Premierenkritik: Philipp Stölzl versenkt den Freischütz in der Bregenzer Seebühne.
Wenn man auf dem Rummel die erste Runde in einer abgetakelten Geisterbahn dreht, kann das ganz lustig sein. Selbst eine zweite Runde ist noch okay. Aber zwei Stunden lang in der gleichen Geisterbahn – da droht trotz allem Spuk die Gefahr, irgendwann einfach einzupennen.
Philipp Stölzls Freischütz auf der Bregenzer Seebühne ist so eine abgehalfterte Geisterbahn. Eine im See versunkene Schneelandschaft aus dem Skizzenbuch von Caspar David Friedrich mit marodem Kirchturm, (viel zu laut plätschernder) Mühle und vollem Mond. Das ist auf den ersten Blick bombastisch. Aber die Szene bietet hauptsächlich Breitbild-Kino, das selten in die Seelenwelten seiner Charaktere zoomt. Stattdessen gibt es allerhand aufdringliches Entertainment: eine feuerspuckende Wasserschlange, einen brennenden See und ein Synchronschwimm-Lichtkranz-Brautjungfern-Wasserballett á la Once upon a time … in Hollywood Style. Aber Stölzl ist eben kein Tarantino, sondern ein Regisseur, der Effekte durch Kunsthandwerk beim Bregenzer Touristen-Publikum haschen muss.
Tatsächlich könnte man meinen, dass Webers Freischütz eine ideale Open-Air-Oper ist, mit all ihren Chören und Volksmusiken. Doch am Ende dieses Abends stellt sich die Erkenntnis ein, dass die eigentliche Größe dieses Werkes in seiner Kleinheit liegt. In den psychologischen Details der Personen, im beklemmenden Kammerspiel, in den engen Gedanken-Welten der Schützen-Gesellschaft. Und davon ist auf der neuen XXL-Seebühne in Bregenz leider nur wenig zu sehen. Das Innen wird hier andauernd nach außen gekrempelt und mit Flak-Scheinwerfern beleuchtet.
Stölzl lässt den Plot vom Teufel höchstpersönlich erzählen (begleitet von Akkordeon, Bass und Cembalo). Dabei hat er vielleicht zu oft eine Idee zu viel. Es fällt dem Regisseur schwer, sich auf den Opern-Kern zu fokussieren. Samiel (in rotem Teufels-Kostüm Moritz von Treuenfels) beginnt mit dem Ende der Oper, wie der Teufel es sich wünscht: Agathe liegt erschossen im Sarg, Max wird gehängt und plumpst tot in den See. Doch dann wird die Kirchturmuhr zurückgestellt, und die Oper beginnt noch Mal von Vorn: Ouvertüre!
Stölzl spinnt andauernd neue Handlungsfäden, die er am Ende nicht mehr zusammenbekommt. Irgendwann sind Ännchen und Agathe kurz lesbisch (sie wollen der Schützenwelt entfliehen, wobei Agathe erschossen wird), dann wieder ist Agathe schwanger – das soll erklären, warum es ihr so wichtig ist, Max zu heiraten.
Letztlich scheint Samiel von seinem Teufelsplan abzuweichen und verspricht allen ein Happy End: Agathe erweckt zu neuem Leben, und der deus ex machina tritt als Gottgesandter in das gottverlassene Seedorf und begnadigt alle. Bleibt die Frage, warum sich Agathe in diesem Moment freut. Denn Max‘ »Probejahr« wird ja nicht verhindern, dass ihr uneheliches Kind in den nächsten neun Monaten geboren wird, und ihr Traum von der lesbischen Liebe ist auch geplatzt! Hier ist Stölzl einfach inkonsequent. Alles egal, denn nun entpuppt sich im allgemeinen Taumel der Heilige (welch Überraschung!) als Teufel, und reißt trotzdem alle in den Höllenschlund.
Der zaghafte Applaus am Ende liegt wohl nicht nur daran, dass Stölzl hier drei verschiedene Enden inszeniert, sondern auch daran, dass diese Inszenierung einfach keinen Griff auf die Handlung bekommt, dass Stölzl um der Effekte Willen vollkommen am Freischütz vorbei inszeniert. Und daran, dass er der Musik nicht vertraut, sie immer wieder verzerrt. Überhaupt ist es schwer, in der Bregenzer Akustik das Orchester und die einzelnen Stimmen einzuordnen. Den Wiener Symphonikern fehlt es (jedenfalls an meinem Platz) unter Enrique Mazzola an Konturen (die finale Chor-Szene gerät ziemlich durcheinander), und die wunderbaren Solisten kommen im Bregenzer Ambiente nur wenig zur Geltung (die Bildregie, die das Orchester auf Bildschirmen zeigt, ist regelmäßig beim falschen Instrument). Im Ensemble überzeugt einzig Katharina Ruckgaber als Ännchen, Frantz Hawlata als Kuno, Nikola Hillebrand als Agathe und Chirstof Fischesser als als Kaspar und Mauro Peter als Max lassen sich in der Bregenzer Verstärkung nur schwer beschreiben.
Carlos Kleiber sprach in einer Freischütz Probe Mal von einem »Schwarz in Schwarz« der Musik. Diese beklemmende Dunkelheit weicht bei Stölzl einem gigantischen Grusel-Als-Ob-Rummelplatz. Das ist Unterhaltung pur und lässt auch staunen – aber mit dem Freischütz hat all das nur wenig zu tun.
Transparenzhinweis: Axel Brüggemann arbeitet regelmäßig für die Wiener Symphoniker.