Opern-HSV und Kahlschlag im Klassik-Journalismus

Februar 10, 2025
6 mins read
Das Baakenhöft in Hamburg. Hier soll die neue Oper entstehen (Foto: Kuroe)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute geht es um das Pro und Contra für einen Opernneubau in Hamburg, um weiteren Kulturabbau im Radio, um einen erstaunten Kontrabassisten und um das »Wie« beim Applaus. Neben diesem Newsletter bietet BackstageClassical täglich News aus der Welt der Klassik – also speichern Sie unsere Seite in Ihren Bookmarks und folgen Sie uns bei Instagram, Facebook oder – unser neuer Liebling! – BlueSky, um aktuell auf dem Laufenden zu sein.   

Der Opern HSV

Nun also doch? Hamburg will sich eine Oper von Unternehmer Klaus-Michael Kühne und seiner Stiftung schenken lassen. Der designierte Chefdirigent Omer Meir Wellber schrieb mir in einer SMS: »It’s a Big Day for Hamburg!« Aber bleiben wir realistisch: Noch ist nicht viel mehr beschlossen, als dass es eine Ausschreibung geben soll. Erst danach will Kühne entscheiden, ob er wirklich investiert. Und auch Hamburgs Bürgergesellschaft hätte da noch einige Fragen: Sollte Kühne nicht erst einmal die Nazi-Vergangenheit seines Unternehmens aufarbeiten? Und sind die versprochenen 330 Millionen nicht Peanuts gegen die Summe, die der 37 Milliarden (!) schwere Unternehmer in Hamburg an Steuern gezahlt hätte, wären er und sein Unternehmen nicht in die Schweiz übergesiedelt? Und können Leuchtturm-Architekturen der lokalen Klassik-Szene wirklich helfen? Bei Berlin denkt man an die Philharmoniker, ebenso bei Wien – und auch in Dresden kommt einem schnell die Staatskapelle in den Kopf. Die Klassik-Metropole Hamburg verbindet man dagegen weniger mit einem Orchester, sondern mit einer Hochglanz-Gastspiel-Immobilie – der Elbphilharmonie. Und warum kickt der HSV trotz Kühne-Millionen noch immer in der 2. Liga? Eine öffentliche Opern-Debatte ist in Hamburg gerade jetzt wichtig, wenn Kühnes Schenkung ein Erfolg werden soll – all das erkläre ich beim NDR und in einem kleinen Essay.  

Woanders ist es auch nicht besser 

Entwurf für die neue Glocke (Bild: SWD Architekten / GINA Barcelona Architects)

Was Hamburg kann, will Bremen auch können. Hier wurde gerade der Plan für den Umbau der Glocke abgesegnet. Auch hier wird um Privat-Sponsoren geworben. Aber ist die Planung nicht etwas kurzsichtig und kleinteilig? Ich finde: Etwas mehr butenbremer Expertise und Inhalt wäre angebracht. Die Stadt Köln rechnet mit einer Rückkehr der Oper an den Offenbachplatz im Juli 2026. Laut aktuellem Stand seien die Bauarbeiten zu 85 bis 90 Prozent abgeschlossen. Die Gesamtkosten der Opern-Baustelle belaufen sich inzwischen auf 1,5 Milliarden Euro. All das scheint andere Städte nicht von eigenen Sanierungen oder Neubauten abzuhalten: Frankfurt freut sich auf »Deutschlands größten Kulturneubau« für Schauspiel, Oper und Ballett – Kosten: 1,3 Milliarden. Und Stuttgarts Intendant Viktor Schoner hat im BackstageClassicalPodcast erklärt, warum eine Milliarden-Sanierung auch an seinem Haus alternativlos ist.  

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Sendeschluss für SCALA!

Wie die Kultur im Radio weich- und weggespült wird, haben wir zuletzt erlebt, als rbbKultur in Radio 3 umbenannt wurde und sich eine Zeit lang der von Klassik-Wissen weitgehend befreite Jörg Thadeusz im Morgenradio neuerdings das Tuten und Blasen erklären ließ. Der nächste Klassik-Kahlschlag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk findet nun beim WDR statt. Der Sender versteckt seine Kürzungen allerdings so klug wie der Osterhase seine faulen Eier: Die Sendung Scala auf WDR 5 wird durch eine Wiederholung des WDR3-Magazins Westart ersetzt. Westart wiederum ist der neue  Name für die Kultur am Mittag beim WDR. Radio-Journalist Stefan Keim kommentiert auf Facebook: »Das bedeutet, dass für Berichterstattung über Kultur in NRW mindestens vier Beitragsplätze am Tag wegfallen.« (Hier noch eine Zusammenfassung aller Kulturradio-Kürzungen).

Bass erstaunt

Die Kontrabaßistin Orin O’Brien bei den New York Philharmonic (Foto: Netflix)

Ich freue mich, dass der wohl kreativste Kontrabass-Spieler, der ehemalige Wiener Philharmoniker und Grenzgänger seines Instrumentes, dass der Komponist und Instrumentalist Georg Breinschmid für BackstageClassical die kleine und feine Netflix-Doku The only Girl in the Orchestra angeschaut hat. Breinschmid schreibt über die erste Frau im New York Philharmonic, Orin O’Brien, und erinnert sich an die wilden Debatten um Musikerinnen im Orchester der Wiener Philharmoniker: »Auf einer USA-Konzertreise im Frühjahr 1997, bei der ich auch spielte, gab es vor den Konzerten in Los Angeles und New York noch Proteste von Frauenrechtsgruppen gegen die Auftritte des Orchesters.« Ich lege Ihnen den ganzen Text – und natürlich die Doku – sehr ans Herz.

Kritiken bei BackstageClassical

Auf unserer Seite finden Sie regelmäßig Kritiken wichtiger Klassik-Premieren. Lesen Sie hier:

Ciao, ciao Chialo! 

Wir bei BackstageClassical haben die Arbeit von Berlins Kultursenator Joe Chialo schon lange vor den Berliner Sparmaßnahmen verfolgt – besonders auch das Klima unter seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (oder hier im Talk mit Michel Friedman). Und es macht mich immer wieder fassungslos, wie sein planloser, kunstfremder und egozentrischer Sparkurs ihm regelmäßig Aufmerksamkeit bringt. Zuletzt in einem merkwürdigen Spiegel-Interview, in dem Chialo Sachen sagt wie: »Wir haben frühzeitig informiert und deutlich gemacht, dass herausfordernde Zeiten kommen. Aber man war in der Kultur durch die Erfahrungen der vergangenen Jahre sehr daran gewöhnt, Krisen durch zusätzliche Mittel zu überbrücken, ohne langfristige strukturelle Änderungen anzustreben. Das hat wohl dafür gesorgt, dass die Dringlichkeit sich versendet hat.« Dieses Zitat ist ein typischer Chialo: Es wird schwer sein, in Berlin nur einen verantwortlichen Kulturschaffenden zu finden, der von Chialo »frühzeitig« informiert wurde. Und, ja, für strukturelle Änderungen plädieren Beobachter in Berlin schon lange – aber Chialos Sparmaßnahmen sind alles andere als strukturell! Sie sind ein irrationaler, willkürlicher Kultur-Kahlschlag. Man dachte, viel schlimmer als Claudia Roth kann es in der Bundes-Kultur nicht werden – Chialo würde auch hier das Gegenteil beweisen.   

Barenboim erklärt Parkinson-Erkrankung

(Foto: Instagram)

Noch vor wenigen Tagen hatte Mischa Maisky ein Bild von sich, Daniel Barenboim und Martha Argerich in Berlin gepostet (s.o.). Nun erklärt der Dirigent, dass er an Parkinson erkrankt sei: »Mit Blick auf die Zukunft plane ich, so viele meiner beruflichen Verpflichtungen wie möglich aufrechtzuerhalten. Wenn ich nicht in der Lage bin, aufzutreten, dann deshalb, weil meine Gesundheit es mir nicht erlaubt. Wie immer betrachte ich das West-Eastern Divan Orchestra als meine wichtigste Verantwortung. Es ist mir ein großes Anliegen, die langfristige Stabilität und Entwicklung des Orchesters zu gewährleisten.«

Personalien der Woche

Wer wird das Brucknerhaus in Linz in die Zukunft führen? 18 Bewerbungen für den Artistic Director und 40 Bewerbungen für den Executive Director sind bislang eingegangen. Mitte April soll entschieden werden – von einer typischen Österreich-Kommission unter Vorsitz von Meinhard Lukas. Mit dabei: Christian Kircher, Geschäftsführer Bundestheater Holding GmbH, Helga Rabl-Stadler und Franz Welser-Möst. Interims-Leiterin Johanna Möslinger hat sich ebenfalls beworben und sagt, das Haus brauche einen Paradigmawechsel. Aber auch andere Kandidaten sollen spannende Konzepte vorgelegt haben. +++

Mehr Haydn auf die Spielpläne!

Dirigent Johannes Klumpp hasst die Frage, welche Haydn-Symphonien öfters gespielt werden sollten. Im BackstageClassical-Podcast legt er sich dennoch fest: Die Symphonien 2, 13 und 80 sind seine »Hidden Champions«. Außerdem spricht Klumpp über die Bedeutung des Mäzenatentums für die Musik, über Haydn als kreativen Entwickler der Musikgeschichte und über die Einspielung aller Haydn-Symphonien mit den Heidelberger Sinfonikern bei Hänssler Classics. Eine unterhaltsame halbe Musikstunde mit einem großen Experten – nachzuhören hier.  

Der Podcast von BackstageClassical

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Ich war erstaunt, wie viele Reaktionen ein kleiner Text diese Woche erregte, in dem ich über das Applaudieren geschrieben habe: Ist das vermehrte Applaudieren in den letzten Ton eines Satzes Zeichen einer egoistischen Demonstration die ruft: »Schaut her, ich bin begeistert?«. Oder sind die Applaus-Rowdies nur die Konsequenz eines Klassik-Betriebes, der nicht mehr mit dem Inhalt und der Tiefe der Kunst für sich wirbt, sondern mit dem Konzert als Event? In den sozialen Medien gab es viele Reaktionen: »Immer öfter unterhalten sich Besucher während der Aufführung lautstark«, schrieb einer, »meine Reaktion: ein dezenter Hinweise darauf, dass man nicht auf dem Wohnzimmersofa sitzt, hilft meistens.« Ein anderer kommentierte: »Die Sache mit den Standing Ovations kann man auch anders deuten: Das Aufstehen könnte statt Begeisterung auch einfach Respekt ausdrücken.«

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Rainer Glaap berichtet: »Ich erinnere mich an ein Orchesterkonzert der Bremer Philharmoniker vor einigen Jahren in der Glocke. Das Orchester hatte ein Ensemble für klassische türkische Musik aus Istanbul eingeladen. Erst spielten die einen, dann die anderen – dann spielten alle zusammen eine Mozart-Symphonie. Nach dem ersten Satz klatschten einige wenige Menschen im Publikum. Und wurden umgehend von der überwiegenden Mehrheit des älteren Abo-Publikums ausgezischt. Geklatscht hatten die wenigen Erstbesucher mit migrantischem Hintergrund, die aufgrund des türkischen Ensembles ihren ersten Besuch in der Glocke gewagt hatten – und mit ihrem Klatschen bewiesen, dass sie der kulturellen Codes unkundig waren, die im Konzerthaus gelten. Da drehte sich der damalige GMD Markus Poschner um, unterbrach das Konzert, und sagte: ‚Meine Damen und Herren, einige von Ihnen sind heute vielleicht zum ersten Mal zu Gast bei uns in der Glocke. Darüber freue ich mich sehr. Und wenn Sie Ihrer Freude über die Musik hier Ausdruck verleihen wollen, dann klatschen Sie bitte, wann und wie oft Sie möchten!’ Danach wurde nicht mehr gezischt.« 

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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