Toxischer Journalismus beim SWR?

Juli 17, 2024
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Die Programmdirektorin des SWR, Anke Mai, und die Gesamtleiterin des Orchesters des SWR, Sabrina Haane (Fotos: SWR, Collage BC)

In der Kulturredaktion des SWR will man unabhängig sein. Aber das gelingt nicht, wenn es um Machtmissbrauch, Kulturpolitik und Selbstkritik geht. Das zeigen die Fälle François-Xavier Roth, Teodor Currentzis und die Schwetzinger Festspiele.

Der SWR ist eine der wichtigsten journalistischen Stimmen in Baden-Württemberg, gleichzeitig aber auch einer der größten Kultur-Veranstalter der Region. Der öffentlich-rechtliche Sender betreibt neben dem eigenen Sinfonieorchester, dem Vokalensemble, und einer Big Band auch Musikfestivals in Donaueschingen und Schwetzingen und ist an Festivals wie dem Eclat-Festival beteiligt. Damit ist der SWR einer der größten Arbeitgeber im südwestdeutschen Kultursektor, und es ist eine legitime Frage, wie der Sender seine Rolle als Veranstalter mit dem Auftrag eines kritischen Journalismus vereinbart. 

Der SWR behauptet gern, dass ihm journalistische Unabhängigkeit der Redaktionen wichtig sei, gerade, wenn es um Berichterstattung über eigene Ensembles und Veranstaltungen geht. Gern wird betont, dass die Interessen des SWR als Kulturveranstalter keinen Einfluss auf den kritischen Kultur-Journalismus des Senders hätten. Doch inzwischen häufen sich Vermutungen, dass der SWR, besonders seine Programmdirektorin Anke Mai, es mit der von ihr behaupteten Trennung nicht ganz so ernst nimmt. Gerade bei kulturpolitischen Themen entsteht der Anschein, dass sich innerhalb des SWR ein System etabliert, das die eigenen kulturellen Aktivitäten journalistisch unterstützt und interne wie externe Kritik gern verstummen lässt. Das zeigen Beispiele bei den Schwetzinger Festspielen, in der Berichterstattung über die #metoo-Vorwürfe gegen den designierten SWR-Chefdirigenten François-Xavier Roth und über die Russland-Verbindungen des scheidenden Chefdirigenten Teodor Currentzis.    

BackstageClassical wurden in den letzten Wochen verschiedene Beschwerden von Agenturen, aus Orchestern und von anderen Festivals über die Arbeit der neuen Intendantin der Schwetzinger Festspiele, Cornelia Bend, zugetragen. Es geht um eine zu späte Programmplanung, um schwammige Vertragszusagen oder ein weitgehend unbedarftes Auftreten gegenüber anderen Veranstaltern. Unsere Redaktion ist bei den Recherchen auf die grundlegende Frage gestoßen, wer den Vertrag mit der Intendantin schließt. Tatsächlich ist für ihre Verpflichtung unter anderen die Programmdirektorin des SWR, Anke Mai, zuständig. In einem offiziellen Pressestatement erklärte sie: »Mit der Berufung von Cornelia Bend haben wir eine renommierte und erfahrene Führungspersönlichkeit für diese herausfordernde Aufgabe gewinnen können (…). Ich freue mich sehr darüber, dass wir sie für diese Aufgabe begeistern konnten.«  

Als Dienstherrin der Festspiel-Intendantin ist Anke Mai gleichzeitig auch verantwortlich für die redaktionelle Kulturprogrammgestaltung des SWR – und damit für die Berichterstattung über Schwetzingen innerhalb des Senders. BackstageClassical hat Anke Mai vor über einer Woche einen Fragenkatalog zu dieser Doppelrolle geschickt, aber bis heute keine Antwort empfangen.

Es ist nicht davon auszugehen, dass im Sender jemand über die kritische Situation bei den Schwetzinger Festspielen berichten wird. Darüber, dass innerhalb der Klassik-Welt diskutiert wird, ob Cornelia Bend als Chefin des SWR-Vokalensemble, wo sie viele Kritiker hatte, »weggelobt« wurde, und ob die Schwetzinger Festspiele durch ihre Berufung auf eine Fusion mit den Ludwigsburger Schlossfestspielen zusteuern.  

François-Xavier Roth und Intendant Kai Gniffke bei der Vertragsunterzeichnung (Foto: SWR, Neligan)

Wie linientreu die SWR-Kulturberichterstattung bereits ist, zeigt sich derzeit auch am Fall des designierten Chefdirigenten, François-Xavier Roth. Ihm wurde vom französischen Magazin Le canard enchaîné vorgeworfen, anzügliche Textnachrichten und Dickpics an Musikerinnen und Musiker geschickt zu haben. Roth dementierte das nicht, sondern entschuldigte sich für eventuelle Kränkungen, die sein Verhalten verursacht habe. Sein derzeitiger Arbeitgeber, das Gürzenich-Orchester Köln legte die Zusammenarbeit erst einmal auf Eis, in Japan wurde Roth ausgeladen, und der SWR ließ wissen, er würde die Vorwürfe prüfen.  

Nun war am Freitag ein Text zu diesem Thema in den Stuttgarter Nachrichten zu lesen. Die Autorin Susanne Benda fragte hier: »Wird nun ausgerechnet Roth, dieser exzellente, ungemein breit aufgestellte, weltoffene, nahbare Dirigent, ein Sachwalter der Klarheit in der Musik, zum nächsten entlarvten Täter und zum nächsten bestraften Opfer der Metoo-Bewegung im Klassikbetrieb?« Benda verwandelt in ihrem Text den Täter zum Opfer, denn dass Roth Bilder verschickt hat, wird ja nicht bestritten, ebenso wenig wie der Fakt, dass dadurch Menschen verletzt wurden. 

Spannend ist der Text auf Grund seiner Autorin: Susanne Benda war lange Musikredakteurin bei der  Stuttgarter Zeitung, bis das Blatt auch im Feuilleton sparte. Inzwischen arbeitet sie freiberuflich, auch für den SWR. Sie ist Gast im Musikalischen Quintett und Musikkritikerin. Gegenüber BackstageClassical erklärte sie außerde, dass sie zukünftig auch auf Honorarbasis als freie dramaturgische Mitarbeiterin Programmhefttexte für die Schwetzinger Festspiele schreiben und Konzerteinführungen geben wird. 

Es hat ein gewisses Geschmäckle, dass eine SWR-Mitarbeiterin (sowohl in der Redaktion als auch bei den Festspielen) in einer großen deutschen Tageszeitung den designierten Chefdirigenten des SWR als Opfer darstellt. In Susanne Bendas Text kommt aber auch Sabrina Haane zu Wort, die Gesamtleiterin des SWR Symphonieorchesters. Eigentlich hatte der Sender bekanntgegeben, dass er sich bis zum Ende der Untersuchungen im Falle Roth nicht mehr öffentlich in dieser Sache äußern wolle. Aber nun plaudert Haane in der Stuttgarter Zeitung freimütig über den Stand der Dinge und erklärt: »Für das Orchester wäre es aus rein künstlerischer Sicht ein Tiefschlag, wenn Roth sein Amt als Chefdirigent nicht antreten würde. Die Planung für die Spielzeiten ab 2025/26 haben wir mit ihm schon vor Monaten begonnen, und diese Zusammenarbeit war immer konstruktiv und von gegenseitigem Respekt geprägt.« 

Wie glaubhaft ist nach einer derartigen Aussage, dass die Aufarbeitung des Falles Roth beim SWR neutral stattfinden wird. Zumal Roth bereits vorher als Chefdirigent des SWR Orchesters in Freiburg gearbeitet hat? Haane verweist darauf, dass sich noch keine Musikerinnen oder Musiker des ehemaligen Freiburger SWR-Sinfonieorchesters bei der AGG-Beschwerdestelle des SWR gemeldet hätten. Aber ist das der einzige Grund, warum sie tätig werden würde? Horcht die Gesamtleiterin des Orchesters auch selber in das Ensemble? Hört sie zu, was unter den Musikerinnen und Musikern erzählt wird? Oder wird die Gesamtleiterin nur auf offizielle Beschwerden bei offiziellen Stellen reagieren? Die fallen den Opfern bekanntlich besonders schwer – gerade, wenn innerhalb eines Senders ein System herrscht, das Kritiker bestraft (dazu gleich mehr).

Erst kürzlich zog sich der SWR mit seinem Vokalensemble auf juristische Manöver zurück, als ein russischer Tenor radikale Pro-Putin-Statements postete. Diese seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, hieß es von der Pressestelle des SWR, man sehe keinen Handlungsbedarf. Nur eine gute Woche später wurde der öffentliche Druck allerdings so groß (und der Tenor postete weiter), dass der SWR sich doch entschloss, den Sänger freizustellen. Intern wird in der SWR-Kommunikation die »Salamitaktik« angewendet: Statt transparenter Aufklärung setzt das Team von Programmdirektorin Anke Mai offensichtlich darauf, Probleme so lange wie möglich auszusitzen. 

Der Dirigent Teodor Currentzis (Bild: SWR)

Dass Sabrina Haane und der SWR Transparenz nicht immer groß schreiben, zeigt sich auch am Fall Teodor Currentzis, dem scheidenden Chefdirigenten des Orchesters, der auf Grund seiner Russland-Verbindungen in der Kritik steht. 

In der Sendung Treffpunkt Klassik wurde Sabrina Haane vermeintlich kritisch zu Currentzis befragt, doch das Interview wirkte letztlich wie Werbung für den Kurs des Orchesters, an Currentzis festzuhalten. Und das, obwohl dieser in Russland seine Abhängigkeiten von russischen Institutionen im System Putin auch nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 ausgebaut hat. Der Interviewer vom SWR fragte Haane zwar, ob es nicht schwer für den SWR sei, dass der Dirigent zum Angriff Russlands auf die Ukraine schweige, vermied aber die viel wesentlichere Frage nach der Expansion russischer Sponsoren von Currentzis Ensemble MusicAeterna, zu denen unter anderen die sanktionierte VTB-Bank und Gazprom gehören. Haane äußerte am Anfang des Krieges die »Erwartung«, dass Curretzis sein Sponsoring neu aufstelle – stattdessen hat er es ausgebaut. Das SWR-Gespräch mit ihr, das unter dem Deckmantel des kritischen Journalismus gelaufen ist, war in Wahrheit eine ideale Werbefläche, um Haanes Haltung gegenüber Currentzis nicht in Frage zu stellen.   

Aus Transparenzgründen ist es an dieser Stelle vielleicht wichtig zu erklären, dass der Autor dieses Textes auf Grund seiner eigenen Kritik am Umgang Haanes mit Teodor Currentzis »temporär« von seiner zweiwöchentlichen Klassik-Kolumne bei Treffpunkt Klassik entbunden wurde (offiziell soll sich Haane »herabgewürdigt« gefühlt haben, allerdings gab es nie ein konkretes Zitat, das diese »Herabwürdigung« begründete). 

Haane unterbindet inzwischen auch Kritik innerhalb der SWR-Redaktionen – und das mit zuweilen brachialen Mitteln. Zu lesen ganz offiziell auf der Facebook-Seite des SWR Sinfonieorchesters. Ein Redakteur des Senders stellte kritische Nachfragen zu den Russland-Geschäften des Dirigenten und fragte, warum der SWR in seinen Sendungen nicht darüber berichte. Der SWR antwortete mehrfach ausweichend und schlug nach einigen Nachfragen einen ziemlich schroffen Ton an (die Rechtschreibfehler des Posts haben wir übernommen, da sie zeigen, wie nervös der SWR derzeit auf Kritik zu reagieren scheint): »… nachdem Sie sich mit sicherlich rund 100 Posts bemüht haben, scheinen Ihnen dabei unsere Antworten doch entgangen zu sein. (es existieren keine 100 Posts des Autoren zu diesem Thema und der SWR hat nicht auf seine konkreten Fragen geantwortet, sondern ältere Beispiele herangezogen, die Red.) Identische Posts Ihrerseits unter unterschiedlichen Posts unsererseits (es gibt keine identischen Posts des Autoren, die Red.) hat mit Objektivität nichts mehr zu tun, sondern in Teilen mit Mutmaßungen und Hetze. Bleiben Sie bei den Fakten und lassen Sie Ihre persönlichen Interpretationen außen vor. Zudem möchten wir Sie bitten sämtliche Art der Beleidigungen zu unterlassen. Das hat hier keinen Platz!« 


BackstageClassical steht für kritischen Journalismus und finanziert sich auch durch Spenden. Spenden fließen direkt in Autoren-Honorare.


Tatsächlich wird hier der eigene Mitarbeiter in die Ecke des hetzenden Aktivisten gedrängt, und ihm trotz substanzieller Nachfragen eine Verschiebung von Fakten vorgeworfen. Tatsächlich blieb die Social-Media-Abteilung des SWR-Orchesters konkrete Antworten bis heute schuldig. Auf Fragen, die übrigens nicht nur von einem Nutzer, sondern von zahlreichen weiteren Facebook-Usern ebenso dringlich gestellt wurden. Es ist davon auszugehen, dass Sabrina Haane als Gesamtleiterin des Orchesters über jeden Post auf der Seite ihres Ensembles Bescheid wusste.

Interessant ist in diesem Fall ein Blick in die Social-Media-Richtlinien des SWR. Dort steht unter anderem, dass der Sender größtmögliche Neutralität einnehmen soll und »auf Augenhöhe mit den Nutzerinnen und Nutzen« kommuniziert werden soll. Weiter heißt es: »In der Kommunikation (…)  zeigt sich der SWR dialogbereit, offen für Feedback und serviceorientiert. Diskussionen auf den vom SWR betriebenen Präsenzen sind explizit erwünscht und werden gefördert.« In Fall des SWR Symphonieorchesters scheint dieser eigene Leitfaden allerdings schon lange nicht mehr eingelöst zu werden. Statt kritischer Debatte präsentiert die Social-Media-Seite des Orchesters eine Weißwaschung ihres scheidenden Chefdirigenten.

Die Fälle Currentzis und Roth, aber auch das aktuellen Vorgehen im Falle der Festspiele in Schwetzingen zeigen, dass es dem SWR und seiner Programmdirektorin Anke Mai immer weniger gelingt, journalistische Freiheit im Hause zu garantieren – besonders dann nicht, wenn es gleichzeitig um die Interessen des SWR als Veranstalter oder Arbeitgeber der Kulturbranche geht. Der Sender nutzt seine Bedeutung als Arbeitgeber und großer Player in der Kulturszene Baden-Württembergs, um die eigenen Interessen unter dem Deckmäntelchen des Journalismus zu promoten. Das verstößt nicht nur gegen die eigenen journalistischen Ansprüche, sondern gefährdet die grundlegende Glaubwürdigkeit in den öffentlich-rechtlichen Journalismus.

Transparenzhinweis: Dass es Interessenskonflikte, gerade bei freien Autorinnen und Autoren gibt, ist unvermeidlich. BackstageClassical handhabt es deshalb so, dass sowohl Einladungen zu Veranstaltungen als auch die Beteiligung von Autorinnen oder Autoren bei Institutionen, über die sie berichten, am Ende des Textes transparent gemacht werden. Der Autor dieses Textes hat zudem eine Offenlegung seiner Tätigkeiten innerhalb des Kulturbetriebes auf seiner Homepage.

In einer älteren Version des Textes wurden fälschlicher Weise auch die Ludwigsburger Schlossfestspiele dem SWR zugerechnet, das haben wir korrigiert., am Eclat-Festival ist der SWR lediglich beteiligt.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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