücklichen Umständen, dass ich beim Gesang gelandet bin.

Die Bayreuther Festspiele bei BackstageClassical

Sie haben erst Lehramt studiert, Musik und Germanistik, dann erst Gesang. Wie kam es dazu? War das selbstverständlich für Sie oder dachten Sie, erst mal was Vernünftiges?

Nein, das hab ich nie als Lückenbüßer-Job verstanden. Aus den Verhältnissen, aus denen ich komme, nehmen nicht viele den Weg in eine akademische Richtung. Es war ein ambitionierter Schritt, das zu wollen und überhaupt anzubahnen, denn ein Musiklehrerstudium beginnt mit einer Aufnahmeprüfung, bei der man schon viel können muss. Aus heutiger Sicht war der Anfang die größte Hürde, ein kleines Wunder. Als der Schritt an die Musikhochschule mal gelungen war, kam alles andere in der Folge logisch.

Aber das Singen gab es schon vorher, in der Musikschule oder im Chor?

Ja, aber nicht in professioneller Weise. Ich hab mir gewissermaßen im Männergesangverein meines Heimatorts den Spaß am Singen geholt – und das möchte ich nicht missen. Dort hab ich das Singen als etwas vollkommen Unbeschwertes erlebt. Es war unglaublich schön, aber es hatte nichts mit Kunst zu tun, sondern war ein volkstümliches Singen. Wenn ich mal Rentner bin, suche ich mir vielleicht wieder einen Chor, denn den Kontakt mit den anderen Chormitgliedern vermisse ich heute sehr. Meine erste richtige Gesangsstunde habe ich mit einundzwanzig Jahren im Schulmusikstudium bekommen. Mein künstlerisches Hauptfach war zunächst das Klavier, was immer schwierig war, weil das nicht wirklich mein Instrument war. Ich bin eher ein Bläser- oder Sängertyp, ich muss immer mit dem Atem arbeiten. Das Klavier ist für mich ein Fremdkörper geblieben, acht Semester lang, bis zur Staatsprüfung. Gelernt hab ich dabei hauptsächlich durchzuhalten, nicht aufzugeben. Ist auch schön, aber meine Klavierlehrerin hat jahrelang gelitten unter meinem Mangel an Begabung.

Wenn Sie jetzt eine neue Partie einstudieren, sitzen Sie selber am Klavier oder haben Sie einen Korrepetitor?

Ich erarbeite mir die Partien unter Zuhilfenahme des Klaviers, aber einen Wagnerschen Klavierauszug vom Blatt zu spielen, wäre mir absolut nicht möglich. Ich habe seit dem Klavierexamen keine Literatur mehr gespielt, habe jetzt manchmal Lust, nochmal anzufangen, aber mir fehlt dazu die Zeit.

Was hatten Sie für eine Naturstimme? Brachten Sie eine enorme Tiefe mit – oder wo musste gezogen, wo musste was entwickelt werden?

Eigentlich überall. Ich hatte keine bemerkenswerte Stimme. In der Aufnahmeprüfung an der Detmolder Musikhochschule musste ich vorsingen, ein Kunstlied und ein Volkslied. Wer gut war, bekam dafür mindestens eine Zwei, ich hatte nur eine Drei. Das hat vermutlich unter anderem mit der mundartlichen Vorprägung zu tun. Im Sauerland findet das Sprechen und Singen weit hinten statt, die westfälische Mundart ist eine ziemlich gutturale Angelegenheit, die mir mein Gesangslehrer erst abgewöhnen musste, was nicht leicht war.

Vom Studium in die Welt

Man hört es aber kaum! Es gibt andere Sänger wie Georg Nigl, bei dem man das Wienerische immer etwas durchhört, oder bei Christian Gerhaher ein bisschen das Niederbayerische. Bei Ihnen klingt das nach reinem Hochdeutsch. Mussten Sie hart trainieren dafür?

Es ist nicht so, dass ich in der Kindheit stark Dialekt gesprochen hätte. Dialekte existieren doch nur noch in ganz kleinen Dörfern, wo vier Bauernhäuser auf einem Fleck stehen und zumindest die Älteren noch Platt sprechen. In meiner Kindheit hat das kaum eine Rolle gespielt, hinterlässt aber eine Färbung. Wenn ich jetzt zwei drei Tage dort bin, kommt es zurück und ich fühle mich richtig zuhause. Ich genieße es, da wieder reinzurutschen und so zu sprechen. Nur für den Kunstgesang ist das Westfälische nicht geeignet.

Das Sächsische haben Sie interessanterweise nicht angenommen.

Nein, aber mein Sohn schwört Stein und Bein, dass er ein Sachse wäre, obwohl er ein reinrassiger Westfale ist. Er ist nun mal in Sachsen aufgewachsen und hat all die Redensarten drauf, die man in der Schule so lernt.

Nochmal zurück zum Studium: Wann war der Kickpunkt erreicht, wo Sie die Weiche zum Gesang genommen haben?

Das ist passiert gegen Ende des Schulmusikstudiums. Ich habe an der Hochschule immer wieder Gesangsstudenten hören können und Aufführungen besucht, schließlich sollte man als Musiklehrer mal in der Oper gewesen sein.

Was war denn Ihre erste Oper?

Der Fliegende Holländer am Landestheater Detmold. Und danach kam bald der erste praktische Einsatz. An der Opernschule Detmold wurde jemand gesucht für den Doktor Bartolo in Figaros Hochzeit. Als mein Pflichtfachdozent mich zum Vorsingen schickte, damit ich die Situation mal erleben konnte, wurde ich plötzlich gefragt, die Rolle zu singen. So habe ich die andere Seite von Oper kennengelernt, das Selbermachen. Plötzlich ist mir aufgefallen, wie ein Bassbariton, der in meiner Gesangsklasse war, einfach mühelos einen Saal füllen konnte mit der Stimme. Ich war geflashed von diesem sinnlichen Eindruck einer Stimme im Raum und ich dachte, wie kann man das können? Kann ich das auch? Daraufhin hat mein Pflichtfachdozent das ernster genommen und es stellte sich heraus, dass da eine entwicklungsfähig Stimme ist. Nicht zuletzt weil ich am Klavier auf keinen grünen Zweig kam, hatte ich das dringende Bedürfnis, irgendwo in dem Fach, das ich unterrichten wollte, erfolgreicher zu arbeiten.

Georg Zeppenfeld als Gurnemanz in der aktuellen Parsifal-Inszenierung in Bayreuth.(Foto: BF/Nawrath)

Also Starbassist aus Notwehr?

Das zündende Element war das Gefühl von der Sonorität einer Stimme im Raum. Das selber zu können, das hat mich gelockt.

Sie haben vorhin gesagt, Sie haben eine lyrische Bassstimme. Aber wenn man sich entscheidet, professioneller Bassist zu werden, hat man doch tausend andere Kollegen im Ohr. Wie groß ist die Gefahr, dass man nur nachahmt anstatt zu lernen? Man muss sich doch zu seiner eigenen Stimme bekennen?

Das ist mir Gott sei Dank früh klar gemacht worden. Mein erster Lehrer hat mir von vornherein den Zahn gezogen zu glauben, ich sei der Bass der Zukunft und müsste nur sonor und gaaaanz ganz tief singen, das wär’s dann. Er sagte: „Auch bei Bässen liegt der Weg zum Erfolg oben: Du singst ständig deine höchsten Töne, aber du singst sie schlank, damit du dich nicht fertig machst für die tiefen Töne, die dann kommen.“ Das hat sich bis heute als richtig erwiesen. Der nächste Lehrer, zu dem ich kam – Hans Sotin – hat im Prinzip das gleiche Rezept verfolgt.

Auch eine eher schlankere Bassstimme …

Der konnte Gott weiß wie auspacken, aber er hat immer darauf geachtet, dass die Stimme selbst nicht unter Druck gerät. Die Stimme muss frei arbeiten können. Er hat die Stimme immer von oben geführt. Ich sehe ihn noch vor mir am Klavier stehen und mir das demonstrieren. Die Geste dazu war eine Kuppel und er sagte: „Du musst in die Kuppel treffen. Sing schlank, damit du dort oben ankommst.“ Diese Vorstellung hilft mir bis heute.

Der Bassist als Mensch

Wenn man mit Bassisten spricht, sagen viele, dass sie am Anfang eine Durststrecke hatten. Man bringt vielleicht viel Material mit, aber keiner besetzt gern einen 25-Jährigen mit Sarastro und einen 30-Jährigen als Gurnemanz. Haben Sie sich immer gewünscht, älter zu sein oder waren Sie geduldig und dachten, meine Zeit kommt noch?

Das musste ich mir eben sagen. Es war in meinem Fall völlig klar, dass es dauern würde. Es gibt ja Stimmen, die sind früh fertig. René Pape zum Beispiel hat mit zweiundzwanzig Jahren einen sehr beeindruckenden Sarastro in Salzburg gesungen. Die Stimme war bereits da, war entwickelt und hat wunderbar funktioniert. Er war Chorknabe und hatte sehr früh einen spielerischen Zugang zum Gesang gefunden. Das war bei mir nicht der Fall. Meine Stimme hat Zeit gebraucht. Natürlich hätte ich damals gerne schon die Stimme gehabt, die ich heute habe. Aber ich bin Gott sei Dank von kundigen Leuten davor gewarnt worden, mit der Stimme zu singen, die ich gerne hätte. Sondern ich wurde immer aufgefordert: „Sing doch mal mit der Stimme, die du hast. Das ist im Moment das Optimum.“ Es war gut, dass mir das so eindringlich gesagt wurde.

Georg Zeppenfeld bei Spotify

Kam das nur von außen? Oder wann setzt die Selbstkritik ein?

Ich hab relativ früh gemerkt, dass man selbst mit einer schlanken Stimme viel erreichen kann. Als Student habe ich gerne Franz Crass und Karl Ridderbusch gehört, die das beide konnten. Kurt Moll hab ich auch bewundert, aber es war mir völlig klar, dass das kein Beispiel für mich sein kann. Und ich glaube, dass ganz viele junge Bassisten – und deshalb gibt es so wenige gute Bässe – sich falsche Vorbilder suchen und schon zu Studienzeiten glauben, klingen zu müssen wie der eigene Großvater. Das ist eines der zentralen Probleme, das wir Bässe haben. Es stimmt nicht, dass es keine Bassisten mehr gibt. Sie lernen bloß nicht singen.

Krasser Satz! Aber das ist nicht unbedingt Schuld der Sänger. Es fehlen Hochschullehrer, die einem das sagen.

Das ist richtig. Es gibt an den Hochschulen sicherlich zu wenig Leute, die die Anforderungen der Praxis kennen und konsequent genug drauf reagieren.

Wäre das für Sie eine Option? Eine Gesangsprofessur als Lehrer?

Ach, wissen Sie, ich muss zum Unterrichten kein Professor sein. Ich werde oft gefragt von Kollegen: „Kannst du mir mal helfen, ich brauche für diese schwierige Stelle oder diese Partie mal eine Stunde Arbeit mit jemandem, der mir zeigen kann, wo die Leitern stehen.“ Das mache ich gerne, weil ich damit nicht gleich die ganze Verantwortung für die Zukunft dieses jungen Menschen habe. Ich habe noch nie mit jemandem konsequent von A bis Z seine stimmliche Ausbildung erarbeitet. Da hätte ich auch Skrupel. Ich weiß viel über meine Stimme, über Stimmphysiologie und Methodik des Gesangsunterrichts weiß ich im Grunde genommen zu wenig. Mehrfach wurde ich aufgefordert, mich für eine Professur zu bewerben, ich habe aber immer geantwortet, dass ich keine Erfahrung habe als Gesangslehrer. Wenn ich als Antwort zu hören bekam, „Das macht doch nichts, die kriegen Sie dann ja!“ hat es mich schon geschaudert!

Ich hatte erst neulich ein Gespräch mit einem Kollegen von Ihnen, der beklagte, was alles schief läuft an den Hochschulen. Solisten, die noch voll im Saft stehen, würden der ganzen Sache doch sicher sehr gut tun …

Ich glaube, das kann man genauso in Form von Kursen tun. Im Moment bin ich so intensiv im Betrieb, dass ich das für mich nicht für angebracht hielte. Vielleicht kommt das noch, ich will das gar nicht ausschließen für alle Zukunft.

Was haben Sie selber vermisst an der Hochschule?

Eine gewisse Systematik. Meine Lehrer waren nicht ausgebildet im Ausbilden, sondern kamen beide aus der Praxis, was mir sehr geholfen hat. Ohne diese beiden wäre ich nicht zur Bühne gekommen! Wenn ich aber zum Beispiel mitbekomme, wie früher im Osten Deutschlands ausgebildet wurde, habe ich den Eindruck, dass die Lehre in der DDR wesentlich systematischer war und zu erstaunlich guten Resultaten geführt hat.

Jeder spricht über Ihre Textverständlichkeit. War das für Sie von vornherein selbstverständlich oder mussten Sie sich das erst erarbeiten?

Ich habe am Beginn meines Gesangsunterrichts in Detmold Sprecherziehung bekommen – und hatte Glück. Meine Ausbilderin war unter anderem am Theater Hannover viel beschäftigt, eine sehr schrille Person, wie man sie oft findet unter Schauspielern. Sie hatte tolle Sprüche drauf und wusste, wie man junge Leute angräbt. Sie hat gleich auf den Knopf gedrückt und gesagt: „Zeppenfeld, wenn du auf eine Wand zuläufst, das erste, was ankommt, ist nicht deine Nase, sondern dein Bauchnabel! Halt dich mal grade! Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel!“ Sie hat einen nicht in Ruhe gelassen, bis sie bekam, was sie wollte, und sagte Sätze wie: „Sprechen auf der Bühne ist ein Akt von oraler Lust“ – durchaus wissend, was man damit konnotieren konnte, aber sie hatte Recht in der Sache. Wenn ich beim Sprechen auf der Bühne, beim Aussprechen von Wörtern keine Lust empfinde, kann das beim Publikum nicht entsprechend ankommen. Merkwürdigerweise haben die meisten Gesangslehrer die Vorstellung, dass es einen Antagonismus gibt zwischen dem deutlichen Sprechen und dem belcantomäßigen Singen. Das habe ich nie akzeptiert. Ich habe Gott sei Dank auf Tonkonserven immer gern Leute wie Karl Ridderbusch gehört, der das mühelos miteinander verbinden konnte und den Beweis erbrachte, dass es geht. Und wenn es geht, muss man es doch lernen können!

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Aber diese Lust existiert auch auf der falschen, der dunklen Seite, indem man sich besäuft am Klang und deswegen nicht verständlich ist.

Letzten Endes ist der Klang, den wir mit der Stimme produzieren, das Medium, auf dem die Sprache sozusagen mitläuft. Hans Sotin sagte immer: „Das ist die Stimme, und die Stimme ist ein Fluss, und da ist ein Papierschiffchen, und das setzt du da drauf: Das ist der Konsonant. Und das schwimmt sofort mit, das braucht keine Zeit zum Beschleunigen, das wird sofort mit weggetragen. So musst du dir das vorstellen, das ist doch ganz einfach.“ Man muss nur suchen, bis man es gefunden hat.

Wobei bei Ihnen der lyrische Grundzug Ihrer Stimme der Sache sicher dienlich ist.

Richtig. Ich muss nicht den breiten Strom haben, um das zu transportieren. Wenn man seine Stimme so erzogen hat, dass sie obertonreich klingt, haben es die Konsonanten einfacher. Es gibt dann nicht so viele innere Widerstände. Ich übe nach wie vor leidenschaftlich gerne, denn sonst hätte ich ja viel Langeweile mit mir selber in meinem Arbeitszimmer. Aber ich kenne viele Kollegen, die üben gar nicht gerne, die lernen ihre Stücke und das muss reichen. Das möchte ich eigentlich nicht.

Wie kontrollieren Sie sich? Gibt es Aufnahmen, die Sie immer wieder hören, lassen Sie bei den Proben oder Aufführungen einen kleinen Digitalrecorder mitlaufen?

Nein, das mache ich vor Aufführungen nicht, weil ich sonst entsetzt bin über das Ergebnis und gar nicht mehr auf die Bühne will. Sondern ich höre mir Aufnahmen nur mit einer gewissen zeitlichen Distanz an. Nach einer Woche weiß ich noch viel zu genau, was in einer Aufführung schief gelaufen ist, warte beim Abhören auf den Fehler oder auf das, was ich als ungünstig empfinde. Nach einem Jahr weiß ich das nicht mehr so genau und kann es unvoreingenommener hören.

Das ist eine Antwort, die hört man von vielen Opernsängerinnen und Opernsängern. Aber Sie müssen Ihre Stimme doch mögen?

Absolut. Das ist wie ein Teil der Persönlichkeit. Man mag an seiner Persönlichkeit nicht alles, aber wenn man sich im Großen und Ganzen okay findet, hat man halt ein schöneres Leben.

Ist Wotan ein Thema?

Sie haben den höher gelegenen Kaspar bisher nur in einer Inszenierung gesungen, den Sachs schon öfter und singen ihn nächstes Jahr in Bayreuth, der Bassist Franz Crass war hier auch als Holländer zu erleben. Warum zieht es Bassisten so gern nach oben, ins Heldenbaritonale?

Das hängt damit zusammen, dass dort eine gewisse Klasse von Partien angesiedelt ist. Im Italienischen nennt man das primo uomo – gemeint ist der Bariton und nicht der Tenor! Was mich reizt an den Basspartien, obwohl die oftmals nicht die erste Geige spielen, ist das Farbspektrum und die zugrunde liegende Gefühlslage. Wenn ich das mit meiner Stimme besser deckungsgleich bekommen kann als die dramatischen Heldenbaritonpartien, weiß ich wieder, dass ich im Bassfach, im lyrischen Bass, im basso cantante, richtig gut aufgehoben bin. Ich bin jemand, der durchaus kantabel und hoch singen kann, aber eben nicht diese dramatische Expansionskraft hat, die ein Wotan oder ein Jochanaan haben sollten.

War Wotan ein Thema für Sie?

Das ist immer wieder ein Thema, wenn man den Sachs mit Erfolg gesungen hat. Ich bin dann bemüht, auf die Bremse zu treten, denn meine Stimme ist nun mal lyrisch und ich habe nicht vor, meine Stimme wohin zu treiben, wo sie von Natur aus nicht hingehört.

Wer darf überhaupt etwas zu Ihnen sagen, direkt nach einer Aufführung, wenn die emotionalen Scheunentore ganz offen sind?

Jeder. Ich werde das schon einordnen. Ich glaube nicht alles, was ich höre, man weiß selber gut, wo die eigenen Schwächen gelegen haben in einer Aufführung, man weiß, warum etwas mal nicht so gut gelaufen ist. Und wenn man mal Prügel bezieht in irgendwelchen Stellungnahmen, kenne ich in der Regel den Grund und weiß, was ich tun muss, damit das nicht wieder vorkommt. Zuletzt in Wien habe ich Heinrich in Lohengrin gesungen, eine Partie, die ich normalerweise gut kann. Und dann passiert sowas Banales, dass mir ein Kostümbildner eine Schirmmütze auf den Kopf setzt und ich höre mich einfach nicht mehr! Ich habe jedenfalls gekämpft mit diesem Ding bis zur letzten Vorstellung, hab es irgendwann schräg aufs Ohr gesetzt, so dass ich mich ein kleines bisschen mehr hören konnte, aber ich habe diesen Heinrich nicht gut gesungen. Das hat zumindest jeder gemerkt, der mich mehrfach in der Rolle gehört hat. Ich war ziemlich geknickt, aber ich weiß, woran es lag.

Weil wir gerade beim Thema sind: Was gehört denn bei Ihnen zu den Grundzutaten einer gelungenen Inszenierung?

Im Wesentlichen, dass das Interesse der Regie dem Stück gilt und dem, was der Komponist und der Librettist erzählen wollten. Das kann Zuspitzungen erfahren in die eine oder andere Richtung, aber ich möchte gerne von einem Regisseur erleben, dass er sich für das Stück interessiert und nicht versucht, das Stück auf ein Thema zu beziehen, das nicht enthalten ist. Wenn es aber drin steckt, ist mir das egal, ob das in der Vergangenheit spielt oder in der Zukunft oder auf dem Mond, dann kann man alles erklären, begründen und kann sich reinfinden.

Manche ihrer Kolleginnen und Kollegen sagen, dass sie sich bei Inszenierungen, die nicht funktionieren, weniger belästigt oder verärgert, sondern vor allem unterfordert fühlen als Sänger.

Das ist auch ein Problem, aber ein anderes. Es kommt durchaus vor, dass ein Regisseur Opernregisseur sein will, aber nicht weiß warum.

Wir wollen jetzt Namen hören, das ist klar!

Auf den Leim werde ich jetzt mal nicht kriechen.

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Anders gefragt: Wächst die Leidensfähigkeit mit dem Alter oder der Dauer der Karriere oder wird man eher ungeduldiger, nervöser?

Das gibt es in beide Richtungen. Ich kenne Leute, die sich so aufregen, dass sie diesen Beruf bald nicht mehr lieben – und man muss ihn lieben, sonst kann man ihn nicht durchhalten –, aber zu denen gehöre ich Gott sei Dank nicht. Ich glaube, dass ich toleranter werde. Es ist mir mal passiert, dass ich bei einer Regie, die sehr unbeholfen und fehlerbehaftet war, nach zwei Wochen Proben gesagt habe, okay, ich mach jetzt mal genau das, was ihr inszeniert, und laufe rum wie ein dressierter Affe. Nach der ersten Bühnenprobe waren alle unzufrieden, selbst der Dirigent hat abgebrochen und gefragt: „Sollen wir die Stelle jetzt überspringen oder kommt noch was?“ Schließlich durfte ich zu dem zurückkehren, was ich Wochen vorher angeboten hatte, und das hat der Sache gut getan.

Man kann sich allerdings auch irren. Ich entsinne mich, dass ich 2019 nach der Generalprobe zum Tannhäuser von Tobias Kratzer wütend rausging und dachte, das ist jetzt wieder so ein typischer Fall von einer Regie, der das Stück nicht ausreicht. Für mich wurde hier die Landgrafen- und Minnesängergesellschaft nicht ernst genommen, sondern durch den Kakao gezogen! Ich war überzeugt, dass es schlecht ist, hab mir aber trotzdem noch die Videofassung angesehen. Und plötzlich war zum Beispiel der Ärger über das abgehängte Portal und die damit verbundenen klanglichen Einbußen verrauscht. Tatsächlich verstand ich erst jetzt, dass es in dem Stück nicht um den Konflikt zwischen höfischer und erotischer Liebe geht, sondern um Diversität und Toleranz. Und das hat mir erschlossen, wieviel Gehirnschmalz in dieser Inszenierung steckt und wie raffiniert und facettenreich das umgesetzt ist.

Ich bin also im zweiten Schritt zum Fan dieser Inszenierung geworden. Ich hab mich selber sehr ertappt gefühlt, dass ich mir zu schnell ein Urteil gebildet und mir vom Ärger über Details den Blick habe verstellen lassen auf das Wesentliche. Und weil mir das erst nach über zwanzig Jahren auf der Bühne passiert ist, hab ich mir vorgenommen, den Fehler nicht wieder zu machen! Man muss, glaube ich, der Regie, die ganz anders ist, als man es erwartet hat, zugestehen, dass sie auch ihre Wirkung auf eine andere Weise sucht. Natürlich buhlt Kratzers Inszenierung um die Gunst der Zuschauer, indem sie es witzig und schnell macht und in manchen Dingen den Zeitgeschmack bedient. Aber auf der anderen Seite ist das eine Produktion, die ganz viel profundes theatralisches Können beinhaltet. Ehrlich gesagt hab ich das beim ersten Anblick übersehen – und hab letztendlich reagiert wie ein Hornochse.

Über das Regietheater

Wie war das damals bei Ihrem anderen Spezialfall, dem Bayreuther Ratten-Lohengrin, mit diesem durch die Szene herumirrenden und sehr befremdlichen König Heinrich? War das Liebe auf den zweiten bis dritten Blick?

Es war mein erster Einsatz in Bayreuth. Mit König Heinrich zu debütieren war doch sehr ambitioniert, denn man rechnet eher damit, dass man als Reinmar von Zweter anfängt. Als ich eingeladen wurde, diesen Heinrich zu machen, hab ich mich zunächst geziert. Erst als Katharina Wagner mich in der Partie in Genf gehört hatte und ihre Einladung wiederholte, hab ich angenommen.

Ohne zu wissen, was szenisch kommen würde …

Genau. Ich kannte nur den Namen Hans Neuenfels und dachte, das ist nicht irgendjemand. Dann kamen die Proben und ich war schockiert, denn es gab nur die Regieanweisung: „Der König ist total paranoid“. Ich wusste überhaupt nicht, was ich damit sollte. Ich kriegte noch zwei Äpfelchen zum Spielen und diese merkwürdige Krone auf den Kopf. Aber dieser alte Fuchs Neuenfels hat wahrscheinlich geahnt, dass ich meinen Weg finden würde. Und genauso war es.

Nach zwei Wochen Verzweiflung hab ich mir die Dinge selbst zurechtgelegt und mich gefragt: Wenn der König so schwach ist, wie kann das sein, wenn die Musik etwas anderes erzählt? Meine Hypothese war, dass die Musik die Anforderung an den König formuliert, und ich folglich spielen musste, dass er dieser Anforderung überhaupt nicht gewachsen ist – und warum: Ich suchte also jemanden, der nicht permanent Statements abgibt, wie der König, sondern einen, der sich permanent fragt, was ist hier bloß los? Einer, der beobachtet, der vielleicht wie ein Autist eine besonders sensible Art hat, seine Umgebung wahrzunehmen und vor starken Reizen zu erschrecken, aber unfähig ist, darauf in einer geordneten Art und Weise zu reagieren.

Das war für mich der Schlüssel. Ich hatte am Ende so einen roten Faden, so einen konkreten Filmeindruck von der Partie, dass ich in jeder Sekunde auf der Bühne wusste, was ich denken sollte in dem Moment. Und genau das erzeugt eben Präsenz auf der Bühne. Die Figur hat davon profitiert, weil das Publikum sich dauernd fragen musste, was macht er denn jetzt wieder? Das war nicht auf den ersten Blick zu erklären, aber es war ein Hingucker und hat den König auf eine ganz merkwürdige Weise aufgewertet.

Wobei man das trennen muss, wie sich auch bei Kratzers Tannhäuser zeigt. Da ist einerseits ein ambitioniertes Konzept, das dahintersteckt, bei manchen Inszenierungen kommt es aber genauso darauf an, mit welchen tollen Handwerkern das auf die Bühne gestellt wird. Ich hatte bei diesem Lohengrin den Eindruck, dass die Balance auf der Bühne immer stimmte. Wer wo auftritt, wann der Chor kommt und so weiter, das konnte Neuenfels. Über die Ratten durfte man sich aufregen und versuchen, sie irgendwie einzuordnen, aber wesentlich ist doch, dass etwas transportiert werden kann. – Eine Stunde ist jetzt vorbei. Vor der Publikumsrunde schnell noch von mir die wichtigste Frage: Was macht Gurnemanz im 2. Akt? In Bayreuth haben Sie schließlich drei Stunden Zeit?

Und da ich drei Stunden Zeit habe, muss ich eben Pause machen. Drei Stunden die Spannung aufrecht zu halten ohne zu singen, geht nicht, mit Singen geht das auch nicht, sonst wäre ich im 3. Akt müde. Also muss ich erst runterkommen, in der zweiten Pause wieder hochkommen und mich ein zweites Mal einsingen. Das ist wirklich eine Aufgabe, ich musste das für mich selber erst rausfinden, wie man das nicht nur von der Körperspannung her vorbereitet, dass man im 3. Akt ab dem ersten Ton wieder fit ist. Die Kollegen lachen immer, wenn ich mitten in der zweiten Pause anfange, im Haus Treppen zu steigen. Dann wissen die Ankleider schon: „Aha, es geht bald los, Zeppenfeld wird unruhig.“

Kurt Moll hat mal erzählt, er hatte in München im 2. Akt eine coole Skatrunde. Bei Ihnen ist das anders. Sind Sie denn noch nervös?

Nervös nicht. Ich bin gespannt vor Vorstellungen. Nervös bin ich nur, wenn ich merke, dass irgendwas mit der Stimme nicht stimmt. Das kann sein, wenn eine Erkältung im Anflug ist, wenn ich den Klang oder den Ton nicht finde.

Publikumsfrage: Nehmen Sie immer noch Unterricht?

Nein. Ich bin ja vorzeitig in den Beruf eingestiegen, hatte vor der Abschlussprüfung mein erstes Engagement in Münster. Hans Sotin hat mir damals ein ganz tolles Angebot gemacht. Er sagte: „Geh zur Bühne, da lernst du schneller als im Studierzimmer und wenn du Probleme hast, ruf mich an und komm und wir gucken uns das an.“ Ich bin nach dem Studium noch zweimal bei ihm gewesen, habe Kaspar für eine konzertante Produktion vorbereitet und Fasolt als ersten Wagner. Das hat mir sehr geholfen. Aber später habe ich niemanden mehr an meine Stimme rangelassen.

Thiel: Viele Sänger haben Angst vor dem Sprechen, haben Angst vor Dialogen auf der Bühne. Müssen Sie da switchen oder suchen Sie die jeweilige Stimme?

Eigentlich finde ich das erst für jede Partie neu. Inzwischen ist die Zauberflöte kein Problem mehr, aber im 2. Akt gehe ich beim langen Dialog vor „O Isis“ sehr zeitig in ein gestützteres Sprechen über, damit die Arie vom ersten Ton an richtig präsent ist. Anders ist das beim Kaspar, der hat sehr viel Dialog – zumindest in der Dresdner Inszenierung – und muss auch Gift haben in der Stimme. Man kann das nicht sprechen wie ein Oberschüler, sondern man muss in der Sprechstimme seine Aggressivität und den Druck spüren, denn diesem Mann sitzt der Leibhaftige im Nacken. Und das muss man genauso üben wie das Singen, damit es sich in der Vorstellung gegenseitig nicht stört.

Publikumsfrage: Darf ich mir die Arie des Gremin aus Eugen Onegin wünschen?

Die wünsch ich mir auch! Ich habe mit dieser Arie schließlich alle meine Vorsingen bestritten. Ich hatte ein Standardprogramm bestehend aus Sarastro, aus Szene und Arie von de Silva in Ernani sowie der Gremin-Arie. Mit der Gremin-Arie habe ich immer alle gekriegt, weil sie mir sehr entgegenkommt. Sie hat eben genau diese Farben, die mir entgegenkommen, und einen schönen tiefen Ton am Schluss – das haben alle gemocht. Aber es hat lange gedauert, bis ich ihn in Dresden das erste Mal singen durfte – nicht in der Premiere, sondern in der späteren Vorstellungsserie. Ich komme bislang auf nur drei Vorstellungen, weil es immer wieder aus terminlichen Gründen gescheitert ist, aber ich werde das gerne wieder singen, wenn sich die Möglichkeit ergibt. Es ist einfach herrlich: Eine kurze vorangehende Szene, es folgt diese wunderbare Arie, noch zwei Sätze hinterher, die Partie ist damit gesungen und man ist der große Gewinner.

Über die Lieblingpartien

Thiel: Das ist genauso wie bei König Marke! Dieser dankbare Monolog ist so perfekt integriert in das Ganze …

Man hat es als Marke auf eine gewisse Weise leicht, denn es spielt nur das halbe Orchester. Die Leute haben vorher gefühlt stundenlang einen Sopran und einen Tenor angehört, nur die Hälfte verstanden und plötzlich schweigen zumindest die ersten Geigen und man hört fünfzehn Minuten wunderschöne, ergreifende Musik und versteht jedes Wort, weil das so geschrieben ist – das ist natürlich ein Geschenk!

Publikumsfrage: Haben Sie eine Lieblingspartie?

Nein, ich hab viele Lieblingspartien – und das ist kein Klischee. Die meisten Sänger sagen: „Das, woran ich gerade arbeite“. Aber es ist tatsächlich so, dass ich froh bin, mich nicht entscheiden zu müssen, eine Partie toll zu finden und die anderen weniger. Sondern es gibt wahnsinnig viel, wofür es sich lohnt, Sänger zu werden. Dazu gehört der Gremin, dazu gehört mittlerweile sogar der Sarastro, den ich definitiv zu früh gesungen habe, gleich in meiner ersten Spielzeit. Das ist eben so, wenn man an einem kleinen Theater anfängt. Man muss es machen, man muss sich finden und dazu verhalten, aber die Angst vor dieser großen Persönlichkeit, die man mit einem Nichts an Mitteln auf die Bühne bringen muss, hat mich lange begleitet. Ich bin erst jetzt zuhause in der Partie und singe sie sehr gerne. Zu den Lieblingspartien gehören der Philipp in Don Carlos, Gurnemanz sowieso, inzwischen auch der Sachs, wenn ich genügend Zeit habe, ihn vorzubereiten – und noch einiges mehr.

Publikumsfrage: Wie ernähren Sie sich?

Ich versuche, mich so normal wie möglich zu ernähren, ausgewogen nach allen Richtungen. Das einzige, was ich vermeide, sind Übertreibungen. Ich bin weder Vegetarier noch sonstwas …

Publikumsfrage: Und Alkohol?

Wenig, kommt aber vor.

Thiel: Wenn Sie in Bayreuth viel Rad fahren, hin und wieder Weißbier trinken und zwei Kilo mehr haben, fühlen Sie sich damit wohler?

Ja. Wenn ich unter achtzig Kilo wiege und das war jetzt, als ich aus Wien kam, der Fall, ist das meistens eine Folge von Stress. Deshalb esse ich nicht weniger oder mehr als sonst, mein Gewicht schwankt einfach im Rahmen von plus oder minus zwei Kilos. In Bayreuth gibt es diese gewissen Weißbierkilos und die tun meiner Stimme gut …

Publikumsfrage: Wenn Sie italienische Partien singen, müssen Sie doch viel fremden Text lernen?

Ja, denn ich spreche nur so viel italienisch, um in Italien nicht zu verhungern. Ich habe aber festgestellt, dass es hin und wieder gut ist, in einer Sprache zu singen, die man nicht spricht. Im Russischen zum Beispiel dauert es viel länger, bis ich eine Partie draufhabe. Aber das ist durchaus von Vorteil, denn zumindest bei mir lernt die Stimme langsamer als der Kopf. Wenn ich eine deutsche Partie lerne, bin ich schnell im Bilde, was den Text angeht, und kann alles schnell auswendig. Das birgt die Gefahr, dass man zu früh in zu langen Etappen mit der Stimme arbeitet. Bis die Stimme ihren Weg gefunden hat, etwas schlackenfrei zu produzieren und mit den Farben, die ich möchte, braucht es eben Zeit. Dieses Ungleichgewicht zwischen Gehirn und Stimme wird durch den fremdsprachlichen Text ein bisschen aufgehoben. Das Gehirn hat ein Handicap und dadurch bin ich gezwungen, sorgfältig und langwierig auch mit der Stimme zu arbeiten.

Was ich an russischen oder französischen Partien, die mir von der Sprache her nicht so nahe liegen, gesungen habe, das kann ich stimmlich ausgesprochen gut. Für mein zweites Engagement am Theater Bonn habe ich zum Beispiel eigens den Pimen in Boris Godunow gelernt – eine vierzig bis fünfundvierzig Minuten dauernde Partie, wenn sie nicht gestrichen ist, und das ist, wenn man kein Wort russisch spricht, eine Heidenarbeit. Ich hatte das sehr gut vorbereitete, aber als ich ankam, sollte es ein älterer Sänger sein. Da war ich logischerweise erstmal sauer, aber ein Jahr später bin ich in einer Premiere mit der Partie kurzfristig eingesprungen. Bevor ich zusagte, habe ich mich noch zwei Stunden mit der Partie befasst und das war aufgrund dieses sprachlichen Handicaps so gut gearbeitet, dass ich bei diesem Einspringen überhaupt keine Probleme hatte.

Publikumsfrage: Wie lange dauert es, bis Sie eine fremdsprachliche Partie gelernt haben?

Das hängt von der Partie ab. Bei Pimen waren es Monate, für den Sachs, obwohl auf Deutsch, habe ich mir drei Jahre Zeit gelassen und immer mal wieder in Abschnitten gearbeitet. Es ging früher schneller als heute, bis ich sicher, bis ich sattelfest bin. Also muss ich mir mehr Zeit nehmen und entsprechend planen und einteilen.

Thiel: Steht Ihnen eine große Aufgabe bevor, an der Sie gerade dran sind?

Ich werde die Gelegenheit haben, 2026 in Amsterdam zum ersten Mal den Fiesco in Simone Boccanegra zu singen – eine der wenigen Verdi-Partien, die ich noch nicht gesungen habe. Damit fange ich in Kürze an, weil das eine umfangreiche und wichtige Partie ist, die ich unbedingt gut können will, wenn die Proben beginnen. Ansonsten steht noch der Frère Laurent in Romeo et Juliette an, das ist keine große Partie, aber es kommen immer wieder Debüts, zum Beispiel Die Liebe zu den drei Orangen, nächste Spielzeit in Dresden.

Thiel: Das ist eine komische Oper. Ist das nicht Fremdland für Sie?

Ganz Fremdland ist das Komische nicht. Baculus im Wildschütz habe ich gesungen, das hat wunderbar funktioniert, bei Prokofjev ist das eine ganz andere Art von Komik und braucht einen anderen Pinsel. Ich bin gespannt drauf. Wie das wird, hängt auch von der Regie ab.

Publikumsfrage: Wenn Sie in einer fremden Sprache eine Partie lernen, haben Sie dazu einen Sprachlehrer?

Wenn es nötig ist, ja. Für Dresden habe ich unter anderem den Wassermann in Rusalka gelernt und bekam einen sehr guten tschechischen Sprachcoach. Er hatte selbst eine Gesangsausbildung und eine sehr hilfreiche Art, die Stimme und diese aus unserer Sicht seltsame Sprache miteinander in Einklang zu bringen. Ich hab anschließend Post bekommen von einer deutsch-tschechischen Gesellschaft, die in Dresden ansässig ist, und man hat mir bescheinigt, dass man bei mir keinen Akzent gehört hätte. Das hab ich Herrn Prohaska sehr zu danken.

Publikumsfrage: Haben Sie sich den 2. Akt Parsifal durch die AR-Brille angesehen?

Ja, hab ich. Ich war ein bisschen enttäuscht davon, dass die Bilder, die der Produktion hinzugefügt wurden, inhaltlich nicht das geleistet haben, was ich mir versprochen hatte. Ich hatte einfach erwartet, dass sie ein neues Licht auf den Parsifal als Stück werfen oder mir Dinge eröffnen, die ich noch nicht gesehen habe. Stattdessen fand ich das, was gezeigt wurde, eher illustrativ und ein bisschen wenig, um den Aufwand zu rechtfertigen. Zudem hatte ich das Gefühl, dass Computeranimationen das seit zwanzig Jahren können. Ich bin jetzt gespannt, was Jay Scheib alles ändern wird. Wir fangen morgen an mit den Proben und ich freue mich sehr auf diesen Gurnemanz!

Publikumsfrage: Bayreuth ist eines der letzten Häuser, wo es keine Übertitel gibt. Was sagen Sie dazu?

Wenn ich ehrlich bin: Übertitel stören mich, denn dann sehe ich die ganze Zeit ein Publikum, das nach oben guckt. Ich stelle mir das sehr anstrengend vor, weil einen das Mitlesen immer wieder aus der Illusion herausholt. Als Zuschauer könnte ich gar nicht am Bühnengeschehen dranbleiben, wenn ich die ganze Zeit mitlesen sollte. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr an der anderen Seite arbeiten. Es muss doch möglich sein, dass man von der Bühne herunter verstanden werden kann. Das ist von Haus aus schwieriger für Tenöre und Soprane, weil deren Art zu singen es ein bisschen schwerer macht. Ich empfinde Übertitel als Kapitulation, deshalb bin ich kein Fan davon.

Publikumsfrage: Vielleicht wäre es der bessere Weg, wenn die Zuschauer sich vorher den Text anschauen?

Natürlich wäre das ein Teil vom Ideal. Aber ich bin nicht so optimistisch, dass man insbesondere von Leuten, die nicht so opernerfahren sind wie Sie und noch nicht diese Affinität haben zu dieser Kunstform, erwarten kann, dass sie sich im Vorhinein mit den Stücken beschäftigen. Der Zeitgeist geht gerade eher in eine andere Richtung. Aber wenn ich mir überlege, wie wir junge Leute ins Theater bekommen und sie halten wollen, müssen wir eigentlich so erzählen, dass sich ihnen beim Zuschauen und Zuhören wie von selbst etwas erschließt.

Das Gespräch wurde von Monika Beer transkribiert und bearbeitet und BackstageClassical mit freundlicher Genehmigung von Markus Thiel und Georg Zeppenfeld zur Verfügung gestellt.

Markus Thiel

Markus Thiel, geboren 1965 in Bad Tölz, ist Musikredakteur des Münchner Merkur. Darüber hinaus arbeitet er als Autor für das Magazin Opernwelt und ist Jury-Mitglied beim Preis der deutschen Schallplattenkritik. Er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, spielt Orgel und Klarinette und hat eine Gesangsausbildung. Bei Henschel erschien seine Biografie über Edita Gruberova (Der Gesang ist mein Geschenk), bei Piper sein Buch über Mariss Jansons (Ein leidenschaftliches Leben für die Musik).

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