Regisseurin und Volksopern-Intendantin Lotte de Beer liefert in Straßburg eine poetische Lesart von Les Contes d’Hoffmann.
English summary: Director Lotte de Beer presents a poetic take on Les Contes d’Hoffmann in Strasbourg, reimagining Hoffmann’s Muse as a mirror of his narcissism. The production questions his idealized view of women, enhanced by new French dialogues by Peter te Nuyl. Visually striking with shifting perspectives, giant props, and symbolic mirrors, the staging connects the acts creatively. Vocally, Attilio Glaser shines as Hoffmann with lyrical warmth, and Floriane Hasler’s Muse stands out. Pierre Dumoussaud’s elegant conducting highlights Offenbach’s score, with seamless balance between orchestra and stage.
Alles beginnt ganz konventionell im Straßburger Opernhaus. Der sich perspektivisch stark verjüngende Raum zeigt Lutters Weinkeller. Es gibt einen Tresen und ein paar Tische und Stühle – die Wände sind tapeziert. Hier sitzt Hoffmann mit Schal und zerknautschtem Jackett (Kostüme: Jorine van Beek) und beobachtet das Geschehen. Die Studenten singen ein Trinklied, Geheimrat Lindorf ist schön schmierig. Und Hoffmann darf seine Ballade von Kleinzack vortragen, ehe eine schwarze Wand herunterfährt und den Dichter mit der Muse vom Bühnenraum abschneidet (Bühne: Christof Hetzer). Hoffmann ist in der Realität angekommen – und seine Muse hat einen kritischen Blick auf ihn.
Normalerweise dreht sich in Jacques Offenbachs Les Contes d’Hoffmann alles um den verkannten Künstler, alles ist aus seiner Perspektive geschildert – seine unglücklichen Liebesgeschichten, seine Widersacher, sein Scheitern. Der Erzähler wird zur Hauptfigur. Lotte de Beer emanzipiert in ihrer fantasievollen, intelligenten Inszenierung die Muse und macht sie zum Spiegel für Hoffmanns Narzissmus. Er vergöttert nämlich vor allem sich selbst. Für diese Koproduktion mit der Pariser Opéra Comique und der Wiener Volksoper hat die niederländische Regisseurin vom Dramaturgen Peter te Nuyl neue französische Dialoge schreiben lassen, welche die Geschichte kommentieren und das Frauenbild Hoffmanns hinterfragen. Immer wieder saust im Laufe des auch musikalisch inspirierenden Abends die Trennwand herunter und gibt Gelegenheit zur Reflexion, die auch durchaus humorvoll ausfallen kann: »Immer, wenn es mit der Realität schwierig wird, kommt eine Chornummer,« kommentiert Floriane Hasler als schlagfertige Muse trocken.

Wie von Jacques Offenbach vorgesehen, werden die Frauenpartien, die Bösewichter und die Dienerfiguren von den gleichen Solisten besetzt. Lenneke Ruiten ist ein präsente Stella, eine koloratursichere Olympia, eine lyrisch reiche Antonia und schließlich eine Giulietta, der es doch ein wenig an dramatischem Potential fehlt. Mit seinem beweglichen, nur in der Tiefe etwas dünnen Bariton verleiht Jean-Sébastian Bou Lindorf, Coppélius, Miracle und Dapertutto eine diabolische Aura. Andrés, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio singt und spielt Raphaël Brémard leichtfüßig. Eleganz hat auch die musikalische Interpretation von Dirigent Pierre Dumoussaud. Die solistischen Streicher sind ein Traum, die Balance zwischen Orchestergraben und Bühne im eher kleinen, trockenen Straßburger Opernhaus ist ideal. Nur zu Beginn gibt es kleinere Koordinationsschwierigkeiten mit dem darstellerisch geforderten Chor (Leitung: Hendrik Haas).

Die vokalen Glanzlichter setzen Floriane Hasler (Muse/Nicklause) mit ihrem eher hell timbrierten, schlanken Mezzosopran. Und vor allem Attilio Glaser, der Hoffmann mit leichter Höhe und lyrischem Schmelz, aber auch mit genügend Strahlkraft ausstattet. Schon im ersten Akt bekommt er von der Regie einen Doppelgänger zur Seite gestellt. Im Giulietta-Akt besteht der Chor aus lauter Hoffmanns und befriedigt die Eitelkeit des Protagonisten.
Die Regisseurin schafft noch weitere Verbindungen zwischen den Akten, indem sie die Puppe, die im Olympia-Akt auf 5 Meter anwächst, schon in Lutters Weinkeller in Spielzeuggröße am Bühnenrand postiert. Schwarze Spiegel, die den Verlust von Hoffmanns Spiegelbild im Giulietta-Akt vorwegnehmen, hängen schon im Antonia-Akt an den Wänden und sind hier Tore zum Unterbewussten, Unheimlichen. Auch die Stühle und Tische zu Beginn kehren in Christof Hetzers Einheitsraum in unterschiedlichen Größen wieder. Es entsteht ein faszinierendes Spiel mit Perspektiven und Beziehungen, das diesen Hoffmanns Erzählungen neben der analytischen Distanz auch viel Poesie verleiht.
★★★★☆