Klaus-Michael Kühne will Hamburg eine neue Oper schenken. Die Stadt sagt: »Ja«. Nun kommt es auf den öffentlichen Diskurs an, ob das Projekt ein Erfolg wird. Ein Kommentar.
English summary: Klaus-Michael Kühne plans to gift Hamburg a new opera, but the project is still in its early stages. The city has only approved a tender, and funding remains uncertain. While enthusiasm is high, key questions arise: Will it truly benefit Hamburg’s music scene or mainly boost Kühne’s prestige? Concerns include potential whitewashing of his company’s Nazi past. Private patronage can’t replace state cultural funding, and a great opera house needs more than just an impressive building. Now, Hamburg must debate whether this project truly serves the city.
Es herrscht viel Euphorie in Hamburg. Und das ist verständlich. Immerhin will ein Mensch (und seine Stiftung) einer Stadt eine Oper schenken. Aber bis es so weit ist, wird noch sehr viel Wasser die Elbe hinunter fließen.
Wenn man sich anschaut, was die Stadt Hamburg und die Kühne-Stiftung vereinbart haben, ist da in Wahrheit erst einmal das Einverständnis, dass es eine Ausschreibung für ein neues Opernhaus im Hamburger Baakenhöft geben soll. Erst danach will die Stiftung entscheiden, ob auch gebaut wird – oder eben nicht. Erst danach wird sich entscheiden, ob die bislang veranschlagten 330 Millionen Euro ausreichen werden, oder nicht. Ob Kühne aufstocken oder das Projekt begraben wird (zum Vergleich: Die Oper in Oslo kostete 548 Millionen Euro). Mit anderen Worten: Es wurde ein Startschuss gegeben für ein Rennen, dessen Ziel noch gar nicht bestimmt wurde.
Hamburg hat Erfahrung
Hamburg hat inzwischen Erfahrung mit architektonischen Klassik-Großprojekten. Die Elbphilharmonie ist zweifellos eine Landmark, die weit über die Hansestadt hinausstrahlt. Und sie ist ein Touristenmagnet. Aber Hand aufs Herz: Hat das Haus auch auf das Image der Klassik-Metropole Hamburg eingespielt?
Ist das NDR-Orchester besser geworden, seit es sich »Elbphilharmonie-Orchester« nennt? Hat es mehr Mittel bekommen? Bessere Musikerinnen und Musiker? Einen Chefdirigenten, der das Ensemble international strahlen lässt? All diese Fragen können heute wohl mit »Nein« beantwortet werden.
Hier spricht BackstageClassical-Herausgeber Axel Brüggemann im NDR über die Opernpläne in Hamburg.
Im Gegenteil: Der NDR als einer der Hauptmieter der Elbphilharmonie trägt indirekt auch einen großen Teil der laufenden Kosten. Das bedeutet: Weniger Geld für die eigentliche Musik, für internationale Gastspiele, für den NDR Chor oder das Orchester selbst. Klar, es kommen mehr internationale Superstars der Klassik nach Hamburg, aber dafür zahlt die lokale Musikszene ihren Preis. Die Berliner Philharmoniker stehen für Berlin, die Wiener Philharmoniker für Wien, die Sächsische Staatskapelle für Dresden und das BRSO für München. Das Symbol für die Klassik in Hamburg ist dagegen kein Orchester, sondern ein Gebäude.
Die Elbphilharmonie hätte auch ein Kunstmuseum, ein neues Fußballstadion, ein spektakuläres St.Pauli-Sexmuseum oder einfach nur ein Desinger-Leuchtturm sein können – der Effekt für die hamburgische Klassik-Szene wäre kaum anders ausgefallen. Letztlich könnte man sogar sagen, dass die Oper durch die vielen internationalen Gast-Orchester in der Elbphilharmonie gelitten hat.
One-Man-Oper oder Bürgeroper?
Und noch etwas: Die 866 Millionen Euro für die Elbphilharmonie wurden – trotz aller Schwierigkeiten – von vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen. Die Elbphilharmonie ist das Konzerthaus der hamburgischen Musikliebhaber. Eine Oper der Kühne-Stiftung wäre dagegen erst einmal das Opernhaus eines einzelnen Mäzens.

Die Forbes-Liste schätzt das Vermögen von Klaus-Michael Kühne auf 37 Milliarden (!) Euro. Kühne (dessen Frau gern Puccini-Arien singen soll) unterstützt Prestige-Klassik-Events wie die Salzburger Festspiele, das Opernhaus Zürich oder das Lucerne Festival. Und Natürlich engagiert er sich auch für die Elbphilharmonie und die Staatsoper in seiner Heimat Hamburg. Dabei ist Hamburg genau genommen gar nicht seine Heimat: Kühne und sein Unternehmen sind in der Schweiz gemeldet – dort zahlen sie auch Steuern. Nun wäre es kleingeistig, nachzurechnen, ob Kühne nicht wesentlich mehr als 330 Steuer-Millionen in Hamburg gelassen hätte, wäre er hier gemeldet gewesen. Aber lassen wir das an dieser Stelle.
Aufarbeitung tut Not
Nicht ganz so vom Tisch wischen lässt sich der Vorwurf des Kolonialismus-Forschers Jürgen Zimmerer, der besonders den Standort des Opernhauses am Baakenhöft kritisiert. Es geht um die Frage, ob Kühne durch sein Kultursponsoring eine Art Whitewashing der eigenen Firmengeschichte betreibt. Das unternehmen Kühne & Nagel war offenbar an der »M Aktion«, der Ausplünderung der europäischen Juden, beteiligt. Immer wieder wird Kühne dafür kritisiert, dass er die Nazi-Geschichte seines Unternehmens nicht transparent aufarbeitet. Soll das Kultursponsoring von dieser gesellschaftlichen Verantwortung ablenken? Es ist auffällig, dass die Stadt Hamburg, ihr Kultursenator Carsten Brosda und ihr Bürgermeister Peter Tschentscher diese Frage im Zuge des Opernneubaus nicht thematisieren. Oder gar: tabuisieren? Würde Kühne das Haus auch dann noch finanzieren, wenn es an eine Aufarbeitung der Firmengeschichte – gerade an diesem historisch belasteten Ort – gebunden wäre?
Derzeit ist die Freude über private Mäzene in der Kultur riesengroß. Hamburgs designierter Chefdirigent Omer Meir Wellber schrieb mir in einer What‘s App: »It‘s a big day for Hamburg!« und: »Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand wie Herr Kühne mit seiner großzügigen Spende die immense Bedeutung von Kultur, Musik, Oper und Emotionen würdigt und an die Gesellschaft zurückgibt.« Ja, das kann man so sehen. Doch man sollte all die »Abers« in der Euphorie nicht vergessen.
Mäzene ersetzten keinen Staat
In Berlin erklärt Kultursenator Joe Chialo dieser Tage, dass private Investoren die Zukunft der Hochkultur absichern müssten. Der Staat zieht sich immer weiter aus seiner kulturellen Verantwortung, so als sei sie nicht Teil unseres Gesellschaftsvertrages. Tatsächlich aber besteht noch immer ein Konsens, dass Hochkultur auch Staatsauftrag ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger sich von ihren Steuern Opernhäuser leisten wollen – im Falle von Hamburg sogar für mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr.
Klar, es ist gut, wenn Mäzene hier helfen, wenn sie unterstützen und Eigeninitiative zeigen. Und, ja, es ist vollkommen legitim, wenn sie sich für Ihr Engagement die Leuchtturm-Projekte aussuchen, die sie mit ihrem Namen verbinden wollen. Aber sie dürfen uns alle nicht aus unserer Verantwortung entlassen.
Und noch etwas sollte in der aktuellen Debatte nicht Vergessen werden: Der Inhalt der Kunst! Dass die Hamburgische Staatsoper in den letzten Jahren kein internationales Renommee mehr hatte, lag weniger an ihrer Hülle (das derzeitige Opernhaus ist eine etwas marode Immobilie in 1A Lage), sondern an ihrer Leitung: Kent Nagano und Georges Delnon ist es nicht gelungen, an die große Tradition des Hauses anzuknüpfen. Auch hier gilt wieder: Die Hülle mag die Aufmerksamkeit auf den Inhalt lenken – aber am Ende ist es die Qualität auf der Bühne, die entscheidend für den Erfolg ist.
Debatte statt Euphorie
Um so wichtiger ist es, nun nicht vor Euphorie blind zu werden. Klar, ein Hundertmillionen-Geschenk an die Kultur sollte auch nicht schlecht geredet werden. Es ist eine tolle und schöne Investition eines Multimilliardärs! Aber sie sollte eben auch nicht unhinterfragt angenommen werden. Während die Ausschreibungen für das neue Haus laufen, sollte die hamburgische Stadtgemeinschaft die Zeit nutzen und einige wichtige Fragen debattieren: Nutzt ein neues Opernhaus der Musiklandschaft Hamburg wirklich? Könnte das neue Opernhaus dem Whitewashing einer geschichtsvergessenen Firma dienen? Und wenn ja, wie könnte man das verhindern? Vor allen Dingen aber sollte die Planung eines neuen Hauses schon jetzt mit dem Inhalt verknüpft werden, den es transportieren soll. Warum hat Hamburg seinen Opern-Glanz in den letzten Jahren verloren? Und reicht eine neue Immobilie, um das zu korrigieren?
Ach ja, und dann ist da noch das Kleingedruckte im Vertrag: Noch ist eigentlich nichts beschossen, außer dass der Lauf ins Irgendwo begonnen hat. Wo er endet wird auch die öffentliche Debatte der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg mitentscheiden.