Lieber Markus Hinterhäuser,

Juli 21, 2024
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Die Salzburger Festspiele beginnen, der Intendant hat Hausverbot im Café Bazar. Axel Brüggemann wartet auf ihn und schreibt ihm eine Postkarte – aus Gründen.

nun fangen Deine Festspiele an, und ich schreibe dir aus dem Café Bazar, weil ich finde, dass wir gerade in der Kunst  offen miteinander sein und nicht die Hinterzimmer zur Bühne erheben sollten. 

Schade, dass Du nicht hier sein kannst, seit Du vor einiger Zeit Hausverbot in diesem schönen Café bekommen hast. Ja, die Leute in Salzburg tuscheln  darüber, aber ich konnte das nicht glauben. Doch dann hat Deine Pressestelle mir etwas verknotet geantwortet: »Außer dieser mit dem Café Bazar« bestünden »in der Salzburger Gastronomie keinerlei vergleichbaren Situationen für den Intendanten der Salzburger Festspiele«. Puh – also nur das Bazar! Zum Glück noch nicht das Triangel!

Mensch, Markus, es hat sich so einiges angesammelt zwischen uns, und ich weiß gar nicht so recht, warum. Schade, dass Du mir das nicht erklären willst. Deine Pressestelle hat mich nämlich auch wissen lassen: »Gern möchten wir Ihnen mitteilen, dass Markus Hinterhäuser für ein Interview, Podcast u.ä. für Sie nicht zur Verfügung steht.« Tja, was soll ich sagen, ich kann Dich ja nicht zwingen.

Irgendetwas scheint Dich offenbar zu stören, denn mit anderen redest Du schließlich sehr gern über mich: Mit Regisseuren, mit Intendanten, mit Deinen Kolleginnen und Kollegen – mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Und, Markus, ich muss Dir sagen (Du ahnst es sicher schon), die rufen dann manchmal verdattert bei mir an und fragen, was denn los sei mit Dir. Warum Du Dich so eingeschossen hast. Ich bin doch nur ein Blogger, Markus! Du  bist der Festspielintendant!  Und weil ich keine Antwort für die Leute habe, wollte ich in diesem Brief einfach Mal bei Dir nachfragen, was ich diesen Menschen sagen soll. 

Weißt Du noch, damals, als Du Intendant werden wolltest und wir uns immer wieder getroffen haben? In der China-Bar in Wien (was haben wir damals beide noch geraucht!), oder oben im Restaurant über den Dächern von Salzburg oder im Tomaselli (Tomaselli geht auch noch, oder?)  Damals, als wir über Deinen Vorgänger hergezogen haben. Und als Du mir den Witz vom One-Night-Stand erzählt hast und von der Frau, ihrem Namen (»dem da unten ohne den ersten Buchstaben«). Was haben wir gelacht: Nicht »Uschi«, sondern »Otze!«. Zwei oder drei Mal hast Du mir den gleichen Witz erzählt. Inzwischen sagen mir viele, dass sie den Witz auch kennen – alle von Dir. Ist aber auch lustig. »Otze!« – »Nicht Uschi!«

Ehrlich, ich vermisse Deine Witze, Markus. Und – noch ehrlicher – ich vermisse Deine Buchtipps. Wie toll war mein Italien-Urlaub mit dem Scelsi-Roman Unendlichkeit von Gabriel Josipovici, den Du übersetzt hast. Mit Sätzen wie diesem:  »Wirkliche Künstler wollen ihr Profil herzeigen und den Zeitungen erzählen, wie großartig sie sind. Aber sie sind nicht großartig, sie sind nur Menschen, und sie sind schlimmer als die meisten Menschen, weil sie ihre Talente prostituieren.« Hast Du Mal wieder Josipovici gelesen, Markus? Also ich weiß ohne Dich gar nicht mehr, was ich lesen soll. Aus lauter Verzweiflung lese ich jetzt sogar schon meine eigenen Bücher. 

Was ist nur passiert zwischen uns? Manchmal komme ich mir vor wie Bibi oder Tina mitten im Liebeskummer. Und ich habe es so gemacht, wie alle, die Liebeskummer haben: Ich habe noch Mal in meinem Handy gescrollt. Deine letzte SMS kam am 20. März 2022. Da ging es um Valery Gergiev. Du hattest mir damals erklärt, dass die dpa Dich falsch zitiert hätte. Und ich habe das dann auch brav im Newsletter aufgeschrieben: »Wir haben uns ein wenig angeschrien«, habe ich von unserem letzten Telefonat berichtet (von dem ich damals nicht ahnte, dass es wirklich das letzte sein sollte), »und dann doch Stück für Stück nach vorne gehangelt. (…) Hinterhäuser und ich waren einig, dass die finanziellen Abhängigkeiten im Kulturbetrieb neu befragt werden müssen – und wir werden das weiter debattieren. Ich bin gespannt darauf.« Den Text hatte ich Dir vorab geschickt – und Du hast geantwortet: »Danke, das ist toll von Dir.« Und dann hast Du noch so ein Victory-Emoji dahinter gesetzt.  

Tja, danach kam diese ganze, verfluchte Currentzis-Geschichte. Ich wollte gern weiterreden mit Dir. Themen gab ja genug: Sponsoring, Russen-Vorstand, Lieder für die Front – inzwischen vielleicht sogar ein Konzerthaus in St.Peterburg.

Aber Mal was anderes: Was ist denn da eigentlich los in Eurem Festspiel-Bunker? Was war da mit Bachler in Deinem Büro? Dass er aber auch so respektlos ist und einfach den Wolfgang Ablinger-Sperrhacke engagiert! Was erlauben Bachler?! Und sag Mal, Markus, wie kamen Journalisten eigentlich an merkwürdige Netrebko-Mails, in denen mein Name fiel? Wer hat ihnen den Quatsch erzählt, dass ich angeblich in Perm war? Ach – auch egal! Warum grabt Ihr Euch denn da immer tiefer ein in Euren Salz-Berg? Früher wolltest Du die Welt überzeugen. Heute teilst Du die Welt in Freunde und Feinde auf. Wo ist denn Deine Lust zur Debatte geblieben? Dein Selbstbewusstsein? Und warum werden Deine »Feinde« immer mehr?  

Es ist ja nicht nur das Café Bazar. Kämest Du jetzt in die Tür, würde ich Dir erzählen, wer sich alles so bei mir meldet. Wer anruft und erzählt, warum jemand von Euren Festspielen nicht mehr mit ihm reden würde, weil der andere irgendetwas mit mir zu tun hatte. Im Ernst?!? Meist ist ihnen das eigentlich egal. Dann lachen sie und fragen ein bisschen mitleidig, was denn los sei mit Dir. Mit Euch. Und – ehrlich – ich mache mir auch ein bisschen Sorgen. 

»Wie geht es Dir, Markus?«, würde ich Dich gern fragen. Und vielleicht das Thema wechseln, um es Dir etwas leichter zu machen. Leonard Cohen geht ja immer: Everybody knows! Und dann würde ich vielleicht ein bisschen über Dein Programm mit Dir reden. Letztes Jahr war es ziemlich durchwachsen, oder? All die alten Männer, die nicht so richtig abgeliefert haben. Ich sage nur: Marthaler! Und dann diese merkwürdige Jedermann-Absage. Dein FPÖ-Statement. Klar, da wurdest Du auch missverstanden! Hast Du ja dem ORF erklärt. Aber was ich wirklich nicht verstehe: Warum warst Du vor Deiner Vertragsverlängerung an der Seite des Landeshauptmanns beim Skirennen? Du bist doch nun wirklich kein Sportsfreund, Markus! Und Opportunist warst Du auch noch nie. Oder kenne ich Dich einfach nicht mehr richtig?

Irgendwas hat sich verändert. Die Leute schreiben auch nicht mehr, was Du ihnen in den Caféhäusern diktierst – so wie früher. Selbst Manuel Brug – eigentlich ja ein Freund der Festspiele – hat gerade in der Welt geschrieben: »Während Salzburg unter dem patenten, aber wenig musiktheateraffinen Intendanten Markus Hinterhäuser seit einiger Zeit schwächelt, sehr voraussehbar plant und einlöst, dieses Jahr gar völlig uninspiriert mit einer konzertanten Oper, einer Übernahme von Pfingsten und einer Wiederaufnahme startet, hat sich seit einigen Jahren das Festival von Aix-en-Provence vehement als dritte Kraft positioniert – mehr noch: den beiden alten Klangkämpen gegenwärtig den Rang abgelaufen (Brug meint hier Salzburg und Bayreuth).« Und selbst der New York Times fiel es neulich offensichtlich schwer, noch etwas Gutes in Deinem Salzburg zu finden. Immerhin lobte sie, dass Du Regisseurinnen, die gefloppt sind,  eine zweite Chance gibst. Jetzt könnten wir darüber streiten, ob man dem Publikum wirklich ein erstes Scheitern für 400 Euro vorsetzen sollte  – aber, Schwamm drüber. Wir wollen ja nicht schon wieder streiten.

Immerhin: Deine Österreicher, die lieben Dich noch. Aber Du musst aufpassen, Markus: Salzburger Nachrichten, Profil, ORF, Servus TV – sie wird ein bisschen klein, Deine Salzburg-Welt. Und weil wir gerade dabei sind: Ich warte noch auf Dein alljährliches Gespräch mit dem Opi von News – kommt da noch was von Euch beiden? Oder habe ich das schon verpasst? Immerhin hast Du heuer mit dem Magazin Profil gesprochen, obwohl Du offensichtlich nur wenig zu sagen hattest. Zur Frage, warum bei Euch so wenig Frauen sind (Bayreuth hat diesen Sommer mehr Frauen als Männer am Pult) fiel Dir nur ein: »Dieses Abzählen von Frauen« sei »läppisch«. Aber Du hast ja auch Teo. Der sei »ein Freund« lässt Du Profil wissen, aber Du lädst ihn natürlich nicht als Freund ein, sondern als genialen Musiker! Und zur Russland-Beziehung hättest Du »mehr als genug gesagt«. Da muss ich schon wieder was verpasst haben.

Egal, Markus! Nun sitze ich hier im Café Bazar und denke an Dich. Aber Du kommt nich mehr durch die Tür vom Bazar. Dieses Jahr werde ich nicht zu Deinen Festspielen kommen – habe nichts richtig Spannendes gefunden. Aber Du hast ja noch Mal ein bisschen Zeit bekommen: Fünf weitere Jahre! Gratulation. Das sind mindestens 20 neue Opernproduktionen. Dazu der Umbau. Genau, was Du immer wolltest. Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Kraft dafür.   

Lieber Markus, lass mich am Ende noch dieses sagen: Ich vermisse Dich! Dich, den alten Markus Hinterhäuser.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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