Modernisierung mit Sinn und Effekt: Jan Philipp Gloger inszeniert Rossini Trancredi in Bregenz. Kritik von Georg Rudiger.
Eigentlich spielt die Geschichte im Mittelalter in Syrakus und erzählt von Kreuzfahrern und feindlichen Sarazenen, von einer unmöglichen Liebe und der Dominanz der Männer. Tancredi war Gioachino Rossinis erste Opera Seria, mit der er im Februar 1813 am Teatro La Fenice seinen Durchbruch schaffte. Es liegt wohl am schwachen Libretto, dass die Oper heute weitgehend von den Spielplänen verschwunden ist.
Nun hat Jan Philipp Gloger die sperrige Story bei den Bregenzer Festspielen ins Heute verlegt und aus den Rittern Mitglieder von zwei ehemals verfeindeten Drogenclans im katholischen Süden gemacht, die sich gegen die Polizei verbündet haben. Der Transfer klappt im Festspielhaus erstaunlich reibungslos, weil der Regisseur genau arbeitet und die Details stimmen. Die offene Villa von Clanchef Argirio (mit hellem, allerdings zu flachem Tenor: Antonino Siragusa) ermöglicht auf der sich langsam drehenden Bühne Einblicke ins Innenleben der Mafia – samt gefliester Folterkammer, Fitnessraum, Plastikstühlen, Kruzifix und schmuddliger Küche (Bühnenbild: Ben Baur) mit sorgender Mama (Laura Polverelli als dunkel timbrierte Isaura). Die leicht reizbaren Männer des gelegentlich schleppenden Prager Philharmonischen Chors tragen je nach Clanzugehörigkeit Cargowesten oder Jackets (Kostüme: Justina Klimczyk). Immer wieder entlädt sich Machogehabe in Gewalt.
Auch die zentrale Inszenierungsidee, den schon bei der Uraufführung von einer Mezzosopranistin gesungenen Tancredi als Frau zu sehen und so eine verbotene lesbische Liebesbeziehung im patriarchalen Umfeld in den Mittelpunkt zu rücken, geht auf, was an den auch darstellerisch großartigen Sängerinnen liegt. Mélissa Petits ziselierte, frei schwebende Koloraturen als Amenaide erzählen viel von dieser vom Vater zur Ehe mit Orbazzano (mit Matte und kräftigem Bassbariton: Andras Wolf) gezwungenen Tochter, die nach und nach mutiger wird.
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Aus ihren Sehnsüchten nach der Geliebten Tancredi, verbunden mit der Angst vor Entdeckung, gestaltet Petit ein faszinierendes Rollenporträt. Anna Goryachova macht aus der Eifersucht und dem Schmerz Tancredis dunkel gefärbte melodische Linien. Im Laufe des Abends stählt sie ihren flexiblen Mezzo. Rossini-Expertin Yi-Chen Lin entwickelt mit den Wiener Symphonikern im Großen einen federnden, geschärften Rossinisound mit viel Grip in den Streichern und fließenden Tempi. Leider folgen gerade die Holzbläser nicht immer ihrem präzisen Dirigat. Auch klanglich gibt es bei Oboen, Klarinetten und Englischhorn Qualitätseinbußen. Vielleicht hätte man in der Partitur insgesamt noch ein wenig mehr streichen können oder auch müssen, weil sich der über drei Stunden lange Abend doch etwas zieht.
Das lange, leise Ende der gewählten Ferrara-Fassung gerät in Bregenz zu einem Statement für die lesbische Liebe. Tancredi wird vor ihrem Transparent von den Polizisten äußerst realistisch abgeknallt. Anna Goryachova singt und spielt diese körperlich und seelisch verletzte Frau mit einer Hingabe und Dringlichkeit, die berührt. Erst im Tod fühlt sie die Liebe von Amenaide, der Mélissa Petit ein letztes Mal modellierte Töne schenkt.
Weitere Vorstellungen: 21./29. Juli 2024. www.bregenzerfestspiele.com