In Kassel und Bremerhaven begehren die Orchester auf. Und die Intendanten interessiert das nur wenig. Die Machtkämpfe an deutschen Theatern mehren sich.
Verschieben sich an unseren Stadttheatern gerade die Machtstrukturen zwischen Intendanten und Orchestern? An mindestens zwei Häusern toben derzeit erbitterte Verteilungskämpfe zwischen der Theaterleitung und den musikalischen Ensembles: In Kassel hat sich Intendant Florian Lutz mit seiner GMD-Wahl gerade gegen ein Votum des Orchesters durchgesetzt, in Bremerhaven streitet das Orchester mit Intendant Lars Tietje um die Machtfülle des zukünftigen GMD innerhalb der Theaterleitung.
Der Krach in Kassel schwelt schon seit längerer Zeit. Das Orchester fühlt sich hier von Intendant Lutz übergangen, es gab »Maulkörbe« und öffentlich inszenierte Scharmützel zwischen Intendanz, Orchester und GMD (BackstageClassical hat sich das alles vor Ort angeschaut). Lutz‘ Konzept der »Raumbühne« hat – nach Auffassung des Orchesters – die Musik in den Hintergrund gedrängt. GMD Francesco Angelico hatte lautstark Bedenken angemeldet und ist im Mai frustriert von seinem GMD-Posten zurückgetreten. Er wird sich bis zu seinem Vertragsende nur noch um den Konzertbetrieb kümmern. Auch gegen die Vertragsverlängerung von Florian Lutz ist das Orchester lautstark auf die Barrikaden gegangen, hat die Freunde des Theaters, Mäzene und die lokale Presse mobilisiert, konnte sich am Ende aber nicht durchsetzen. Lutz wurde vom Kassler Bürgermeister Sven Schöller und vom hessischen Kulturminister Timon Gremmels verlängert. Beide hoffen, dass der interne Streit mit Mediationen geschlichtet werden kann.
Doch das scheint gerade mächtig in die Hose zu gehen, denn Lutz hat nun den 45jährigen Letten Ainars Rubikis als Nachfolger von Angelico bekanntgegeben. Rubikis soll 2025 beginnen, zunächst für drei Jahre. Dabei hatte das Orchester sich (angeblich mit großer Mehrheit) in einer Versammlung gegen ihn ausgesprochen. Lutz setzte den Dirigenten dennoch durch – und das, obwohl er zuvor öffentlich erklärt hatte, dass es kein GMD-Votum der Intendanz gegen das Orchester geben würde. Klar, dass die Musikerinnen und Musiker nun Verrat wittern.
Auch in Bremerhaven hatte das Orchester letzte Woche aufbegehrt. Hier hatte GMD Marc Niemann seinen Abgang bekanntgegeben (offenbar auch auf Grund von Reibungen mit Intendant Lars Tietje). Daraufhin schreib Tietje die Stelle des GMD nun neu aus – allerdings nicht mehr in gleichberechtigter Führungsposition. In Zukunft sollen der Verwaltungsdirektor und der Intendant die alleinigen Entscheidungsträger sein. Das Orchester ging daraufhin mit einem Protest-Brief an die Öffentlichkeit (BackstageClassical hat berichtet).
In ihrem Brief beklagen die Musikerinnen und Musiker nicht nur die Ausschreibung an sich (und dass Sie am ersten Ferientag veröffentlicht wurde), sondern auch Tietjes Orientierung hin zum Musical, seinen allgemeinen Führungsstil und seine Ignoranz gegenüber dem Orchester. Schon in seiner vorherigen Stelle in Schwerin hatte Tietje erheblichen Krach mit dem Ensemble.
Inzwischen gab es ein erstes Krisengespräch in Bremerhaven mit dem zuständigen Kulturdezernenten Michael Frost. Danach verschickte das Orchester eine erneute Pressemitteilung. Dieses Mal mit einem erstaunlich selbstkritischen Unterton: »Leider müssen wir feststellen, dass erhebliche Kommunikationsdefizite, auch – aber nicht nur – auf Seite der Arbeitnehmervertretung, zur jetzigen Situation geführt haben. Diese aufzuarbeiten ist eine Aufgabe, der sich alle Beteiligten zu stellen haben.«
Wurden dem Orchester hier die Leviten gelesen? Wurde ihm ein Maulkorb verpasst? Wurde mit Konsequenzen gedroht? Trotz des offensichtlichen Rückzugs ist nicht davon auszugehen, dass sich die Musikerinnen und Musiker in Bremerhaven die Beschneidung ihres GMD zukünftig einfach so gefallen lassen. Derzeit sieht alles nach einem Waffenstillstand bis Ende der Sommerpause aus. Hinter den Kulissen wird der Orchestervorstand sicher untersuchen, wie der Intendant in Bremerhaven und seine Verwaltungsdirektorin Franziska Grevesmühl von Marcard die Neuordnung schon von langer Hand – und unter Einbeziehung des Kulturdezernenten – geplant haben. Am 12. August sollen weitere Gespräche stattfinden, und es ist davon auszugehen, dass beide Seiten ihre Truppen bis dahin neu formiert haben.
Kassel und Bremerhaven sind zwei Beispiele, wie Orchester derzeit um ihre Position und um Mitsprache in den Theatern ringen. Und dafür, wie Intendanten versuchen, genau das zu verhindern. Die Bilder in Kassel und Bremerhaven ähneln sich: In beiden Fällen stehen den Orchestern Theaterleiter gegenüber, die sich mit der Kommunikation schwertun, die es offensichtlich nicht schaffen, ein großes Haus auch emotional für ihren (in Teilen sogar spannenden und innovativen) Kurs zu begeistern. Und, ja: Die ein vollkommen anderes Bild von Musiktheater zu haben scheinen als die meisten Musikerinnen und Musiker.
Auf der anderen Seite stehen selbstbewusste Orchester, die um ihre Macht wissen – und ihre Werkzeuge im Konflikt auch gern offen zeigen. Meist sind sie die einzige Gruppe an einem Theater, die durch Tarifverträge so abgesichert ist, dass sie Missstände benennen kann, ohne berufliche Konsequenzen zu befürchten. Und so beobachten wir gerade an vielen Orten ein Ringen um die bestehenden Theaterstrukturen. Kassel und Bremerhaven sind dabei zwei Beispiele, wie Machtkämpfe eher nicht ausgetragen werden sollten. Auch, weil in beiden Fällen zu sehen ist, dass die Kulturpolitik als Vermittlerin katastrophal scheitert.
Den Kulturpolitikern in Bremerhaven und Kassel ist es weder gelungen, ihren Intendanten in einem Konflikt konstruktiv zur Seite zu stehen, noch haben sie das Orchester befrieden können. Es ist zu beobachten, dass die Kulturpolitik sich gern aus internen Konflikten des Theaters herauszieht oder sich rückhaltlos hinter den Intendanten stellt. Dabei ist die Politik die Trägerin der Häuser und damit Hauptverantwortliche für die oft vielen hundert Beschäftigten.
Uneingelöste Versprchen, das Vertrösten auf Mediationen und eine einseitige Kulturpolitik zerstören nicht nur bei den Orchestern ein grundlegendes Vertrauen die Politik an sich, sondern auch in der Öffentlichkeit, wo derartige Theaterstreitereien einfach nicht nachvollzogen werden können. Gerade in Konflikt-Zeiten brauchen unsere Kulturinstitutionen Kulturpolitiker, die Machtfragen, aber vor allen Dingen auch Richtungsentscheidungen über die Zukunft der Theater klug und glaubwürdig moderieren.