Ein Abend, der uns verändert: Andreas Heise und Omer Meir Wellber verbinden Mozart und Viktor Ullmanns »Kaiser von Atlantis«
English summary: At Vienna’s Volksoper, choreographer Andreas Heise and conductor Omer Meir Wellber merge Mozart’s Requiem with Viktor Ullmann’s The Emperor of Atlantis, composed in the Theresienstadt ghetto. Both works, shaped by their creators deaths, explore mortality‘s meaning. Through hypnotic choreography and seamless musical transitions, the production transforms the opera into a psychological journey, stripping power and routine of significance. The dark, endless dance underscores life’s fragility, revealing that death is not just an end but a reconciliation. With a striking ensemble and an aesthetic of surrealism, the evening redefines our relationship with mortality, offering comfort in its inevitability.
Am Ende verlässt man das Opernhaus tatsächlich ein wenig anders als man gekommen ist. Der Blick hat sich verschoben, eine Perspektive sich hinzugefügt – unser Umgang mit dem Tod, er hat sich vielleicht ein bisschen verändert. Plötzlich erscheint es nicht mehr unwahrscheinlich, dass wir ihn irgendwann umarmen und Hand in Hand mit ihm abtreten werden. Dieser überaus sinnliche Abend an der Volksoper in Wien lässt uns als Menschen ein wenig schrumpfen – und das ist ein durchaus tröstlicher Prozess.
Der Choreograph und Regisseur Andreas Heise und der Dirigent Omer Meir Wellber bringen zwei Meisterwerke zusammen: Mozarts Requiem und die Oper Der Kaiser von Atlantis, die Viktor Ullmann im KZ Theresienstadt komponiert hat. Zwei Schöpfungen, die vom Tod ihrer Schöpfer geprägt sind: Mozart starb vor Vollendung seines Requiems in Wien, und Ullmann wurde mit 46 Jahren im KZ Auschwitz-Birkenau ermordet.
Der Kaiser von Atlantis war in den letzten Jahren öfter zu sehen, meist als gesellschaftlich und politische Parabel um den Kaiser Overall, dessen Macht schwindet, und in dessen Reich der Tod in den Streik getreten ist: Soldaten sterben nicht mehr, die Macht des Kaisers wird bedeutungslos. Es gibt nur einen Ausweg: Der Kaiser muss dem Tod das eigene Leben anvertrauen, damit der Sensenmann seine Arbeit wieder aufnimmt und durch das Sterben das Leben auf Erden wieder mit Sinn erfüllt. In Ullmanns Musik ist viel über Macht zu lernen, über das Militär und die Liebe, vor allen Dingen aber: über das Verschwinden.
An der Volksoper rückt das Konkrete in den Hintergrund: Die dunklen Menschen auf der dunklen Bühne (Sascha Thomson) tanzen wahrhaftig um ihr Leben. Kreaturen, denen bewusst wird, dass eine endlose Existenz der Inbegriff von Sinnlosigkeit ist: die immer gleichen Routinen, das immer gleiche Zucken, die exaltierte Macht, die schleichende Ohnmacht. Jeder Bewegung wird durch die Schleife ihrer Endlosigkeit der Sinn genommen. Heises Choreographie und die Tänzerinnen und Tänzer des Wiener Staatsballetts schaffen einen wahrlich endlosen Bewegungsrausch. Vor allen Dingen aber entzaubern sie die Mühle des alltäglichen Daseins und lassen uns erkennen, dass es Größeres gibt als uns, das Individuum – egal, ob wir Kaiser sind oder Trommler.
Es ist erstaunlich, wie sehr die originalen Teile aus Mozarts Requiem – energisch gesungen vom Chor der Volksoper Wien – sich in Ullmanns Musik einweben. Es kommt zu keinem musikalischen Sprung, sondern zu einer Art innerlicher Vertiefung des äußerlichen Problems der Unsterblichkeit. Und so gräbt Omer Meir Wellbers Arrangement immer tiefer von der Oberfläche der Macht in die Abgründe der Menschlichkeit. Der Zorn Gottes ist der Tanz der Untoten.
Das Unkonkrete dieses Abends ist eine ästhetische Antwort auf die Absurdität des Stoffes. Wellber und Heise ziehen die Handlung in die Psyche, die – und das ist der Clou – allein durch die Körperlichkeit der Musik ausgestellt wird.
Bemerkenswert auch das Sängerensemble der Volksoper: Josef Wagner als düsterer Tod (getanzt von Martin Winter), Daniel Schmutzhard als verzweifelter, immer weicher werdender Kaiser (getanzt von Gabriele Aime), Seiyuong Kim als turbulenter Harlekin (getanzt von Kevin Hena), JunHo Yo als Soldat (getanzt von Keisuke Nejime), Wallis Giunta als Trommler (getanzt von Marta Schiumarini) und Rebecca Nelsen als liebender Bubikopf (getanzt von Mila Schmidt).
Dieser Abend ist eine kongeniale Perspektivverschiebung, wenn der Tod am Ende ein Tänzchen mit dem Kaiser aufführt, und Mozart die Gewalt des Endes liebevoll umarmt – sowohl auf Ullmann als auch auf Mozart. Dieser Abend setzt unserer Welt des Hyperrealen die Ästhetik des Surrealen entgegen. Allein das tut anderthalb Stunden lang mehr als gut. Und am Ende liegt der Trost in der tiefen Erkenntnis, dass unser eigenes Ableben eine Umarmung sein kann – die man zuzulassen lernen kann.
★★★★☆
Transparenzhinweis: Axel Brüggemann ist in der kommenden Spielzeit des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg mit Omer Meir Wellber beteiligt und ist schon allerhand Kilometer mit Daniel Schmutzard gelaufen.