Der Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, Christian Kuhnt, über den Erfolg beim Publikum, seinen Umgang mit Festival-Gründer Justus Frantz und die Kritik, dass große Festivals an ihre Grenzen stoßen.
Christian Kuhnt ist Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals. In diesem Sommer hat er über 200 Konzerte an 120 Orten. Der Vorverkauf ist sensationell, viele Veranstaltungen sind bereits Ausverkauft. Im BackstageClassical-Gespräch redet er über seine Vision, Musik zu den Menschen zu bringen, über die Russland-Verbindungen von Festival-Gründer Justus Frantz, über die gesellschaftliche Verantwortung von Musikerinnen und Musikern über die Kunst, mit Musik ein breites Publikum zu erreichen.
Vor einigen Wochen überlegte der Intendant der Kammermusiktage Hitzacker, Oliver Wille, bei BackstageClassical, ob die großen Festivals nicht an ihrer eigenen Größe zu scheitern drohen. Kuhnt entgegnet, dass man in Schleswig-Holstein nicht mehr expandieren werde, gleichzeitig aber bewusst und aus Vorsatz auf eine Breitenwirkung des Programmes setze.
Über den Umgang mit dem Festival-Gründer Justus Frantz sagt Kuhnt, dass jemand, der den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine relativiere derzeit keinen Platz beim Festival habe. Er habe das Gespräch mit Frantz jenseits der Öffentlichkeit gesucht und sei zu seiner Entscheidung gekommen, die Zusammenarbeit auszusetzen (hier für alle Player).
Highlights aus dem Gespräch
Über die These von Oliver Wille, dass große Musikfestivals an ein natürliches Ende gekommen sind
Wir sind in Schleswig-Holstein sehr schnell gewachsen, von 100 Konzerten am Anfang auf inzwischen über 200. Aber wir haben auch gesagt, dass damit eine Grenze erreicht ist. Wir wollen familiär sein, die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbinden und wir geben ein Qualitätsversprechen ab. Ein solches Konzertereignis kann also nicht endlos reproduziert werden. Letztes Jahr hatten wir 185.000 Besucherinnen und Besucher, und ich glaube, wir könnten auch 250.000 Besucher organisieren – aber dann würde sich der Charakter des Festivals verändern, und das wollen wir nicht. Dennoch ist es wichtig, dass wir auch weiterhin in die Breite der Gesellschaft wirken. Und dazu gehört neben der Qualität eben auch die Quantität. Wir sehen ja, dass es auch eine große Nachfrage nach unseren Konzerten gibt. In sofern ist das, was Oliver Wille sagt – dass wir nicht ins Endlose expandieren können – natürlich ein Gedanke, den wir in unserem Team auch sehr lange diskutiert haben. Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass eine weitere Expansion nicht zielführend wäre.
Über die Frage der Breitenwirkung von Musik und ihre Tiefe
Wir müssen lernen, dass die Tiefe der Musik und die Fähigkeit, eine Breitenwirkung zu entwickeln zunächst einmal kein Widerspruch darstellt. Wir haben an Hochschulen das Phänomen, dass überall Exzellenz ausgebildet wird. Was vielleicht etwas vernachlässigt wird, ist der Gedanke, dass diese Exzellenz dann auch auf einer Bühne vor Publikum stehen muss. Wir sind am Ende ja performing artsist! Ich will da gar nicht ideologisch werden, und es gibt ja auch viele verschiedene Arten der Musikvermittlung. Wir haben zum Beispiel Daniel Hope, der das wunderbar macht – aber man kann das natürlich auch ganz anders anpacken. Und, ja, auch die Kammermusik für ein sehr konzentriertes und kleines Publikum ist ebenfalls wichtig und ein Teil unserer Musiklandschaft. Das stellt niemand in Frage! Aber wir sollten durchaus die Frage stellen, ob wir diese Musik nicht viel zu oft in viel zu großen Räumen präsentieren.

Über Justus Frantz und seine Russland-Beziehungen
Kunst steht immer im gesellschaftlichen Kontext. Wir haben das Gespräch mit Justus Frantz bewusst gesucht, auch aus Respekt gegenüber seiner musikalischen Leistungen. Es war mir dabei wichtig, das Gespräch intern und nicht in der Öffentlichkeit zu führen – und das haben wir auch getan. Dabei haben wir festgestellt, dass wir unterschiedliche Auffassungen in dieser Sache haben. Das ist grundsätzlich ja auch legitim, denn Pluralität ist ein Teil unserer Kultur. Aber am Ende geht es in diesem Punkt eben um die konkrete Frage, wie man den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bewertet. Ich halte den Krieg für ein ungeheures Verbrechen und habe Schwierigkeiten damit, das zu relativieren. Sowohl bei Politikern als auch bei Künstlern. Und wer das tut, hat derzeit keine Plattform beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Ich gehöre auch zu jenen, die Teodor Currentzis schon lange kritisch beäugen. Dabei verstehe ich durchaus, wenn er seine Verantwortung gegenüber russischen Künstlerinnen und Künstlern betont, aber diese Verantwortung sollte er dann auch in Russland wahrnehmen. Wir müssen uns fragen, ob es für uns okay ist, wenn jemand wie er derzeit keine Meinung äußert. Ich habe damit große Schwierigkeiten. Das bedeutet aber nicht, dass ich einen Generalboykott von allem, was russisch ist, will. Im Gegenteil: wir laden russische Künstlerinnen und Künstler ein und spielen auch weiterhin russische Musik!
Über die Nähe zu den Menschen beim Festival
Das Schleswig-Holstein Musik Festival lebt vom Grundgedanken der musikalischen Bürgerinitiative. Wir haben zum Beispiel Festival-Beiräte, die mit ihre Vor-Ort-Kompetenz erst dafür sorgen, dass wir an 120 unterschiedlichen Orten spielen können: das geht vom Einsatz freiwilliger Helfer bis zu logistischen Fragen. Das Festival wird von wirklich sehr vielen Menschen getragen, die es jedes Jahr wieder zum Erfolg machen. Und das spüren am Ende auch die Künstlerinnen und Künstler, die hier auf eine unmittelbare Nähe zu den Menschen stoßen.
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