Ey, lasst unsere Stille in Ruhe! 

Februar 6, 2025
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Manchmal kann Applaus auch nerven (Foto: Callahan, US Archive)

Nerviger Applaus zwischen den Sätzen ist Zeichen für ein neues Publikum. Aber müssen wir deshalb auf den Klatsch-Knigge verzichten?

English summary: Disruptive applause between symphony movements is rising, often more about self-expression than respect for the music. Axel Brüggeggemann criticizes this trend, linking it to audience ignorance and egoism. He argues that concert etiquette exists out of respect for music and listeners, not mere convention. Institutions should rethink how they present classical music. If sold as an event, audiences will treat it as one.

Dieser Text handelt von einem inneren Konflikt: Ist das Klatschen zwischen den Sätzen einer Symphonie okay oder nicht? Auf der einen Seite freue ich mich über jeden Menschen, der ein klassisches Konzert besucht, und ganz besonders über Leute, die ansonsten eher wenig Kontakt mit Beethoven, Bruckner oder Bach haben. Auf der anderen Seite habe ich gerade ein Konzert im Wiener Musikverein erlebt, das mir den Spaß an einem künstlerisch intensiven Abend ein wenig geraubt hat. 

Der Grund: Nach jeden der vier Lieder in Richard Strauss‘ berühmten Liederzyklus setzten einige im Publikum schon mit dem Schlusston des jeweiligen Liedes zum Applaus an. Jeglicher Nachhall, jeder Gedanke, den Asmik Grigorian da in ihrer innerlich modernen Erzählung aufgebaut hatte, wurde durch den brutalen Einbruch des »Jetzt und Hier« zunichte gemacht. Ähnliches wiederholte sich dann auch im zweiten Teil des Programms, als selbst die stillen Abgrüde zwischen den einzelnen Sätzen der großen C-Dur Symphonie von Franz Schubert mit Alltags-Applaus zugeschüttet wurden.    

Schaut her, ich klatsche!

Nein, ich bin kein orthodoxer Klassikgänger. Und mir ist vollkommen bewusst, dass schon einige Uraufführungen von Beethoven-Symphonien zwischen den Sätzen mit Applaus bejubelt wurden, was zuweilen sogar zur Wiederholung einzelner Sätze geführt hat. 

Aber der Applaus an diesem Abend hörte sich weniger an als hätte er Strauss, Schubert, Grigorian oder Popelka gegolten. Das rücksichtslose Klatschen an diesem Abend erinnerte mich eher an den Aufschrei eines Publikums, das auf sich selber aufmerksam machen wollte: »Seht her! Ich bin begeistert!«

Ich habe das Gefühl, dass sich in den letzten Monaten und Jahren (seit der corona-Pandemie?) immer mehr Berichte von nervigen Zuschauerinnen und Zuschauern in Klassik-Kritiken mischen. Immer wieder wird  über raschelndes Bonbon-Papier oder Gequatsche während der Musik in der Elbphihlharmonie berichtet. Und ich frage mich, ob Kulturinstitutionen nicht auch ein wenig Schuld an diesem Trend sind.

Wenn man auf Grund der Architektur (oder des Spektakels) in ein Konzerthaus geht, oder weil man den »hübschen Saal« aus dem Neujahrskonzert im Fernsehen kennt – das ist je erst einmal legitim. Und es ist auch verständlich, dass nicht jeder den (durchaus komplizierten) Klassik-Knigge kennt. 

Respektloses Geklatsche

Problematisch wird es nur, wenn das Nichtwissen zum provokant störenden Verhalten wird. Ich befürchte, dass sich das Klatschen in meinem Konzert ungefähr so erklären lässt: Ein Teil des Publikums glaubt, dass die Legitimation eines Konzertabends vor allen Dingen in der eigenen Begeisterung besteht. Man will sich selber, seinem Partner und allen anderen zeigen: »Guckt Mal, wie mich das emotionalisiert!« Also wird geklatscht, was das Zeug hält, sobald sich irgendwo der Raum »unerträglicher« Stille auftut. Diese Lesart würde übrigens auch erklären, warum die standing ovations am Ende eines Konzertes nicht mehr Zeichen eines Ausnahmezustandes für wirklich einmalige (!) Abende sind, sondern fast schon zur Routine eines Normal-Konzertes geworden sind. Die Inflation stehenden Applauses erinnert mich allmählich an die Grundschullehrerin, die einfach jedem Schüler und jeder Schülerin ein Sternchen hinter den hingekritzelten Baum zeichnet. Obwohl, nein: Das ist nicht richtig. Es geht weniger darum, dem Orchester Mut zuzusprechen. Es ist wohl eher der Applaus eines Parteitags, der zeigen soll: »Seht her, unser Kandidat ist der beste, egal, was er sagt!« 

Ich bin nicht gegen freilegende Emotionen, nicht gegen den Bruch von Konventionen und nicht gegen das Zurückhalten von Überwältigung. Aber mich stört die  Ignoranz gegenüber der Tiefe des Musikhörens aus Dummheit und Egoismus. Ich störe den olympischen 100 Meter Lauf auch nicht Sekunden vor dem Startschuss, schreie nicht in ein Schachspiel oder stelle mich mit dem Megaphon in eine U-Bahn, um allen Leuten zu erklären, dass ich heute ein glücklicher Mensch bin. 

Jeder Ort hat seine eigenen Regeln. Sie dienen selten allein der Konvention, sondern sind meist aus Rücksicht und Respekt hergeleitet. Im Falle eines Konzertes geht es um den Respekt vor der Musik und des hörenden Publikums. 

Bleibt also die Frage, wie wir den Applaus-Rowdies das alles erklären? Vielleicht ist das gar nicht nötig, wenn wir selber die klassische Musik nicht als beliebiges Event ohne Inhalt verkaufen, wenn wir unsere Konzerte nicht als Klanginstallationen in Architektur anbieten. Wer Klassik als Tourismus verkauft, darf sich nicht beschweren, wenn die Touristen von der Mona Lisa nur ein Instagram-Foto aufnehmen wollen.  

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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