Berlin muss sparen – und Kultursenator Joe Chialo konnte (oder wollte) das nicht verhindern. Ein Porträt des Scheiterns.
English summary: Berlin’s Culture Senator Joe Chialo faces criticism for prioritizing political events over addressing the city’s pressing cultural funding issues. Once seen as a potential future Federal Culture Minister, Chialo now contends with backlash for his perceived detachment and managerial missteps, like the failed state library project and mishandling anti-discrimination clauses. He’s been criticized for weak communication, strained relations with colleagues, and a lack of support for Berlin’s struggling arts institutions amid budget cuts. Some now hope for his promotion to federal office to open his position to a more experienced cultural leader.
Es ist kein Geheimnis, dass der Karrierepolitiker Joe Chialo gern Claudia Roth als Kulturstaatsminister beerben würde. Der einstige Universal-Musikmanager war in den 1990ern mal bei den Grünen, wechselte dann zur CDU und wurde 2023 schließlich Kultursenator in Berlin. Die dortige Kulturszene spottet derzeit, dass Chialo sich trotz der dramatischen Haushaltslage lieber auf Veranstaltungen der Bundes-CDU tummelt und die Nähe zu Friedrich Merz sucht, als in die Tiefen der komplizierten Krisengespräche einzusteigen. Bislang galt Chialo für viele als Merz’ erste Wahl in Sachen Kultur – inzwischen könnte sich das allerdings ändern: Dem Berliner Kultursenator sind einfach zu viele Fehler passiert.
Die Liste seiner Flops ist lang. Da war zunächst der geplante Umzug der Landesbibliothek in die ungenutzte Lafayette-Immobilie. Er ist auch deshalb gescheitert, weil Chialo das Projekt innerhalb seiner eigenen Fraktion nicht genug vorbereitet hat. Es folgte die Schlappe mit der Antidiskriminierungsklausel. Sie floppte, weil Chialo schlichtweg politisches Handwerk vermissen ließ. Und dann war da noch das Hickhack um die kurzfristig stillgelegte Baustelle der Komischen Oper.
Frust über den Senator
Vergangene Woche brach sich der Frust der Berliner Kulturszene über ihren Senator Bahn, als Chialo die aktuellen Sparvorgaben des Senats bei den Demonstrationen dagegen weitgehend emotionslos verteidigte – dafür wurde er lautstark ausgebuht. Kein Wunder, denn einen großen Teil der Häuser werden die Sparvorgabe von 12 Prozent an den existenziellen Rand treiben. Von einer langfristigen Kultur-Strategie ist beim Senator nichts zu hören.
Für Kritik sorgen nicht nur die Sparvorgaben, sondern in auch die schlechte Kommunikation des Senators. „Wir mussten einfach zu lange warten, dass Chialo sich in der Krisenzeit hinter die Kulturinstitutionen stellt“, moniert Dietmar Schwarz, Intendant des größten Opernhauses der Stadt, der Deutschen Oper. Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper kritisiert, dass Chialo das Interesse an der freien Szene abgehe, und Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel ist irritiert über die „merkwürdige eigene Agenda“ von Joe Chialo und kommentiert, dass er der erste Senator sei, der Berlins Kulturszene weitgehend leidenschaftslos gegenüberstehe. Selbst Chialos Vorgänger, Klaus Lederer von der Linken, der sich lange solidarisch gab, kritisiert Chialos Arbeit inzwischen in den sozialen Medien: „Ohne Plan und Idee an die Kürzungen zu gehen, wird alle Bemühungen zunichte machen, aus einer Kulturförder- eine Infrastrukturverwaltung zu machen. So wie jetzt geplant, geht es nicht – und es ist ein Offenbarungseid.“
Baustellen im Inneren
Und dann hat Joe Chialo noch Baustellen im Inneren. In seinem Umkreis ist von schlechter Stimmung die Rede, der Senator kompensiere das eigene Unvorbereitet-Sein gern durch einen autoritären Führungsstil und sei mehr auf die Selbstdarstellung als auf die Inhalte fokussiert. Von „Beratungsresistenz“ ist die Rede, von einem „aufbrausenden“ Charakter und von „gewisser Eitelkeit“. Aus dem Kulturbetrieb hört man, dass Chialo bei Sachfragen schlecht zuhöre, angesprochene Probleme ignoriere und mangelnde Sachkenntnis immer wieder durch ein Lächeln oder durch eine aggressive Diskussionsführung an die Seite dränge. Der Satz „Als Senator kann ich das machen“ ist in seinem Büro zu einem geflügelten Wort geworden.
Ein Beleg für die angespannte Stimmung ist die überdurchschnittliche Fluktuation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Büroleiterin, Referentin und Sprecher haben bereits den Hut genommen. Außenstehende haben schon lange keine Lust mehr, nach Chialos Pfeife zu tanzen. Zwei Mitglieder der Findungskommission für die Intendanz des Konzerthauses hatten das Handtuch geworfen, nachdem Chialo seiner Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson das Gremium entrissen hatte. Chialo würde von klassischer Musik nur wenig verstehen, heißt es aus Kreisen der Kommission.
Auf Nachfrage bestätigt das Büro des Senators das Ausscheiden der Berater, erklärt aber, die zwei Mitglieder seien „unabhängig voneinander aufgrund von internationalen Konzertverpflichtungen, Auslandsaufenthalten oder Gastspielreisen nicht mehr in der Lage, ihren Aufgaben im Gremium angemessen gerecht zu werden“. Außerdem macht Chialo klar, dass es sich bei dem Gremium nicht um eine „Findungskommission“, sondern um ein „Beratungsgremium“ gehandelt habe, das den Senator bei seiner Entscheidungsfindung lediglich unterstütze.
Problem mit den Findungskommissionen
Überzeugend klingt all das nicht. Dass gleich zwei Berater im internationalen Konzertbetrieb einem Findungsgremium zunächst zu- und dann absagen, statt digital an den Terminen teilzunehmen, ist zumindest unüblich. Und die Umdeutung der „Findungskommission“ in ein „Beratungsgremium“ sowie der explizite Hinweis, dass der Senator selbst entscheide, fügen sich in ein Narrativ, nach dem Chialo seine eigene Machtfülle besonders wichtig sei.
Ähnliches ist jetzt wohl auch bei der Berufung von Çağla Ilk als Nachfolgerin von Shermin Langhoff für die Intendanz am Maxim Gorki Theater geschehen: Erst auf mehrfache Nachfrage bei der Pressekonferenz vergangene Woche gestand Chialo ein, dass es keine Findungskommission gab und kein transparentes Bewerbungsverfahren. Letztlich besetzte der Senator den Posten mehr oder weniger aus seinem Bauch heraus und erntet dafür zu Recht Kritik.
Ernsthaft im Clinch liegt Chialo mit seiner Staatssekretärin. Die gut vernetzte Kulturmanagerin und ehemalige Leiterin der Hanns-Eisler-Musikhochschule Sarah Wedl-Wilsonwurde ursprünglich geholt, weil der Senator selbst nur wenig Ahnung von klassischer Musik hat. Inzwischen sind die Spannungen zwischen den beiden offenbar so groß, dass der Senator seine Staatssekretärin loswerden will. Es ist zu hören, dass der Regierende Bürgermeister, Kai Wegner (CDU), seinem Senator hier Einhalt geboten habe. Chialo selbst erklärt auf Nachfrage, dass er weder ein Problem mit der Fluktuation in seiner Behörde noch mit seiner Staatssekretärin sehe. Also alles nur Gossip der Berliner Kulturszene und Spekulation in Zeitungen wie der Zeit? Dass die Leiterin seines Stabes Interviewanfragen an Sarah Wedl-Wilson nicht einmal beantwortet, könnte allerdings auch ein Zeichen dafür sein, dass Chialo seine Staatssekretärin tatsächlich kaltgestellt hat.
Schwacher Politiker für schwierige Zeiten
Für den Regierenden Bürgermeister und seinen Finanzsenator Stefan Evers (CDU) kommt ein schwacher Politiker wie Joe Chialo in Zeiten des eisernen Sparkurses vielleicht genau recht. Für die Nachhaltigkeit der Berliner Kulturszene ist Chialos fachliche Ahnungslosigkeit allerdings gefährlich. Nicht wenige hoffen hier hinter vorgehaltener Hand auf die „Beförderung“ des Senators in die Bundeskultur – so wäre der Weg für Wedl-Wilson oder einen anderen Politiker vom Fach frei.
Doch auch Friedrich Merz wird in diesen Tagen wohl genau nach Berlin schauen und feststellen, dass der dortige CDU-Kultursenator offensichtlich überfordert ist. Gerade nach Claudia Roth, die Kultur gern als roten Teppich für das eigene politische Image versteht und nicht müde wird, die Mär der Kultur als „Garant der Demokratie“ zu predigen, wäre es höchste Zeit für Kompetenz in der Bundeskultur – für jemanden, der sich mit Tarifverträgen, Kulturförder-Strategien und langfristigen Plänen auskennt, für jemanden, der wieder den Ton der Kulturszene trifft.
Im Fall einer Großen Koalition könnte dann die Stunde für jemanden wie den SPD-Mann und hamburgischen Kultursenator Carsten Brosda schlagen. Jemand wie er, der sich auch für den Deutschen Bühnenverein jahrelang als Polit-Pragmatiker behauptet hat, entspricht eher den Anforderungen eines Kanzlers Friedrich Merz als Joe Chialo. Aber vielleicht ist Berlins amtierender Kultursenator auch genau das, was die CDU nach einem Wahlsieg für die Kultur sucht: einen Repräsentanten, dem die Abwicklung der Kultur nicht ganz so nahezugehen scheint.
Korrektur: In einer vorigen Version hatten wir berichtet, Bernd Loebe sei einer der Intendanten, die die Findungskommission verlassen haben – das ist nicht richtig, wir haben ihn versehentlich mit Andreas Schulz verwechselt.