Russische Medien Berichten über einen Neubau auf der Admiralitätsinsel. Bekommt die Diskussion um die Russland-Aktivitäten des Dirigenten eine neue Wendung?
Der Komponist und investigative Blogger Alexander Strauch (u.a. Bad Blog of Musick) hat bereits am 7. Juni von einem neuen Konzerthaus berichtet, das die VTB Bank angeblich für die Neue Admiralitätsinsel in St. Petersburg plant. Strauch verwies auf russische Medienberichte, in denen auch der Chef der sanktionierten VTB-Bank, Andrej Kostin, zitiert wird. Kostin erklärt hier, dass das neue Haus auch für den Dirigenten Teodor Currentzis gedacht sei, dessen russisches Ensemble musicAeterna ebenfalls von der VTB-Bank finanziert wird.
Der Gouverneur von St. Petersburg, Alexander Beglov, soll entsprechende Verträge bereits unterzeichnet haben. Beglov sitzt neben Kostin und Russlands Nationalbankchefin Elwira Nabiullina im Aufsichtsrat von musicAeterna, nachdem das Orchester von Perm nach St. Petersburg umgezogen war. Damals änderte sich auch die Finanzierung des Ensembles. Das Geld kam nun nicht mehr von einem Putin-kritischen Oligarchen, sondern von der Putin-treuen VTB-Bank. Inzwischen gehören auch Gazprom und Rostatom zu den Sponsoren von musicAeterna. Und jetzt also der neue Gebäudekomplex in St. Petersburg: Die Rede ist von zwei neuen Sälen (einem großen und einem kleinen) auf 24.000 Quadratmetern. Russische Medien stellen Vergleiche mit dem Neubau mit der Hamburger Elbphilharmonie an. Als Bausumme kursieren rund 850 Millionen Euro.
Strauch brachte die Berichte aus Russland auf seinem Facebook-Account mit dem Ausscheiden von Teodor Currentzis‘ beim SWR in Verbindung. Wird der Dirigent dem Westen nun endgültig den Rücken kehren? Hat er die einst vom SWR geäußerten »Erwartungen«, sein Sponsoren-System in Russland zu ändern, vorsätzlich enttäuscht? War das Konzerthaus in St. Petersburg ein lang geplantes Exit-Szenario?
Auch das VAN Magazin hat die russischen Berichte nun aufgenommen und die neue Sachlage ebenfalls eingeordnet. »Die Tage von Currentzis‘ Karriere im Westen sind womöglich gezählt«, schreibt VAN-Herausgeber Hartmut Welscher. »Die Unterstützung durch die VTB Bank erreicht mit dem geplanten Konzertsaal für musicAeterna eine neue Dimension«. Weiter heißt es: »Die Botschaft hinter dem Bauprojekt könnte auch lauten: Russland tut etwas für seine treuen Künstler, während die ‚satanische Zivilisation‘, wie russische Propagandisten Europa neuerdings bezeichnen, sie cancelt.« Der britische Klassik-Journalist, der Currentzis-kritische Norman Lebrecht kommentiert: »Das bedeutet, Currentzis besucht Gergiev im Boykott-Raum«, und »es könnte das Letzte sein, was wir von Teo für eine Geneation lang sehen.«
Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 zeigte das VAN-Magazin durchaus Verständnis für Currentzis‘ indifferenten Kurs. Recherchen zu seinen Russland-Verbindungen und Kritik an seinem Spagat zwischen den Welten wurden von Welscher zum Teil scharf kritisiert. Nun berichtet er in seinem Text ausführlich, was vergangene Recherchen des Bad Blog of Musick, von Tagesspiegel, Crescendo und BackstageClassical in den letzten zwei Jahren herausgefunden haben, um zu konstatieren: »Gut möglich, dass Currentzis’ zukünftiger Musentempel Bestandteil einer potemkinschen Kultur wird, deren Fassade im Licht staatlicher Propaganda grell leuchtet, während sich dahinter nur Ödnis ausbreitet.«
Welscher ist nicht der Einzige, der in Sachen Currentzis inzwischen hellhörig wird. Auch andere, einstige intime Begleiter und Sympathisanten des Dirigenten, haben ihren Blick auf Currentzis geändert: Der Intendant der Kölner Philharmonie, Louwrence Langevoort, war der erste Currentzis-Unterstützer, der Zweifel an der humanistischen Botschaft des Dirigenten öffentlich äußerte und Konzerte mit ihm absagte. Auch Wiens Konzerthauschef Matthias Naske (einst zeichnendes Mitglied der musicAeterna-Stiftung in Liechtenstein) lädt Currentzis inzwischen nicht mehr ein. Seine Begründung: »Currentzis äußert sich weiterhin nicht zum Ukraine-Krieg. Ich hatte ihn um ein Statement ersucht, das bis heute nicht kam. Die politische Dimension dieses Schweigens ist so groß, dass wir uns entschlossen haben, auf Engagements von Currentzis ab der Saison 2023/24 bis auf weiteres zu verzichten.«
Die Salzburger Festspiele werden diesen Sommer indes weiter an Teodor Currentzis festhalten. Er wird bei den Festspielen unter anderem erneut die alte Don Giovanni-Inszenierung von Romeo Castellucci dirigieren. In der Vergangenheit wurden Currentzis‘ Auftritte in Salzburg auch von den russischen Freunden der Salzburger Festspiele unterstützt, ein bereits unterzeichnetes Gazprom-Sponsoring der Festspiele kam auf Grund der Corona-Pandemie nicht zu Stande.