Die Oper in Stuttgart muss saniert werden: Das wird dauern – vier Jahre länger als geplant. Intendant Viktor Schoner über die Notwendigkeit von Kulturbauten auch in Zeiten der Krise.
English summary: Stuttgart’s opera house renovation faces a four-year delay, with costs exceeding a billion euros. Director Viktor Schoner discusses the importance of cultural buildings, even during crises, arguing that operas are essential for cities’ cultural and economic appeal. While public opinion on high cultural expenses is mixed, industry leaders like those at Bosch see theaters as key to making Stuttgart attractive. Schoner emphasizes the need for cultural institutions to innovate and remain relevant to both traditional audiences and new, younger visitors. The planned reopening is set for 2043, with hopes that today’s planners will celebrate the completion—rollators ready if needed.
In den letzten Wochen haben wir uns ein kleines Fernduell mit der Staatsoper Stuttgart geliefert, mit der wunderbar augenzwinkernden Öffentlichkeitsabteilung und dem Intendanten Viktor Schoner. Auslöser war der Skandal um Florentina Holzingers Sancta-Inszenierung (hier unsere Rezension). Nun haben wir eine Friedenspfeife im Intendantenbüro geraucht und Merchandising-Artikel ausgetauscht: Die Stuttgarter Oper hat mir ein pinkes Sweatshirt mit der FAZ-Überschrift zu Sancta mitgebracht (»In der Oper gewesen, gekotzt.«) ich habe mich mit einer BackstageClassical-Trinkflasche (»Labung biet ich dem lechzenden Gaumen«) revanchiert.
Und natürlich haben wir auch über die Zukunft der Stuttgarter Oper gesprochen: Vier Jahre Verspätung wurden für die nötige Sanierung errechnet. Kosten von weit mehr als einer Milliarde Euro. Wie sollen wir Bauvorhaben wie diese den Menschen in Zeiten der Krise erklären? Das wollte ich von Viktor Schoner wissen. Im Podcast debattieren wir das Thema ausführlich (hier für ApplePodcast und hier für alle anderen Player).
Die wichtigsten Momente des Interviews
Wie legitimieren wir heute Kultur-Umbauten von über einer Milliarde Euro?
Wir sind eine Kulturnation, und das ist gut so. Über das Schloss Neuschwanstein debattiert auch niemand, ob man das bewahren soll oder nicht. Gleiches sollte auch für die Opernhäuser gelten. Schauen Sie in andere Länder: In China werden Opernhäuser gebaut, in Skandinavien – und die deutsche Gesellschaft glaubt, dass wir keine Identifikationsorte in den Downtown-Situationen einer bürgerlichen Stadt brauchen? Ich glaube, die Diskussion ist verschoben und wir müssen dafür sorgen, dass wir mit der Kunst, die wir in diesen Räumen stattfinden lassen, relevante Themen behandeln. Stellen Sie sich vor, wir würden diese Räume versanden lassen? Was würde passieren, wenn wir das Opernhaus in Stuttgart verfallen lassen? Dann wären sich doch sofort alle einig – die Menschen von Mercedes, Bosch, Allianz und Porsche – dass wir alles dransetzen müssen, um die Kultur vor Ort zu fördern. Denn nur mit diesem Angebot können wir auch die nötigen Fachkräfte in die Stadt locken.
Aber die öffentliche Debatte sieht oft anders aus…
Es gibt eine Debatte in der Öffentlichkeit, und es gibt Gespräche, die man hinter den Kulissen führt, gerade auch mit Politikerinnen, Politikern und Wirtschaftsführern. Und die sagen einhellig, dass es in Zukunft darum gehen muss, Bildung, Sicherheit und Innovation zu sichern. Wir Kulturschaffenden müssen sehen, dass wir auf diesem Fortschrittsdampfer mit dabei sind. Wir müssen innovativ vorangehen, sowohl nach außen als auch nach innen. Wir haben in Deutschland wenig Rohstoffe, alles was wir haben, ist intellektuelle Weitsicht. Und da spielen Kultur und Bildung eine wichtige Rolle.
Ist die Verdummung nicht schon zu weit vorangeschritten?
Wir müssen schneller sein als die Probleme. Ja, es liegt einiges im Argen, was die Bildungspolitik betrifft, aber wir müssen die Kultusminister überzeugen, dass Bildung essenziell ist. Dabei hilft mir auch die internationale Perspektive. Die Personalchefin von Bosch kommt aus Spanien, und sagt: »Schließen Sie alles, aber bitte nicht das Theater! Um Leute nach Stuttgart zu kriegen, brauche ich Orte, die diese Stadt cool und attraktiv machen.« Cool und attraktiv ist derzeit sicher nicht der Bahnhof, aber immerhin: Auf für den VfB läuft es derzeit super. Und da sollten wir als Kultur auch anknüpfen. Die Sponsoren von Fußball und Oper ähneln sich sehr, und auch die VIP Lounge im Stadium und die Leute bei unseren Premierenempfängen sind ähnlich: Die Oper ist ein gesellschaftlicher Raum und gleichzeitig für alle Menschen in der Stadt und im Land da. Wir müssen eine positive Story erzählen – und die ist ja nicht einmal erfunden. Wir müssen einfach dafür sorgen, dass die Menschen wichtig finden, was wir tun!
Aber haben Sie nicht den Eindruck, dass der Rückhalt langsam schwindet, und dass man die Rollte des Theaters noch radikaler neu denken müsste?
Damit rennen Sie bei mir offene Türen ein. Wir dürfen den Wandel nicht aus der Not heraus anpacken und dürfen dabei auch nicht aus dem letzten Loch pfeifen. Wir müssen Veränderungen aus einer Position der Stärke schaffen. Und die spüren wir ja auch: Wir haben eine gute Auslastung, unsere Stücke bedienen ein ganz unterschiedliches Publikum, manche kommen für den Skandal, andere für einen Moment des Eskapismus. Beides ist legitim. Gerade deshalb müssen wir schon jetzt auch das Morgen mitdenken. Abende wie Sancta sind dabei sehr lehrreich: Wir hatten ein neues Publikum, ohne dass wir das alte verloren haben. Deshalb müssen wir raus aus der Bubble und weiterhin unabdingbar auf Seriosität und Qualität setzen!
In Berlin scheint der politische Rückhalt derzeit zu fehlen.
Ja, die Situation in Berlin macht mir ebenfalls große Sorgen. Die Stadt macht eindeutig den falschen Schritt, und die Politik scheint zu verdrängen, dass sie nicht nur an die Kultur, sondern auch an die gesamtgesellschaftliche Verantwortung denken sollte.
Umbau und Renovierung in Stuttgart verzögern sich derzeit massiv – wie gehen Sie damit um?
Wir haben eine Projektgesellschaft gegründet, die nun auch die neuen Zahlen veröffentlich hat. Wir sind da sehr transparent, und ich muss sagen: Trotz der Schwierigkeiten gibt es kaum Stimmen, die grundsätzlich gegen den Umbau sind. Gerade hier im Ländle ist es wichtig, dass wir die Perspektiven nicht nur auf die Städte und Metropolen richten – wir gehen ganz bewusst in die Regionen, damit die Spaltung zwischen Stadt und Land nicht weiter geht, und wir auch Rückhalt für das Theater in der Fläche finden.
Wie sind nun die konkreten Pläne?
Wenn alles gut geht, bauen wir eine Ausweich-Stätte, in der wir 10 Jahre »zwischenlagern« können. Nach dem aktuellen Plan würden wir dort 2033 einziehen und dann 2043 neu im jetzigen Haus eröffnen. Ich habe mich auch schon dafür eingesetzt, dass dann genug Rollatoren für uns alle zur Verfügung stehen, damit wir uns die Eröffnung auch ansehen können. Ich hoffe, dass dann alle, die heute planen, gut gelaunt zum Feiern wiederkommen! Letztlich haben wir keine Wahl: Wir müssen diesen Weg gehen. Mein Ex-Chef Nikolaus Bachler, hat immer gesagt: »Es ist das Beste, wenn es keine Wahl gibt.« Und so ist das hier auch, die Renovierung ist unausweichlich…
… und Herr Bachler wird wahrscheinlich der einzige, der zur Eröffnung ohne Rollator kommt…
… davon können wir ausgehen.