Der SWR steht in der Kritik: Das Abo-Publikum, Orchester-Fans, ein Großteil der Presse und offensichtlich auch einige Partner kritisieren das Festhalten an François-Xavier Roth
Der SWR gerät nach seiner Entscheidung für François-Xavier Roth immer weiter unter Druck – besonders beim Stamm-Publikum. Die Erklärungen von Orchester Gesamtleiterin Sabrina Haane und Programmdirektorin Anke Mai, an Roth festzuhalten, scheinen bei einem großen Teil des Publikums nicht zu verfangen. Am Donnerstag wurde Haane bei einer Abo-Veranstaltung ausgebuht, als sie die Zusammenarbeit mit Roth verkündete. Schon in der Causa Currentzis hatten einige Mitglieder des Freundeskreises ihren Unmut mit der Ochesterleitung kund getan, im Falle von François-Xavier Roth scheinen die Bedenken nun wesentlich größer zu sein.
Shit-Storm im Netz
Auf der Facebook-Seite des SWR ist viel Unmut zu lesen, selbst von so genannten »Top Fans«, die eigentlich Unterstützer des Orchesters sind. »Ich bin entsetzt«, schreibt Dirk, »es sieht so aus, als hätte sch die Musikbranche entschlossen, sexuelle Nötigung als Kavaliersdelikt abzutun.«. Offene Kritik kommt auch von Musikern anderer Rundfunk-Orchester, ein Tubist der WDR Bigband schreibt: »Als jemand, der als Musiker in einem öffentlich-rechtlichen Klangkörper arbeitet, schäme ich mich!« Jonathan versteht nicht, »Wieso genau sollen Mitglieder des Orchesters und Praktikant:innen eine Schulung erhalten, wenn der Dirigent sich daneben benimmt.« Marie gibt bekannt: »Abo ist dann mal gekündigt.« Und Ina schreibt: »In solchen Entscheidungen darf es nicht nur um Gesetze und Paragraphen, sondern hauptsächlich um einwandfreie Moral gehen.« Zweifel werden auch an der Widersprüchlichkeit der SWR-Erklärung geäußert. Dort hieß es: Wegen »Hörensagen« könne man den Vertrag nicht auflösen, aber »die Voraussetzung für eine weitere Zusammenarbeit (war), dass François-Xavier Roth sein Fehlverhalten eingesteht.« Was denn nun, fragt eine Userin: »Hörensagen« oder »Eingeständnis«?
Auch Partner scheinen irritiert
Und noch etwas in der Erklärung des SWR scheint fragwürdig: Programmdirektorin Mai erklärte in einem Brief an das Orchester, dass die Partner des SWR Orchesters informiert worden sein und ihre Entscheidung unterstützen. Nach BackstageClassical Informationen gab es in der Media-Sitzung des Orchesters allerdings durchaus Kritik an der Entscheidung, an Roth festzuhalten. Der SWR arbeitet mit vielen Partnern zusammen: Konzerthäuser, Schallplatten-Labels und Agenturen. Fraglich, ob da wirklich alle der Meinung von Sabrina Haane und Anke Mai sind. In Japan und Frankreich scheint der Blick auf die aktuelle Situation jedenfalls nicht so positiv auszufallen. Hier wurden bereits Konzerte mit François-Xavier Roth gestrichen. Spannend, ob die Kölner Philharmonie das SWR-Orchester mit Roth in Zukunft einladen wird.
Presse kritisiert SWR-Entscheidung
Auch die Kommentare in den Medien sind ziemlich eindeutig: Es ist nur wenig Verständnis für die Entscheidung von Haane und Mai zu hören. »Ein öffentlich-rechtlicher Sender macht es sich zu leicht«, schreibt etwa Manuel Brug in der Welt: »In Frankreich wurde François Xavier Roth gänzlich zur persona non grata. Alle Institutionen, und das sind viele, haben oder wollen ihn für ihre gemeinsamen Projekte als Dirigent ersetzen. Das von ihm gegründete Orchester Les Siècles musste eine Fernosttournee streichen und die Union der freien Orchester verlassen. Auf der Les Siècles-Webseite wurde Roth getilgt.« Beim WDR kommentiert Ida Hermes die Sache ebenfalls scharf. Egal, wohin man schaut, die große Mehrheit der Klassik-Journalistinnen und -Journalisten verstehen die Entscheidung des SWR schlichtweg nicht.
In der Causa Teodor Currentzis haben Sabrina Haane und Anke Mai bis zum Ende gegen alle Widerstände und Recherchen an ihrem Dirigenten festgehalten. Momentan scheinen sie gewillt, genau das wieder zu tun – aber dieses Mal scheinen die öffentlichen Bedenken noch größer zu sein.
Der Fall Roth bei BackstageClassical: Vor einigen Tagen hatte die Pianistin Shoko Kuroe den Fall François-Xavier Roth kommentiert. Für sie ist es ein Fall von Täter-Migration. Axel Brüggemann fragte bereits vor einiger Zeit in seinem Essay danach, ob Kulturinstitutionen überhaupt in der Lage sind, mit Verfehlungen umzugehen. Auch der Dozent der Musikwissenschaft an der TU Dortmund, Alexander Gurdon, kritisierte das Festhalten an Roth als falsche Bestätigung seiner Macht.