Das Abendmahl des Justus Frantz – ein deutsches Sittengemälde

April 22, 2024
13 mins read
Die Gesellschaft des Justus Frantz
Die Gäste eines Salons bei Justus Frantz – eine Bildbeschreibung.

Was verbindet Alice Weidel, Sahra Wagenknecht oder Alexander von Bismarck? Sie alle stehen dem Pianisten Justus Frantz nahe. Vor einigen Monaten postete er ein Bild mit Rechts- und Linkspopulisten – und einem putintreuen Kulturmanager. BackstageClassical hat recherchiert, wer die Gäste dieses Abends waren. 

20 Gäste, unter einem Kronleuchter im Hamburger Stadtteil Pöseldorf. Draußen ist es kalt, es schneit. Ein bürgerliches Idyll, mitten in Deutschland. Die Bücherregale sind vollgestopft, an den Wanden hängen Porträtbilder, der weiße Kamin sorgt für Gemütlichkeit. Es gibt Schaumwein und Kaffee, später eine kleine Ansprache. Der Pianist Justus Frantz hebt sein Glas, lächelt in die Runde. Rotes Jackett, lila gestreifte Krawatte. Das Platzschild neben ihm gehört der Politikerin Sahra Wagenknecht. Außerdem dabei: Die Unternehmerin Kristina Tröger, der in Russland tätige Kultur-Manager Hans-Joachim Frey oder der adelige Politiker Alexander von Bismarck, der auch beim geheimen »Remigrations«-Treffen zu Gunsten der Identitären Bewegung in Potsdam anwesend war. Der Publizist und Rechtspopulist Roger Köppel schwärmte später, wie Frantz »ein paar Sonaten von Beethoven und Mozart in die Tasten getupft« habe. Was man von diesem Bild lernen kann: Musik ist ein perfekter Kitt für Netzwerke und gibt jedem Treffen den Anstrich des Guten und Hehren.

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Anders als beim konspirativen Treffen von gleichgesinnten Rechten in Potsdam hat Justus Frantz aus seinem Salon kein Geheimnis gemacht. Freimütig hat er Bilder auf Facebook gepostet (hier ist es noch einmal zu sehen). Und er war nicht der Einzige. Es lohnt sich, die Geschichte einiger  Personen, die auf diesem Foto zu sehen sind, etwas ausführlicher zu erzählen, um zu verstehen, wie Netzwerke populistischer Politikerinnen und Politiker längst im Scheinwerferlicht der Kultur entstehen und zu fragen, wie es kommt, dass Parteigründerin Wagenknecht plötzlich freudig lächelnd neben strammen Rechten wie Roger Köppel oder Alexander von Bismarck sitzt. Was viele der Anwesenden verbindet ist ihre Sympathie für Russland und Vladimir Putin und ihre Kritik an der aktuellen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Ist das die neue Normalität der deutschen Bürgerlichkeit? Der Versuch einer Bildbeschreibung. 

Der Gastgeber (17)

Geladen hatte der Pianist Justus Frantz, eine Klassik-Legende der 1980er Jahre. Klavier-Professor und Kulturmanager. 1986 gründete er das Schleswig-Holstein Musik-Festival, brachte Klassik auf das Land und lockte Legenden wie den Dirigenten Leonard Bernstein. Justus Frantz nahm vierhändig Schallplatten mit Helmut Schmidt auf, und der Kanzler verfasste auf Frantz’ Finca auf Gran Canaria seine Memoiren. Frantz verstand sich zunehmend als Bindeglied zwischen Kultur und Politik und wurde zum Stereotyp bundesrepublikanischer Bürgerlichkeit.

Das ZDF machte ihn zum Klassik-Erklärer der Nation. Seine Sendung Achtung! Klassik brachte Mozart und Beethoven in die deutschen Wohnzimmer. 1989 gründete Frantz die Philharmonie der Nationen, ein internationales Jugendorchester. Der rührige Pianist und Musik-Enthusiast wurde zum musikalischen Gewissen der Bundesrepublik, aber auch zu einer Art Klassik-Karikatur: aufgeregt, aktionistisch, etwas überbegeistert – zuweilen zerstreut und manchmal ziemlich professoral.

Sein hanseatischer Stil fiel immer mehr aus der Zeit, seine Art wurde zum Anachronismus, in einem neuen Deutschland sah Frantz plötzlich so alt aus wie die Krawatten von Alexander Gauland. Während der Corona-Pandemie flog er einmal aus dem Bordbistro der Deutsch Bahn, weil er sich weigerte, eine Maske zu tragen. Große Orchester wie die Berliner Philharmoniker haben ihn nicht eingeladen. Hinzu kamen immer neue finanzielle Engpässe. Seine große Comeback-Tour 2023 lief schleppend: Ein Konzert in Flensburg musste abgesagt werden, eines in Bremen wurde verschoben. Dort bestand lange wenig Nachfrage nach Tickets – schließlich wurde auch dieses abgesagt.

Und so ist der Musikdiplomat Justus Frantz scheinbar langsam aus der Mitte der Gesellschaft an ihre Ränder gedriftet. Anerkennung bekam er von neuen Freunden, von populistischen Politikerinnen und Politikern und aus einer oft prorussischen Kulturwelt. Frantz, der zunehmend um seine öffentliche Rolle rang, scheint ein perfekter Gastgeber in einer Welt zu sein, in der Kultur zunehmend als Deckmäntelchen dient, um unter dem Nimbus des Humanismus und des Schöngeistigen Netzwerke aus Politik, Medien und Wirtschaft zu spinnen. Und so ist der Salon des Pianisten auch zum Wohnzimmer für Rechtspopulisten, Putin-Freunde und Skeptiker der aktuellen demokratischen Ordnung in Deutschland geworden.

Seit Jahren pflegt Justus Frantz Nähe zu Putins Reich. Die Annexion der Krim hielt er für eine »Wiedergutmachung historischen Unrechts«, er selber nannte sich »Putin-Versteher«. Frantz unterschrieb als einer der ersten das »Manifest für Frieden« von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. 

Vladimir Putin hat der Pianist persönlich kennengelernt und hält den russischen Präsidenten für einen »kultivierten Mann«. 2018 gab Frantz Konzerte in den von Russland besetzten Städten Simferopol und Sewastopol, und selbst im Sommer 2023 fand er es nicht problematisch, in der Jury des Tschaikowsky-Wettbewerbs in Russland zu sitzen. Vladimir Putin persönlich hatte das Grußwort geschrieben, und Frantz erklärte: »Ich glaube nicht, dass eine einzige Rakete auf die Ukraine mehr fällt, weil ich hier in der Jury gesessen habe.« Russland ist ein lukratives Spielfeld für den Musiker geworden – er hat Aufführungen in Moskau und St. Petersburg dirigiert. Kürzlich hat er seinen Sohn Justus Konstantin (er lebt in St. Petersburg) in Russland besucht und dabei erlitt Frantz nach eigenen Angaben eine Sepsis – Frantz wurde in einem russischen Krankenhaus wieder gesund gepflegt. 

In Deutschland war man schon länger irritiert. Der amtierende Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, Christian Kuhnt, hatte Festivalgründer Frantz nicht mehr eingeladen und ihm telefonisch mitgeteilt, warum: Seine Russland-Nähe sei nicht mit den Werten des Festivals vereinbar. Einem Großteil von Publikum und Presse war nicht einmal aufgefallen, dass Frantz plötzlich nicht mehr beim Festival auftrat. Als „Der Spiegel“ das Thema aufgriff, kam heraus, dass Frantz bereits AfD-Chefin Alice Weidel in einen Salon geladen hatte. Der Pianist schwärmte von der Rechtspopulistin als »ganz zauberhafte Person«. Im Hamburger Abendblatt legte er dann nach: »Mein persönlicher Eindruck ist der, dass Alice Weidel nicht extremistisch ist. Ich reagiere auf nichts allergischer als auf faschistische Tendenzen. Und die sehe ich bei ihr nicht.«

Frantz selber stilisiert sich gern als pazifistischer Friedensmensch, der an das Gute glaubt und in der Kultur Brücken bauen will. Das Buch zu seinem 80. Geburtstag soll unter dem Titel Künstler zwischen den Welten erscheinen. Es erscheint im Verlag Koehler, und Frantz erkläre, er wolle hier über die »großen Erfolge seiner Karriere« berichten. Seine Brücken baut er seit einiger Zeit allerdings ziemlich einseitig vom Ost-Ufer aus. Was bislang weniger bekannt war: Frantz hatte im Sommer 2023 auch als Redner beim Russischen Wirtschaftsforum teilgenommen, das Putin als Propaganda-Schaufenster etabliert hat, um zu zeigen, dass er das westliche Davos nicht brauche. Wichtige Gäste aus den USA oder Europa wollten nicht kommen, stattdessen redeten rechte und populistische Politikerinnen und Politiker, unter anderem der Cellist und AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf oder die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl. Kneissl wurde auch deshalb bekannt, weil sie Putin zu ihrer Hochzeit an die südsteirische Weinstraße eingeladen und vor ihm einen Knicks gemacht hatte.

In Justus Frantz Salons kommen seine neuen Freunde aus ganz verschiedenen Richtungen mit ganz unterschiedlichen Interessen zusammen. Es lohnt sich, etwas genauer hinzuschauen.

Der Adelige (4)

Rote Hose, lässige Jacke und und zufriedenes Lächeln. Zwischen Rechtspopulist Roger Köppel und Linkspopulistin Sahra Wagenknecht sitzt Alexander von Bismarck. Er ist ein Großneffe des Reichskanzlers Otto von Bismarck und enger Vertrauter von Justus Frantz. Bismarck war Gast beim Geheimteffen zur »Remigration« in Potsdam mit dem rechtsradikalen Zahnarzt Gernot Mörig in der Villa Adlon und steht damit der Identitären Bewegung nahe.

Gleich nach dem Mauerfall hatte Bismarck seine alte Heimat Mölln in Schleswig-Holstein verlassen und seinen Familienbesitz in der Altmark zurückgeholt. Sein Schloss wurde 1736 erbaut und ist ein barocker Traum in Kaisergelb (die Farbe soll er mit seiner Frau in St. Petersburg gefunden haben). Bismarck wurde 1986 wegen Betrugs zu drei Jahren Haft verurteilt, später betrieb er ein Geschäft mit Weihnachtsdekoration. Als Ortsbürgermeister der Gemeinde Insel in Stendal sprach er sich 2011 – an der Seite von Rechtsradikalen – für Proteste vor dem Haus von Sexualstraftätern aus. Der Landesvorstand der CDU tobte und schrieb ihm einen Brief: »Es ist zutiefst beschämend, wenn zugelassen wird, dass ein zweifellos schwieriger Konflikt von rechtsextremistischen Gegnern unseres demokratischen Gemeinwesens dazu genutzt werden kann, die bestehende Rechtsordnung in Frage zu stellen. Wer sich mit Extremisten gemein macht, indem er ihnen eine Plattform bietet oder ihr Auftreten unwidersprochen akzeptiert, der verlässt die gemeinsame Wertebasis der CDU.« 2012 legte von Bismarck das Amt des Bürgermeisters nieder.

Im Vereinsregister von Stendal ist auch der Förderverein von Justus Frantz Philharmonie der Nationen eingetragen, der Adelige fungierte hier lange als Vorsitzender. Bismarcks Frau Irina kommt aus St. Petersburg und spielte als Bratschistin in Frantz’ Orchester.  

Auch die Nähe zu Russland verbindet Frantz und seinen Freund. Bismarck war Teil der „German-Russian Young Leaders“-Konferenzen und gründete, nachdem die Petersburger Dialoge und das Deutsch-Russische Forum auf Eis gelegt worden waren, den „Bismarck Dialog“ auf Schloss Döbbelin. Hier warben er und seine Gäste für mehr Russland-Verständnis in Europa.  Noch im März 2023 hatte Bismarck publikumswirksam einen russischen T-72-Panzer, der damals als Kunst-Aktion vor der Russischen Botschaft stand, mit 2.000 roten Rosen geschmückt, um für einen Dialog mit Russland zu werben. 

Meist steuert Bismarck sein geliebtes Russland dabei von rechts an. Er tritt im rechen Podcast Kontrafunk auf, wo er noch im Oktober 2023 unter dem Titel »Unter Freunden« dafür warb, Künstler wie Justus Frantz als Friedensbringer zu verstehen. Während des Salons bei Justus Frantz unterhielt sich Alexander von Bismarck angeregt mit einer mitteilungsbredürfigen Schneiderin… 

Die Schneiderin (7)

Romy Cordes ist auf Instagram zu Hause und weiß, wie man bei einem Gruppenbild in die Kamera schaut: Hände auf die Knie, die Haare über die Schulter geworfen, den Blick in die Kamera gerichtet. So posiert sie neben Sahra Wagenknecht. Cordes hat als Schneiderin für die Tour der Fernsehsendung Voice of Germany gearbeitet und zeigt auf ihrem Insta-Kanal gern ihre Wut über den Zustand des Landes. Neulich postete sie ein Bild, das sie bei den Bauernprotesten zeigte, und unter dem sie gegen eine Politik, »die das Land wieder in Trümmer schlägt und führt« warb. Natürlich hat Romy Cordes ihre Follower auf Instagram auch über das Treffen bei Justus Frantz informiert. Unter einem Foto, das sie mit Alexander von Bismarck und Sahra Wagenknecht zeigt, schrieb sie: »Danke Justus Franz für den inspirierenden Abend, und die Möglichkeit mit Frau Sahra Wagenknecht zu sprechen. Sie gab uns die Möglichkeit ihre Sichtweise detailliert zu verstehen, und konnte mit außerordentlichen Verstand und Weitsicht ihre Politik der Zukunft erklären. Ich hoffe für Deutschland, dass die Partei von Sahra Wagenknecht ein Erfolg wird. Die Unterstützung einer alten großen politischen Familie ist ihr sicher. Heute Abend vertreten durch Alexander von Bismarck.«

Die Parteigründerin (5)

Mit dem Posieren kennt sich auch Sahra Wagenknecht aus. Sie sitzt neben Alexander von Bismarck und Romy Cordes – gleich daneben Roger Köppel. Noch vor einiger Zeit erklärte Wagenknecht in der Talkshow von Markus Lanz, dass sie einmal auf eine Einladung von Rechts reingefallen sei. Damals habe Gernot Mörig, der Organisator des Potsdamer »Remigrations«-Gipfels, Kontakt mir ihr aufgenommen und ihr ein Treffen mit dem Satiriker Volker Pispers vermittelt, an dem der rechte Zahnarzt dann auch selber teilgenommen hatte. »Wenn mir jemand anbietet, dass ich einen Menschen treffen kann, den ich hoch respektabel finde, dann freut mich das, und dann mach ich das.« Die Politikerin sagte aber auch, dass Sie damals keine Ahnung von Mörings rechter Gesinnung gehabt hätte und sicher nicht gegangen wäre, hätte sie davon gewusst. Außerdem sei das Treffen schon lange her, und in der Regel treffe sie sich nicht mit Rechten. 

Wie also kam es, dass Wagenknecht nun (nicht lange vor der Lanz-Sendung) bei Justus Frantz lächelnd zwischen Alexander von Bismarck und Roger Köppel (dem Herausgeber der Weltwoche und dem Gesicht der Schweizerischen Volkspartei) saß, deren rechte Gesinnung ihr nicht unbekannt gewesen sein dürfte? Hatte sie Justus Frantz, dem Unterschreiber ihrer Petition gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, blind vertraut? Suchte sie einfach nach gesellschaftlichen Kontakten und eventuellen Spendern für ihre neue Partei? Wusste Sahra Wagenknecht, dass Justus Frantz die einstige Linke-Politikerin zu einem Abend mit echten Rechten eingeladen hatte?

Der Putin-Freund (13)

Mehr Manspreading geht nicht. Der Mann, der mit schwarzen Schuhen, schwarzer Hose, schwarzem Pulli, schwarzem Jackett und gespreizten Beinen mitten im Bild sitzt, ist Hans-Joachim Frey. Eine schillernde Figur im Kulturbetrieb zwischen Dresden und St. Petersburg und wahrscheinlich eine Schlüsselperson an diesem Abend. Frey war Intendant am Theater Bremen und Organisator des Semperopernballs im Jahre 2009. Da lernte er auch Vladimir Putin kennen, der während des Mauerfalls als KGB-Offizier in Dresden gearbeitet hatte. Nun wurde Putin hier ein Orden verliehen. 

Freys Netzwerk vereint heute Wirtschaftsführer und AfD Bundestagsabgeordnete, und es lohnt sich, seine Rolle etwas genauer anzuschauen. Beim Semperopernball 2009 ließ Frey den russischen Cellisten Sergej Roldugin für Putin spielen. Roldugin ist Vertrauter des Präsidenten und gemeinsam mit seiner ersten Frau Irina Nikitina Taufpate von Putins Tochter Maria. Irina bildet auch eine unsichtbare Querverbindung in den Frantz-Salon. Lange saß sie im Kuratorium der German-Russian Young Leaders-Konferenz für die sie Olaf Scholz (damals noch Bürgermeister von Hamburg), den russische Botschafter Vladimir Kotenev und Russlands Außenminister Sergej Lavrov gewinnen konnte. Auch Alexander von Bismarck gehörte nach Correctiv-Recherchen zum Kreise dieser Konferenz. Immer wieder nutzte Nikitina die Kultur für ihre Netzwerke, unter anderem veranstaltete sie den Wettbewerb Musical Olympus, zu dem auch Alexander von Bismarck im Juni 2023 von ihr eingeladen wurde. Einer der Partner dieses Wettbewerbs, der auch große westliche Klassik-Namen anlockte, ist die präsidentennahe Nachrichtenagentur Tass. Bismarck postete in sozialen Medien: »It was a great concert (…) and I was allowed to be there in St.Petersburg. Thank you very much dear Irina. (Musical Olympus/Irina Nikitina).« 

Nikitinas erster Mann, Sergej Roldugin, trägt den Spitznamen »Putins Cellist« und steht Hans-Joachim Frey besonders nahe. Er hat vorgemacht, wie Musik als perfekte Camouflage für zweifelhafte Geschäfte funktioniert: Im Zuge der Panama-Papiere wurden ihm zwei Milliarden Dollar zugeordnet. Inzwischen steht Roldugin auf der europäischen Sanktionsliste. Als Frey das Brucknerhaus in Linz leitete, überließ der Intendant seinem Freund die Konzertreihe der Russischen Dienstage. Freys Nachfolger wollte den Cellisten rausschmeißen, aber das Österreichische Kanzleramt vom damaligen Kanzler Sebastian Kurz intervenierte. In Linz war Frey auch Mitbegründer des Wirtschaftsforums Linz, in dem (so wie beim Salon von Justus Frantz) Politik und Wirtschaft unter dem unauffälligen Schirm der Kultur miteinander verschmelzen sollten. 

Einer der Mitgründer des Forums war Christoph Leitl, damals Präsident der Wirtschaftskammer Österreich und bis 2021 Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer. Später leitete er den (inzwischen eingestellten) Sotschi Dialog. Auf seine Rolle in Linz angesprochen antwortete er auf Anfragen ausweichend: »Worüber ich nicht reden will, sind die Themen Russland, Ukraine und dieser unselige Krieg. Ich habe mich immer um Frieden und Brückenbau bemüht. Jetzt donnern die Kanonen. Und solange sie nicht schweigen, schweige ich.«

Neben seiner Arbeit in Linz hatte Hans-Joachim Frey damals schon Beratertätigkeiten für das Bolschoi in Moskau angenommen. Inzwischen hat er sich ganz für eine Karriere in Russland entschieden. 2021 nahm er die russische Staatsbürgerschaft an und leitet heute das Konzerthaus in Putins Ferienressort Sotschi. 

Der deutsche Kulturmanager ist gern dabei, wenn westliche Künstlerinnen oder Künstler – auch nach Ausbruch des Krieges – in Russland auftreten. Und damit sind wir wieder mitten im Hamburger Wohnzimmer: Erst kürzlich dirigierte Frantz in Moskau (Die Zauberflöte) und St. Petersburg, und auch der ehemalige Cellist des Leipziger Streichquartetts, Matthias Moosdorf, reiste noch letzten November nach St. Petersburg zum Tschaikowsky-Festival. Auf seiner Facebook-Seite dankte er explizit »Hayo Frey«. Moosdorf ist nicht nur Musiker, er ist auch Bundestagsabgeordneter der AfD und hat das Direktmandat im Wahlkreis Zwickau gewonnen. 2023 trat er ebenfalls bei Putins Wirtschaftsforum auf und behauptete hier, Deutschland würde russische Künstlerinnen und Künstler canceln.

Freys Putin-Nähe ist auch in seinem Buch Russ­land lieben lernen nachzulesen, eine Lobhudelei a Land und Politik. 2021 ist es mit einem Vorwort von Putin in der Reihe Präsi­den­ten­bi­blio­thek des Eksmo Verlages in Russ­land erschienen. Mitgeschrieben hatte der Dresdner BILD-Redakteur Jürgen Helf­richt, der nach eigenen Angaben vom Husum Verlag, von einem Dresdner Opern­ball-Unter­nehmen und einem Dresdner Musik-Verein, bei dem Hans-Joachim Frey Chef sei, bezahlt wurde. Die BILD hat sich nach Bekanntwerden von seinem Mitarbeiter getrennt.

Frey verbindet nicht nur eine musikalische Beziehung mit Justus Frantz, er trat – ebenso wie Moosdorf und Frantz – 2023 bei Putins Wirtschaftsforum auf. Nach einem Bericht der Novayagazeta kritisierte auch er, dass Europa russische Künstlerinnen und Künstler canceln würde. Aufs Korn nahm er wohl auch die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen. Frey erinnerte sich, dass die Politikerin 2019 noch über die russische Bolschoi-Ballerina Svetlana Zakharova geschwärmt habe: »Das ist genial! Nur Russen können so auftreten. Russische Künstler sind die Besten.« Seine Anekdote hat Frey beim Wirtschaftsforum angeblich mit der Pointe beendet, dass von der Leyen am nächsten Tag zur Münchner Sicherheitskonferenz gegangen sei um sich für mehr Druck der Nato auf Russland auszusprechen.

Hans-Joachim Frey ist ein Kulturnetzwerker mit sehr guten Verbindungen in russische Wirtschaft- und Politikkreise – und er sitzt im Zentrum des Frantz-Salons.  

Der Publizist (3)

Roger Köppel sitzt auf dem Gruppenbild neben Alexander von Bismarck. Der Herausgeber der rechten schweizerischen Wochenzeitschrift Die Weltwoche war acht Jahre lang Mitglied für die nationalpopulistische SVP im Schweizer Nationalrat und ist noch immer das prominente Gesicht der Partei. Seit dem Über­fall Russ­lands auf die Ukraine wirbt Köppel in der Welt­woche um Verständnis für Vladimir Putin und sorgte mit einem Tweet nach Kriegs­aus­bruch aus Moskau für Aufsehen: »Deutsch­land aufge­passt: In Moskau leuchten nicht nur die Lampen (viel Strom). Auch das Handy­netz ist viel schneller als in Berlin. Viel schneller.« 

Roger Köppel ist ein genialer europäischer Netzwerker der antieuropäischen Rechten, einer, der in seinen Artikeln und auf seinem YouTube-Kanal gegen die Verfasstheit Deutschlands wettert. Auf dem letzten Sommerfest der Weltwoche standen Harald Schmidt, Georg Maaßen und Ex-Spiegel-Mann und inzwischen Neurechte Matthias Matussek zusammen. Damals außerdem unter den Gästen: die Unternehmerin Kristina Tröger (2). Sie gründete 2016 den Club Europäische Unternehmerinnen und ist auf dem Salon-Bild bei Justus Frantz vorne links zu sehen – neben Roger Köppel. Ihr Verein postete auch Bilder von einem Neujahrsdinner mit Klaus von Dohnanyi und Roger Köppel im Hotel Vier Jahreszeiten. Beim offiziellen Festakt zu »90 Jahre Weltwoche« im November 2023 redete übrigens Ungarns Präsident Viktor Orban.

Der Helfer (16)

Einige Personen auf dem Bild gehören zur Entourage von Justus Frantz, sind Fans oder enge Vertraute wie Alexandra von Rehlingen (19). Sie war mit Frantz verheiratet, wurde 1990 von ihm geschieden und war dann zusammen mit dem Anwalt Matthias Prinz. Von Rehlingen sorgte für Aufsehen, als sie Grünen-Politikerin Ricarda Lang als »Grüne Tonne« bezeichnete (wofür sie sich inzwischen entschuldigt hat.) Auch der Mann mit den längeren Haaren und dem roten Jackett in der letzten Reihe gehört zum Frantz-Umfeld. Er ist Sebastian Kunzler, eine Art Manager des Pianisten. Er hatte die wenig erfolgreiche »Come Back«-Tournee von Justus Frantz geplant und lädt gern die Gäste für den Salon ein. Zuweilen verspricht er, dass dieser oder jener prominente Gast kommen wird, um andere prominente Gäste zu locken. Manchmal stimmt es – manchmal nicht. Es bleibt die Frage, wer an diesem Abend unter dem Kronleuchter im Hamburger Stadtteil Pöseldorf wusste, wer da neben ihm sitzen würde.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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