»Ich bin froh, dass die Kunst in Bayreuth jetzt autonom ist«

Juli 5, 2024
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Katharina Wagner, Leiterin der Bayreuther Festspiele (Foto: KickFilm)

Katharina Wagner spricht über die neue Struktur der Bayreuther Festspiele, über nötige Sparmaßnahmen und die Öffnung der Festspiele für alle.

Am 25. Juli eröffnen die Bayreuther Festspiele mit einer neuen Tristan-Inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson in der musikalischen Leitung von Semyon Bychkov. Beide sind bei den Proben auf Monitoren zu sehen, die im Büro von Festspielleiterin Katharina Wagner flackern. (Hier der Podcast für alle Player, hier für applePodcast unten für Spotify)

Katharina Wagner, die Leiterin der Bayreuther Festspiele, erklärt im BackstageClassical-Podcast, dass sie persönlich in den Vertragsverhandlungen eine Trennung von künstlerischer und ökonomischer Leitung gefordert habe: »Für mich persönlich war bei der Verlängerung wichtig, dass die Kunst in Bayreuth autonom wird und ein eigenes Budget bekommt. Das gab es so vorher noch nicht. Nun können die künstlerischen Dinge schnell und effizient über einen Schreibtisch laufen. Damit können wir zuverlässiger planen. Diese klare Linie lag mir besonders am Herzen. Auf der anderen Seite wollte ich nicht für die riesigen Sanierungsvorhaben haftbar sein, die wir als Festspiele in den kommenden Jahren vor Augen haben.«

Außerdem erklärte Wagner, dass die Verhandlungen mit dem Festspielchor über eine Verkleinerung noch laufen. »Wir sparen ja nicht aus Spaß«, sagt Wagner, »der Vorschlag, auch beim Chor zu sparen, ist der allgemeinen Situation geschuldet, dass die Festspiele leider sparen müssen: Wir haben massive Tarifsteigerungen und Kostensteigerungen auf allen Gebieten. Es haben inzwischen alle Abteilungen des Hauses gespart, die Technik, die Maske, die Kostüme – das waren massive Einsparungen, die aber nicht in der Öffentlichkeit standen, da es sich hier um hausinterne Einrichtungen handelt.« Wagner lobt die Verhandlungen mit dem Orchester, das sich bereit erklärt habe, mehr Dienste zu spielen, und erklärt: »Wir brauchen eine gewisse Grundstärke im Chor, aber wir brauchen dafür nicht unbedingt alle 134 Sängerinnen und Sänger immer und jeden Tag. Wenn der große Chor nötig ist, wollen wir den Stamm-Chor mit professionelle Sängerinnen und Sängern auffüllen. Dazu sind wir in Gesprächen, wir werden weiter reden, und ich bin sicher, dass wir die Verhandlungen in eine Bahn lenken werden, mit der alle leben können.«

Mit dem aktuellen Kartenverkauf ist die Festspielchefin zufrieden: »Letztes Jahr haben wir sehr spät mit dem Vertrieb begonnen, dieses Jahr ist das anders – und der Kartenverkauf sieht wirklich sehr erfreulich aus. Man muss der Wahrheit aber auch Ehre geben: Die Konkurrenz wächst, und wir haben leider sehr teure Kartenpreise, weil wir einen Großteil unserer Kosten selber tragen müssen. Aber ich sehe auch, dass viele Menschen immer wieder gern nach Bayreuth kommen, dass sie sich wohlfühlen.«

Die wichtigsten Passagen des Podcasts

Katharina Wagner über ihre Vertragsverlängerung

»Was mich gefreut hat war, dass ich während der Verhandlungen gespürt habe, dass alle Träger die Festspiele mit all ihren Kräften unterstützen – sowohl die öffentlichen Gesellschafter als auch die Gesellschaft der Freunde. Für mich persönlich war bei der Verlängerung wichtig, dass die Kunst in Bayreuth autonom wird und ein eigenes Budget bekommt. Das gab es so vorher noch nicht. Nun können die künstlerischen Dinge schnell und effizient über einen Schreibtisch laufen. Damit können wir zuverlässiger planen. Diese klare Linie lag mir besonders am Herzen. Auf der anderen Seite wollte ich nicht für die riesigen Sanierungsvorhaben haftbar sein, die wir als Festspiele in den kommenden Jahren vor Augen haben. Wir hoffen alle, dass die neuen Strukturen innerhalb der Leitungsebene für alle mehr Klarheit und Effizienz schaffen.« 

Katharina Wagner über nötige Sparmaßnahmen

»Wir sparen ja nicht aus Spaß. Der Vorschlag, auch beim Chor zu sparen, ist der allgemeinen Situation geschuldet, dass die Festspiele leider sparen müssen: Wir haben massive Tarifsteigerungen und Kostensteigerungen auf allen Gebieten. Es haben inzwischen alle Abteilungen des Hauses gespart, die Technik, die Maske, die Kostüme – das waren massive Einsparungen, die aber nicht in der Öffentlichkeit standen, da es sich hier um hausinterne Einrichtungen handelt. Auch mit dem Orchester sind wir einig geworden, weil es uns in produktiven Gesprächen angeboten hat, mehr Dienste zu spielen. Wir haben eine gemeinsame Lösung gefunden, dass wir das Orchester in seiner einmaligen Struktur behalten können. Mit dem Chor muss nun weiter verhandelt werden, und da müssen auch effektive Sparvorschläge für die nächsten Jahre auf den Tisch. Wir haben zum Beispiel dieses Jahr mit Rheingold, Walküre und Siegfried drei Abende, an denen gar kein Chor auftritt, in Tristan kommt nur im ersten Akt ein Männerchor. Andere Theater haben rund 80 feste Mitglieder – wir hatten 134. Und da stellt sich die Frage, ob das immer notwendig ist. Klar: Tannhäuser dritter Akt oder Lohengrin – in diesen Fällen braucht man diese Masse. Aber nicht zwingend bei einer Götterdämmerung. Wir brauchen also eine gewisse Grundstärke im Chor, aber wir brauchen dafür nicht unbedingt alle 134 Sängerinnen und Sänger immer und jeden Tag. Wenn der große Chor nötig ist, wollen wir den Stamm-Chor mit professionelle Sängerinnen und Sängern auffüllen. Dazu sind wir in Gesprächen, wir werden weiter reden, und ich bin sicher, dass wir die Verhandlungen in eine Bahn lenken werden, mit der alle leben können.« 

Katharina Wagner über Wagner für alle

»Ich halte es für wichtig, dass Wagner für alle da ist. Generell sollte Musik immer für alle da sein! Es ist mir ein Anliegen, dass möglichst viele Menschen zumindest einen Erstkontakt mit Wagner und seinem Werk haben können. Das geht wunderbar mit dem kostenlosen Open Air, aber ganz besonders mit der Kinderoper. Sie ist für mich eine Herzenssache, gerade weil der Musikunterricht in Deutschland nicht mehr so stattfindet wie früher. Es gibt diese einmaligen Momente, wenn da ein Kind plötzlich ruft: »Achtung, Klingsor will Dich töten!« Da merkt man: Oper kann Kinder auch heute noch mitnehmen. Da hat man nicht das Gefühl, dass die Kinder gezwungen werden, sondern sie sind dabei und mittendrin!« 

Katharina Wagner über das Publikum

»Manchmal sagen die Leute: ‚Das wollte Wagner so nicht!‘ Ich kann darauf nur antworten: ‚Das weiß ich leider nicht. Wir können ihn leider nicht mehr befragen.‘ Was ich aber weiß, ist, dass er sehr technikaffin war, und vielleicht hätte er an vielen Dingen, die wir machen – besonders was die Bühnentechnik betrifft – viel Spaß gehabt. Aber ich bin sehr froh, dass unser Publikum sich so gut mit Wagner und seinem Werk auskennt. Das ist großartig für jede Künstlerin und jeden Künstler. Klar gibt es da auch Reibung. Klar gibt es da unterschiedliche Perspektiven. Aber wer nach Bayreuth kommt, ist in der Regel willig, einer Regieauffassung zu folgen. Als Intendantin ist es großartig zu wissen, dass unser Publikum aus Experten besteht und sich intensiv mit den Aufführungen auseinandersetzt. Die Debatten, die ich in den Pausen mitbekomme, sind Beweis der Lebendigkeit. Am Ende dreht sich in Bayreuth alles um den ‚Chef‘, um Richard Wagner. Alle sind wegen ihm hier: das Publikum und auch die Künstler.«

Katharina Wagner über die Festspiel-Konkurrenz

»Corona hat sehr viel verändert – gerade, was das Publikumsverhalten betrifft. Aber wir sind dieses Jahr auf einem sehr guten Weg. Letztes Jahr haben wir sehr spät mit dem Vertrieb begonnen, dieses Jahr ist das anders – und der Kartenverkauf sieht wirklich sehr erfreulich aus. Man muss der Wahrheit aber auch Ehre geben: Die Konkurrenz wächst, und wir haben leider sehr teure Kartenpreise, weil wir einen Großteil unserer Kosten selber tragen müssen. Aber ich sehe auch, dass viele Menschen immer wieder gern nach Bayreuth kommen, dass sie sich wohlfühlen. Gerade beim Orchester, dessen Musikerinnen und Musiker hier ja ihren Urlaub verbringen, bin ich sehr dankbar. Die Zeiten verändern sich auch hier. Ich sehe das zum Beispiel daran, dass wir mehr Freistellungsanträge als früher haben. Ich habe auch Verständnis dafür – viele der Mitwirkenden sind freischaffend tätig und müssen von der Musik leben. Wir versuchen – im Rahmen einer seriösen Probenplanung – vieles möglich zu machen. Und es ist uns wichtig, dass wir Künstlerinnen und Künstler in ihrer Arbeit unterstützen: Bayreuth bietet sofort Korrepetition an, oder Sprachcoachings – und überall herrscht sehr viel Wissen und Erfahrung. Das macht die Atmosphäre so besonders.«

Axel Brüggemann im Gespräch mit Pablo Heras-Casado über sein »Parsifal«-Dirigat.

Hier geht es zum aktuellen Programm der Bayreuther Festspiele.

Transparenzhinweis: Axel Brüggemann moderiert das Open-Air der Bayreuther Festspiele

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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