
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit den Fragen: Verlieren Orchester an Bedeutung? Warum gelingt Joe Chialo so wenig? Richten sich unsere Musikhochschulen neu aus? Und wer gewinnt den BackstageClassical-EM-Tipp?
Der große Krach: Intendanten vs. Orchester

Verschieben sich an unseren Stadttheatern gerade die Machtstrukturen zwischen Intendanten und Orchestern? An mindestens zwei Häusern toben derzeit erbitterte Verteilungskämpfe zwischen der Theaterleitung und den musikalischen Ensembles: In Kassel hat sich Intendant Florian Lutz mit der Wahl von Ainārs Rubiķis zum GMD gerade erneut gegen das Votum seines Orchesters gestellt (und damit den Zoff am Hause wohl noch einmal verschärft). In Bremerhaven streitet das Orchester derweil mit Intendant Lars Tietje um die Machtfülle des zukünftigen GMD innerhalb der Theaterleitung. Auf BackstageClassical habe ich mir diese Kämpfe einmal angeschaut und stelle die Frage: Warum schafft es die Kulturpolitik eigentlich nicht, in diesen Streitereien klug zu vermitteln? Haben wir es an deutschen Theatern mit einem Machtverlust der Orchester zu tun?
Neuer Wind in der Currentzis-Debatte?
Russische Zeitungen berichten vom Neubau eines großen Konzerthauses in St. Petersburg für Teodor Currentzis: finanziert werden soll das Ganze offensichtlich von der VTB-Bank. Der Komponist und investigative Blogger Alexander Strauch hat als Erster darüber berichtet, nun haben auch das VAN-Magazin und der Deutschlandfunk nachgezogen. Es scheint, dass die Debatte um den Dirigenten noch einmal an Fahrt gewinnt. Auch alte Weggefährten von Currentzis scheinen nun skeptisch zu werden, ob der Dirigent mit seinen Russland-Verbindungen nicht doch zum Werkzeug russischer Propaganda wird. Der Russland-Korrespondent des Deutschlandfunks, Florian Kellermann, kann sich jedenfalls nur schwer vorstellen, dass die Currentzis-Förderung keinen politischen Hintergrund hat. Immerhin ist der Dirigent auch schon auf Gazprom-Tournee gegangen. Die Salzburger Festspiele scheinen trotzdem an ihm festzuhalten.
Ein Abgang mit offenen Fragen

Die Stadt Köln veröffentlichte eine Pressemitteilung, in der sie bekannt gab, dass der Generalmusikdirektor des Kölner Gürzenich-Orchesters, François-Xavier Roth,sein Engagement ein Jahr früher als vertraglich geplant beendet. Die Trennung erfolge in gegenseitigem Einvernehmen. Im Vorfeld sollen sich mindestens sieben Musikerinnen und Musiker über sexuell übergriffiges Verhalten des Dirigenten geäußert haben. Was erstaunt ist, dass die Vorfälle mit der Trennung offenbar unaufgearbeitet bleiben. Vor allen Dingen auch die Rolle der Orchester-Führung, die angeblich von den Vorwürfen gewusst haben soll. Der Kölner Stadtanzeiger berichtet, dass Roth mit einer Abfindung von 200.000 Euro gehe. Offen auch, wie nun der SWR reagieren wird. Dort soll Roth übernächste Saison als Chef anfangen, gerade hat Orchester-Gesamtleiterin Sabrina Haane in der Stuttgarter Zeitung erklärt, »für das Orchester wäre es aus rein künstlerischer Sicht ein Tiefschlag, wenn Roth sein Amt als Chefdirigent nicht antreten würde.« Angeblich laufen hier noch die Untersuchungen.

Personalien der Woche I
So langsam ist ganz München in der Hand des Wiegand-Clans. Denn Florian Wiegand kehrt von den Salzburger Festspielen zurück an die Isar und wird Intendant der Münchner Philharmoniker (Tillmann Wiegand ist künstlerischer Betriebsdirektor an der Staatsoper). Florian Wiegand freut sich auf das »musikbegeisterte, neugierige Münchner Publikum«, sagte er in einem ersten Statement und will gemeinsam mit dem Chefdirigenten Lahav Shani das Orchester auf neue Beine stellen. +++ Die Generalsanierung des Großen Hauses und die Errichtung von modernen Betriebsgebäuden für das Augsburger Theater werden nach Angaben der Stadt rund 77 Millionen Euro teurer. Grund dafür sei die Inflation. Der Zeitplan soll dadurch nicht wackeln. Nach neuen Berechnungen soll der Umbau nun mindestens 417 Millionen Euro kosten.
Derzeit beliebt bei BackstageClassical
- Katharina Wagner über die diesjährigen Bayreuther Festspiele.
- Wolfgang Rihm, Composer in Residence bei den Berliner Philharmonikern im XXL-Gespräch über das Hören.
- Georg Rudiger über die Premiere von Paul Ruders Oper The Handmaid’s Tale in Freiburg
- Personalentwicklung oder Personalverwaltung? Gespräch mit Regensburgs Kaufmännischem Direktor, Matthias Schloderer.
Die Fettnäpfchen des Joe Chialo

Berlins Kultursenator hat ein ziemlich ausgeprägtes Ego dafür, dass er bislang noch wenig vorzuweisen hat. Nun droht auch der Umbau der Komischen Oper zum Flop zu werden: Der Sprecher der Berliner Kulturverwaltung, Christopher Suss, erklärt, dass man gezwungen sei, nach Einsparmöglichkeiten in Höhe von acht bis 12 Prozent zu suchen. Die Baustelle an der Behrenstraße scheint offenbar eine effektive Lösung zu sein. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner lässt angeblich den laufenden Umbau prüfen und plant, die Bauarbeiten möglichst schnell einzufrieren. Angeblich sollen lediglich noch 16 Millionen Euro in die Sicherung der Baustelle investiert werden – dann sei erst einmal Schluss. Und noch ein Gerücht zieht in Berlin seine Kreise: Chialo wollte demnach seine Staatssekretärin Sarah Wedl-Wilson loswerden – scheiterte damit aber wohl an seinem Chef.
Droht jetzt Streik an unseren Theatern?
Droht deutschen Theatern jetzt der große Streik? Zwei Gewerkschaften (BFFS und GDBA) haben den Tarifvertrag NV Bühne für Anfang 2025 aufgekündigt. »Mit der Kündigung schaffen wir die Voraussetzung, mit gewerkschaftlichen Mitteln bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten durchzusetzen«, sagt Lisa Jopt, Geschäftsführende Präsidentin der GDBA. Der Verhandlungspartner, der Deutsche Bühnenverein, hat mit Erstaunen regiert und die Verhandlungen vorerst auf Eis gelegt. Bei BackstageClassical erklärten Jopt und der Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins, Carsten Brosda ihre Positionen.

Streit um Richtung an Musikhochschulen
In Hannover tobte ein Streit um die Ausrichtung der Musikhochschule: Mehr Exzellenz oder mehr Pädagogik. Nun hat der Wirtschaftsminister die Notbremse gezogen und einen Mathematiker zum neuen Chef gemacht. Hans Jürgen Prömel ist ein Technokrat, der die Fronten vielleicht beruhigt – innovative Impulse werden von ihm wohl kaum ausgehen. Und auch in Weimar scheint eine Richtungsentscheidung gefallen zu sein: Trotz großer Proteste haben Hochschulrat und Senat beschlossen, das Institut für Alte Musik zu schließen. Letztlich war auch dieser Konflikt ein Konflikt, der auch an anderen Hochschulen tobt: Die Präsidentin der Liszt-Hochschule, Anne-Kathrin Lindig, setzt auf Fächer wie Pädagogik, die Lehramtsausbildung, das Kulturmanagement und sogenannte »kleine Fächer« wie Klavier, Akkordeon, Gitarre, Orgel oder Jazz. Mittelfristig aber wird es wohl keine Musikbildung in der Breite geben, wenn es keine Ausbildung in der Tiefe gibt…
Dumping-Preise für Orchester-Einspringer
Dieses Thema hatte vor einiger Zeit bereits die österreichische Wochenzeitung Der Falter besprochen – und auch auf die Strukturen der staatlichen Orchester verwiesen. In einer akribischen Analyse hat sich nun auch Daniel Mattelé das Thema vorgenommen und sich die »Aushilfenampel« von Unisono noch einmal genau angeschaut und herausgefunden, dass 1. zwar acht Ensembles eine grüne Wertung erhalten, aber nur zwei die empfohlene Sätze zahlen. 2. Dass die Methodik von Unisono unklar ist. 3. Dass kein Klangkörper in Deutschland den Probesatz der höchsten Kategorie zahlt. 4. Dass einige Orchester weniger als 50 Prozent des Satzes zahlen, den Unisono empfiehlt. Vielleicht sollte die Orchestergewerkschaft sich noch Mal ihre eigenen Zahlen anschauen.
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Personalien der Woche II
Anna Netrebkos Manager widerspricht MET-Intendant Peter Gelb. Der hatte in einem Interview gesagt, dass er private Informationen über Netrebkos Putin-Nähe habe. Das sei falsch, sagt Manager Miguel Esteban nun und verweist auf verschiedene Statements, in denen die Sängerin zwar gesagt habe, dass sie ihr Land liebe, aber nicht den von Gelb insinuierten Satz: »Ich unterstütze mein Land.« +++ Die Oper Leipzig wurde für ihr hohes Bewusstsein für die Komplexität des Gender Pay Gaps ausgezeichnet. Lydia Schubert und Daniel Koch, die Verwaltungsdirektorin und der Personalchef der Oper, haben in Berlin den German Equal Pay Award entgegengenommen. +++ Französische Klassik-Musiker haben sich gegen den Rechtsruck in ihrem Land ausgesprochen, unter anderen Natalie Dessay, Julie Fuchs, Sabine Devieilhe, Alexandre Kantorow und Alexandre Tharaud. Außerdem Namen wie Alain Altinoglu oder Antoine Tamestit und David Grimal.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Also eigentlich nicht: Deutschland, Österreich und die Schweiz sind bei der EM rausgeflogen. Aber immerhin wird so klarer, welche Künstlerinnen und Künstler noch eine Chance auf den BackstageClassical EM-Tipp-Titel haben. Hier ein Zwischenstand: Von den letzten vier Mannschaften kommen mindestens zwei noch unter den Top 3 vor bei: Piotr Beczała (Spanien/England), Rudolf Buchbinder (Frankreich / Spanien), Daniel Hope (Frankreich/ England), Fabio Luisi (England/ Frankreich), Benedikt Stampa (Spanien/ Frankreich) und Valentin Schwarz (England/ Frankreich). Derzeit in Führung liegen die Sopranistin Anna Prohaska, die Frankreich, Spanien, England auf dem Zettel hat und Wagner-Haus-Chef Sven Friedrich (Frankreich, England Spanien). Nächste Woche wissen wir mehr!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann