Klassik im doppelten »Abendroth«

Juli 21, 2024
7 mins read
Bundeskulturministerin Claudia Roth (Foto: Bundesregierung, Schmidt)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

Keine gute Woche für die Roths in der Kulturszene. Gegen den Amtsantritt von François-Xavier Roth wenden sich inzwischen selbst eingeschworene SWR-Fans, und Claudia Roth bekommt ihr Fett weg vom Tenor-Doppel Klaus Florian Vogt und Andreas Schager. Wir waren in Bregenz und fahren nicht nach Heide. Los gehts: hier ist die Klassik-Woche! 

Wegen Roth: Buhs für SWR-Leitung

Der SWR hatte wahrscheinlich gehofft, dass es schnell still wird um die geplante Zusammenarbeit mit François-Xavier Roth. Es scheint, als wolle man den Fall aussitzen wie zuvor bereits bei Teodor Currentzis. Doch dieses Mal ist der Widerstand ungleich größer: Es gab Buhs vom Abo-Publikum, als die Orchester-Gesamtleiterin Sabrina Haane das Festhalten an Roth bekannt gab. Und vor allen Dingen explodiert die Facebook-Seite des Orchesters – selbst eingefleischte SWR-Fans schütteln verständnislos den Kopf, ein Musiker der WDR Big Band schämt sich für den Schwester-Sender, andere kritisieren das verschwurbelte Statement von Haane und Programmdirektorin Anke Mai. Dort heißt es, wegen »Hörensagen« könne man den Vertrag nicht auflösen, aber »die Voraussetzung für eine weitere Zusammenarbeit (war), dass François-Xavier Roth sein Fehlverhalten eingesteht.« Was denn nun, fragt eine Userin: »Hörensagen« oder »Eingeständnis«? Ja, und auch die Presse und einige Partner des SWR sollen inzwischen nervös werden und – anders als vom Sender behauptet – durchaus kritisch mit dem Sender ins Gericht gehen. Ich habe all diese aktuellen Entwicklungen Mal in einem Text zusammengefasst und frage am Ende, ob Haane und Mai ihre sture Haltung tatsächlich noch einmal durchhalten – oder ob sie endlich verstehen, dass Ihr Starrsinn das gesamte Bild der öffentlich-rechtlichen Sender gefährdet.  

Der Fall Roth bei BackstageClassical

Plädoyer für mehr Kultur-Dialog

Bevor es gleich mit der nächsten Problem-Roth weitergeht, schnell schon Mal was Positives. Im BackstageClassical-Podcast war heute der Kulturmanager Fabian Burstein zu Gast: Er leitete unter anderen das Kulturprogramm der BUGA in Mannheim und hat (Mal wieder) ein kluges Buch geschrieben. Es heißt Empowerment Kultur und ist ein Plädoyer für mehr Schulterschlüsse zwischen Kultur, Publikum, Politik und Medien. Burstein vergleicht die inoffiziellen Zuschauer-Statistiken mit der akribischen Statistik-Recherche von Rainer Glaap und fordert schließlich, dass Kulturpolitik sich nicht länger wegducken könne und Kulturpolitik nicht im Hinterstübchen betrieben werden dürfe. Die kulturelle Verantwortung müsse wieder ins Scheinwerferlicht rücken. Das Gesamte Gespräch mit Burstein: hier.        

Breite Kritik an Claudia Roth 

Traditionell sollten sich Kulturpolitiker nicht in die Programme der Institutionen einmischen, deren Träger sie sind. Kulturstaatsministerin Claudia Roth sieht das anders – und beweist damit regelmäßig ihre hochkulturelle Inkompetenz. Nun plädierte sie dafür, bei den Bayreuther Festspielen neben Wagner auch andere Komponisten aufzuführen. »Mir schwebt da etwa Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel vor. Das ist eine Oper, die aus der Wagner-Tradition kommt. Von solchen Werken gibt es ja etliche«, sagte Roth den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Bayreuth sollte insgesamt vielfältiger, bunter und jünger werden, so die Grünen-Politikerin. Dass die Konzentration auf die Werke Wagners ein Alleinstellungsmerkmal der Festspiele ist, und dass Katharina Wagner die Festspiele seit Amtsantritt durch Kinderoper, Open-Air und Kino-Übertragungen öffnet, scheint Roth entgangen zu sein. 

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Kein Wunder, dass sie sofort kritisiert wurde. Eine schöne Glosse schrieb Peter Jungblut beim BR, und Bayreuth-Tenor Andreas Schager meldete sich beim BR zu Wort: »Immer, wenn sich die Politik meint, programmatisch in die Kultur einmischen zu müssen, kommt nichts Gutes dabei raus.« Bayerns Kulturminister Markus Blume sagte ebenfalls dem BR: »Wovor ich uns dringend schützen möchte, ist, dass die Politik Einfluss nimmt auf die künstlerische Gestaltung und auf die Ausrichtung des Programms in Bayreuth. Bayreuth muss Wagner bleiben. Das ist die Essenz und daran dürfen wir nicht rütteln.« Kritik an Roth gibt es auch von Tenor Klaus Florian Vogt und Wagner-Museumsdirektor Sven Friedrich. 

News Ticker 1

Wir haben einen neuen News-Ticker bei BackstageClassical: Die wichtigsten Meldungen der Klassik, kompakt auf einer Seite, jeden Tag neue Nachrichten (Folgen Sie uns unbedingt auf Facebook, X, oder Insta). Und hier ist, was diese Woche geschah: Dominique Meyer geht nach Lausanne: Der Stiftungsrat des Orchestre de Chambre de Lausanne hat die Ernennung des französischen Kulturmanagers zum Exekutivdirektor ab 2024 bekannt gegeben. Meyer wird bis 28. Februar 2025 Intendant der Mailänder Scala bleiben. Er wurde eines der prominentesten Kultur-Opfer der neuen Rechtsregierung von Giorgia Meloni die Ausländer aus Führungspositionen drängt. Der italienische Kulturmanager Fortunato Ortombina wird neuer Scala-Intendant. +++ Mutter mosert über Söder: Die Geigerin Anne-Sophie Mutter stichelte beim Open-Air in München in Richtung CSU-Chef Markus Söder, dass die Münchner Philharmonie »erst 2036 oder war es 2063« fertig sein soll. Dann legte sie nach: »(…) Unser Ministerpräsident ist heute Abend sicher auch nicht da«. Auf BILD-Anfrage antwortete Kunstminister Markus Blume: »Unmittelbar nach Veröffentlichung der Neuplanung (des Konzerthauses) hat sich auch Anne-Sophie Mutter erfreut gezeigt, dass es jetzt eine klare Perspektive gibt. Deshalb verwundert ihre jüngste Aussage.«

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Frantz fordert das SHMF heraus! 

Pianist Justus Frantz scheint nicht darüber hinwegzukommen, dass das Schleswig-Holstein Musik Festival ihn nicht mehr einlädt. SHMF-Intendant Christian Kuhnt hatte gerade auf BackstageClassical noch einmal betont, dass er das Gespräch mit dem Festival-Gründer gesucht hätte, Frantz aber seinen Pro-Russland-Kurs nicht aufgeben wolle (gerade hatte er seinen 80. Geburtstag in Russland mit Valery Gergiev gefeiert). Nun schlägt Frantz zurück: Auf Facebook propagiert er ein Open-Air-Konzert »für alle Freunde, die Solidarität mit mir gezeigt haben, als ich vom Schleswig-Holstein Musik Festival ausgeschlossen wurde.« Allerdings mutet Frantzʼ Plan etwas unausgegoren an: Er plant ein Open-Air am 31. Oktober (sic!) auf dem Marktplatz von Heide. Inzwischen wurde der Oktober-Termin auf den Spätsommer verschoben. Auf Facebook erklärt der Pianist, dass seine Freunde nicht einfach so kommen, sondern sich vorher per Mal bei seinem Manager anmelden sollten, »um der Stadt Heide die Planung zu erleichtern«. Nachdem Frantz in letzter Zeit einige Konzerte aus Mangel an Nachfrage absagen musste, tritt er nun offenbar sogar kostenlos auf – mit seiner Philharmonie der Nationen. Wer den Wumms wohl bezahlt? Und ob Alice Weidel und Sahra Wagenknecht sich schon angemeldet haben? Wie weit geht die Selbsterniedrigung noch? Hier noch Mal die BackstageClassical-Reportage über Justus Frantz.

Bregenzer Zweierlei

Die Bregenzer Festspiele haben eröffnet. BackstageClassical war gleich mit zwei Autoren vor Ort. Georg Rudiger schwärmt über Jan Philipp Glogers Modernisierung von Rossinis Oper Tancredi: »Das lange, leise Ende der gewählten Ferrara-Fassung gerät in Bregenz zu einem Statement für die lesbische Liebe. Tancredi wird vor ihrem Transparent von den Polizisten äußerst realistisch abgeknallt. Anna Goryachova singt und spielt diese körperlich und seelisch verletzte Frau mit einer Hingabe und Dringlichkeit, die berührt. Erst im Tod fühlt sie die Liebe von Amenaide, der Mélissa Petit ein letztes Mal modellierte Töne schenkt.« Ich selber habe mir den Freischütz von Philipp Stölzl angesehen und kam mir vor, als würde ich zwei Stunden lang in der gleichen Geisterbahn sitzen.   


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News-Ticker 2

Der peruanisch-österreichische Tenor Juan Diego Flórez hat sein eigenes Label unter dem Namen Florez Records gegründet. Das erste Album wird im Herbst 2024 erscheinen und ist der Gattung der Zarzuela gewidmet. Es wird auch die erste Aufnahme des Tenors mit dem Sinfonía por el Perú Jugend-Orchester und -Chor. +++ Ioan Holender hört auf! Nach anderthalb Jahrzehnten und mehr als 200 Sendungen ist Schluss mit seiner Klassik-Sendung bei Servus-TV. Ich war mehrfach eingeladen zu seinen Festspiel-Sondersendungen. Weinen wir ihm nach? In den letzten Jahren kreiste Holender am liebsten um sich selber, meint, er habe alles und jeden in der Klassik-Welt entdeckt oder erfunden und nähert sich immer mehr einer Gaga Donald-Trump Rhetorik an. Nun tritt er ab (oder besser – wird abgetreten): mit fast 90 Jahren. Na denn: Servus! +++ Der Intendant der Staatsoper in Berlin, Matthias Schulz, erklärt in der FAZ, dass sein Wechsel ans Zürcher Opernhaus auch mit der Kulturpolitik der deutschen Hauptstadt zu tun hatte: »Wenn ich den Eindruck gewonnen hätte, dass man in Berlin auch kulturpolitisch bewusst die Zukunft dieses Hauses gestalten will, hätte sich die Frage nach einem Wechsel für mich vermutlich nicht gestellt«, sagt Schulz. Außerdem bemängelt er, dass einige Abteilungen der Berliner Oper noch immer in alten Hierarchien denken: »In schwierigen Situationen muss und kann nicht alles fertig gedacht sein; da muss man sich auseinandersetzen können und ein echtes Miteinander finden«, sagt Schulz, »das ist, bei aller Leistungsfähigkeit, nicht einfach, vor allem dann nicht, wenn es in den verschiedensten Abteilungen noch Reste autoritären Verhaltens gibt, die mit einer neuen Zeit nicht mehr kompatibel sind. Es musste klar werden: Man arbeitet für eine Institution, nicht gegen eine Person.« +++ Mit Udo Bermbach ist einer der wichtigsten Wagner-Forscher gestorben. Auf BackstageClassical gibt es einen persönlichen Nachruf von Monika Beer.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Die Festspielzeit beginnt! Salzburg schwänze ich dieses Mal (keine Angst, BackstageClassical wird dennoch berichten) – dafür habe ich Intendant Markus Hinterhäuser aber einen persönlichen Brief geschrieben, der hier nachzulesen ist.

Und dann ist da noch Bayreuth: Dort sehen wir uns vielleicht zum kostenlosen Open-Air mit Nathalie Stutzmann am 24. oder 30. Juli – oder in der Tristan-Aufführung? Ach ja, an unserem Gewinnspiel, das wir gemeinsam mit der Geldermann Sektkellerei durchgeführt haben, haben sehr viele mitgemacht – letztlich hat Lea aus Hamburg gewonnen. Sie schickte uns diese Tristan-Assoziationen: »Den Tristanakkord mal live zu hören. 😊 Ich weiß noch, wie wir den zum ersten Mal im Musikkurs besprochen haben (unsere Lehrerin hat die Aufnahme angemacht, ohne uns zu sagen, was wir hören und in dem Moment dachte ich: »Das muss dieser Tristan-Akkord sein, von dem alle immer erzählen«). Unvergessen auch, wie meine beste Freundin in der mündlichen Abiprüfung aufgesprungen ist, um die Akkordfolge am Klavier zu demonstrieren. Vor fast 15 Jahren war das. Sie hat dann Musikwissenschaften studiert und ich habe immerhin zweimal Auszüge aus Tristan im Uniorchester gespielt. Aber das mal so »richtig« zu hören, wäre ein Traum!!‘« Liebe Lea – viel Spaß wünschen Dir dabei Geldermann und BackstageClassical.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr 

Axel Brüggemann 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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