Der Publizist und Jurist Michel Friedman über die Bedeutung der Kultur in unserer Demokratie und mangelnde politische Wertschätzung (Interview und Podcast).
English summary: Jurist and publicist Michel Friedman criticizes Berlin’s cultural policy, calling it disrespectful. He emphasizes that in times of growing authoritarianism, open societies must value culture as a space for reflection and dialogue about human complexity. Friedman highlights the unique role of art in democracy, describing it as a medium to explore contradictions, emotions, and societal challenges. He warns against neglecting culture, particularly in a time when authoritarian regimes exploit culture for propaganda.
Im Guten Morgen-Podcast von BackstageClassical geht der Publizist und Jurist Michel Friedmann hart mit Berlins Kulturpolitik ins Gericht. Gerade in Zeiten, in denen autoritäre Systeme auf dem Vormarsch seien, müsse eine offene Gesellschaft respektvoll mit ihrer Kultur umgehen. Am 1. und 2. Februar wird Michel Friedman beim Symphoniekonzert des DSO in der Berliner Philharmonie über Menschenrechte sprechen. (Hier geht‘s zum Podcast bei Apple und für alle Player)
Herr Friedman, dient die Kultur tatsächlich der Demokratie, wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth das so gern formuliert?
Erst einmal muss niemand der Demokratie dienen, denn diese Freiheit gehört ebenfalls zu ihrem Versprechen. Dennoch findet natürlich aber, was wir tun, findet in einem Raum statt, in dem wir miteinander umgehen müssen. Und in diesem Raum spielt die Kunst eine wichtige Rolle: Sie beschäftigt sich mit unseren Widersprüchen, Schwächen, mit unseren Dämonen und Schattenseiten, aber auch mit den großen Momenten des Glückes. Kunst ist eine Art Ermöglicher, dass wir Menschen uns mit unserer Vielschichtigkeit auseinandersetzen. Kunst übersetzt Dinge, die wir vielleicht noch nicht in Worten formulieren können und kann uns einen Impuls geben, miteinander in einen Dialog zu treten, um komplexe Situationen anschließend in Worte zu konfigurieren. Und hier wären wir dann doch bei einem Kerngedanken der Demokratie: Der Mensch, der im Mittelpunkt des Menschseins steht.
Verlieren wir als Gesellschaft nicht gerade das Bewusstsein über diese Bedeutung der Kunst? Talkshows erwecken jeden Abend den trügerischen Anschein, dass wir den kommunikativen »Umweg« über die Kunst gar nicht mehr brauchen. Sie suggerieren, dass wir jederzeit direkt und konkret über alles miteinander reden können…
Mich begeistert, wie Sie von der Kunst auf Das Genre der Talkshows kommen. Ich würde eine Gesprächssendung nicht im Rahmen eines Kunstbegriffes ansiedeln. Die Unmittelbarkeit, die wir uns einreden, nur weil einige Personen miteinander und über sich sprechen, ist ja an sich kein Beweis von Authentizität. Überhaupt ist meine Erwartungshaltung an Gesprächssendungen eine andere als gegenüber der Kunst. Ich würde sogar sagen: Je mehr wir in die unmittelbare Kommunikation – und dazu gehören neben Talkshows ja auch die sozialen Medien – treten, um so mehr Räume brauchen wir für die Reflexion und das Nachdenken über die Widersprüche unseres Daseins. Gerade weil die Zeiten nach mehr Kunst rufen, bin ich so empört, dass wir im 21. Jahrhundert, in dem die autoritären und menschenverachtenden Strömungen überall wieder Raum greifen, an der Kultur sparen statt ihren Rahmen zu erweitern.

Dabei sehen wir, dass gerade autoritäre Systeme die so genannte »Systemkultur« attackieren, um sie durch eine »Volkskultur« zu ersetzen, die am Ende ja oft eine völkische Kultur ist.
In einer Demokratie ist ja anscheinend beides Möglich: Auf der einen Seite jemand wie Herr Kickl in Österreich, auf der anderen Seite die Verantwortung des Staates, freie Kulturräume zu schaffen. Es gibt ja sehr viel Kultur, die gar nicht direkt vom Staat unterstützt wird, etwa, ein Buchverlag, oder wenn man ein Musikstück schreibt. Und ich glaube, ein Großteil der Bildenden Kunst weiß ebenfalls nicht, wo man einen Zuwendungsbescheid herkommt. Nehmen wir also zur Kenntnis: Kultur ist auch heute noch in erster Linie anarchisch. Wenn wir von der Förderung der so genannten Hochkultur reden, sprechen wir also in erste Linie von Opern, Ballett oder Orchestern. Und selbst diese Einrichtungen werden, wenn sie Programme nur auf Grund ihrer Zuwendungen machen, früher oder später kein Publikum mehr haben.
Aber ihre Aufführungen werden durchaus nachgefragt…
Wir haben uns gerade in Deutschland für eine plurale Kulturszene entschieden, um möglichst vielen Menschen eine Stimme zu geben. Ich glaube, was autoritäre Führer anprangern, ist weniger das Subventionssystem, sondern die Grenzenlosigkeit der Kultur an sich. Rechtsextremistische und autoritäre Gruppierungen wollen in der Kultur am liebsten ihre eigene Weltsicht gespiegelt haben. Das aber kann Kultur nicht leisten. Das wäre keine Kultur, sondern Kulturpropaganda.
Und darin spielt gerade die Musik eine wesentliche Rolle, weil sie sich unserer konkreten Sprache entzieht und vielfältig interpretierbar ist. Ist Musik deshalb eine besonders gefährliche oder eine ungefährliche Sprache?
Musik hat vielleicht nicht die Sprache des Wortes, aber sie hat die Sprache der Noten. In ihr liegt eine hohe emotionale Kraft. Die macht sie natürlich sehr wertvoll für Propaganda, da darf man nicht naiv sein. Aber hier kommen wir auch zur Interpretation. Musik stellt immer wieder die Frage nach Deutung, es geht also in jeder Interpretation darum, die Sprache der Musik zu verorten. Ich bin der Überzeugung, dass eine Entpolitisierung der Musik naiv wäre. Sie ist letztlich eine Form der menschlichen Kommunikation, die in einem kollektiven Resonanzraum mit Publikum stattfindet. Emotionen in der Musik entstehen ja nicht uniformiert, sondern man kann sich danach stets über ihre Wirkung austauschen. Mit anderen Worten: Der Resonanzraum der Musik bleibt nicht bestimmbar.
Ihr Kulturoptimismus in allen Ehren. Aber in Berlin haben wir eben auch gesehen, dass an der Kultur gespart wird. Die Kulturschaffenden sind mit ihrem Protest nicht durchgedrungen.
Das Fatale in Berlin ist die dilettantische und beliebige Art, mit der gespart wurde, ohne mit den Kulturinstitutionen auf Augenhöhe zu kommunizieren. Natürlich ist die Frage des Geldes für jede Kulturinstitution existenziell. Aber es geht nicht nur um das Geld, sondern auch um die Wertschätzung. Das Schlimme in Berlin – und ich beobachte das nun auch in München – ist die mangelnde Wertschätzung.
Woran machen Sie das fest?
Welchen Wert hat die kulturelle Partizipation in unserer Gesellschaft? Ich finde, dass sie ein ureigenes menschliches Grundbedürfnis ist. Die Kunst sollte nicht gegen alle anderen Notwendigkeiten ausgespielt werden. Aber genau das ist, was wir in den letzten Monaten in der Berliner Kulturpolitik vermisst haben. Dabei ist nich allein Kultursenator Joe Chialo verantwortlich, sondern die gesamte Regierung, die diese Entscheidung mit getroffen hat. Die Berliner Kultur- und Kreativlandschaft wurde von oben herab und ohne Respekt vor neue Fakten gestellt, als wären die Sparmaßnahmen irgendein Verwaltungshandeln. Es wurde den Kulturschaffenden mitgeteilt: »Das ist jetzt Eure neue Realität!« Mit einer derartigen Kommunikation schwächt man den Wert der Kultur gerade in einer Zeit, in der überall das Barbarische, das Unmenschliche und die Verachtung wieder in den Mittelpunkt rücken. Ich halte das für gesamtpolitisch sehr fragwürdig,
Die Konzerte des DSO finden am 1. und 2. Februar in der Philharmonie Berlin statt. Es steht Musik von Lili Boulanger, Arnold Schönberg, Richard Strauss und Johannes Brahms auf dem Programm. Iris Berben tritt als Sprecherin auf, Andrés Orozco-Estrada dirigiert.