
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit einem Besuch bei György Kurtág, der Frage, warum ausgerechnet Dorothee Bär Carsten Brosda noch ärgern könnte, mit Blicken nach Bayreuth und Salzburg und der Antwort darauf, welche Klassik-Visionen der Bund fördert.
Festspielproblemchen I: Bayreuth
Auch BackstageClassical lag der offene XXL-Brief des Bayreuther Chorsängers Jörg Golombek vor, in dem er scharfe Kritik an der Festspielleitung von Katharina Wagner, an den Medien und der Verkleinerung des Bayreuther Stamm-Chores übte. Wie viele andere Zeitungen haben auch wir darauf verzichtet, ihn zu veröffentlichen, da dem Text die schäumende Wut anzulesen war und die (verständliche) Enttäuschung über verlorene Privilegien. Nun hat sich der BR aber offensichtlich auf die Chordebatte eingeschossen, und für mich stellen sich zwei grundlegende Fragen: 1. Ist die Debatte nicht nur Vorbote für viele Spar-Diskussionen, die noch vor uns liegen? Debatten, in denen diejenigen verlieren werden, die starr auf alte Privilegien pochen und die Welt von gestern um jeden Preis ins Morgen retten wollen (lesen Sie hierzu auch den Aufsatz »Es gibt kein Gestern im Morgen«)? 2. Wird ein kleinerer Kern-Chor mit Extra-Stimmen für groß besetzte Opern und ein neues, regelmäßiges Vorsingen der Mitglieder vor dem neuen (sehr guten!) Chordirektor Thomas Eitler-de Lint die Qualität des Ensembles wirklich schmälern? Endgültige Antworten wird es spätestens im Sommer geben – in der Prügelszene der neuen Meistersinger-Produktion.
Festspielproblemchen II: Salzburg
Nachdem die Salzburger Festspiele ihre Schauspielchefin Marina Davydova gekündigt hatten, erklärte Intendant Markus Hinterhäuser zunächst, dass er sich persönlich um die Nachfolge kümmern wolle. Nun ist klar: Die Stelle wird erst einmal nicht neu ausgeschrieben, Hinterhäuser übernimmt die Verantwortung für die Sparte selber. Wer ihn dabei berät, ließ er gegenüber den Salzburger Nachrichten weitgehend offen: »Da möchte ich keine Namen nennen. Das sind kompetente Leute – Regisseurinnen und Regisseure, Dramaturginnen und Dramaturgen. Ich kenne dieses Feld sehr gut.« Man kann davon ausgehen, dass Moritz Hauthaler eine wichtige Rolle spielen wird. Auf die Frage, wie sicher das Schauspiel innerhalb der Festspiele sei, antwortete Hinterhäuser: »Egal, welche Sparte: Es gibt weniger Garantien als in den letzten Dekaden, die Unwägbarkeiten sind einfach zu groß.« Die Oper bleibe das künstlerische und finanzielle Zentrum der Festspiele. Dennoch sei eine langfristige Lösung für das Schauspiel nötig, möglicherweise in Form einer kuratorischen Leitung anstelle einer festen Intendanz.

Koalitionsverhandlungen der zukünftigen Regierung
Kulturpolitiker von CDU und SPD sitzen derzeit zusammen und versuchen, die Rahmen einer neuen Regierungskoalition zu definieren. Dabei zeigen bereits die beiden Favoriten für die Nachfolge von Claudia Roth die unterschiedlichen Kultur-Auffassungen ihrer Parteien: Während Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda von der SPD gerade seinen Kulturetat erhöht und selber einen Sponsoren für einen Neubau der Oper anschleppt, holzt sein Kollege aus Berlin, Joe Chialo, den Kulturetat der Hauptstadt weitgehend emotionslos ab und verlangt von seinen Institutionen nicht nur massive Einsparungen, sondern auch mehr unternehmerisches Denken. Warum die Frage nach der Kultur im Grundgesetz ein wesentlicher Punkt der Koalitionsverhandlungen sein sollte, worum noch gestritten wird, und warum Markus Blume oder Dorothee Bär den beiden Favoriten am Ende noch die Show stehlen könnten, beschreibe ich in diesen Beobachtungen.
Bund fördert neue Entwicklungen in der Klassik
Wie wichtig die Bundeskultur vor allen Dingen für das Neudenken ist, zeigt der aktuelle Podcast von BackstageClassical: Julian Stahl leitet das Programm tuned bei der Kulturstiftung des Bundes, das den Austausch über neue Formate unter anderem beim Beethovenfest Bonn, beim Podium Esslingen oder bei Tonali mit 3,5 Millionen Euro fördert. Das Programm verstehe sich nicht als radikaler Neuanfang, sagt Stahl, sondern wolle bestehende Entwicklungen verstärken. Dabei gehe es um die Neugestaltung von Konzerten und die veränderte Rolle des Publikums. Wichtig sei es, verschiedene Positionen ins Gespräch zu bringen und voneinander zu lernen. Wohin die Entwicklung geht, hören (und lesen) Sie hier.

GEMA – mehr Miteinander wagen
Wir haben uns an dieser Stelle immer wieder mit der aktuellen GEMA-Reform auseinandergesetzt. Die Fronten scheinen verhärtet: Der Unmut bei Komponistinnen und Komponisten ist mindestens so groß wie das Beharren der GEMA-Verantwortlichen auf ihre Reformen. Aber was ist mit den Interpreten? Und wäre es nicht an der Zeit, zusammenzuhalten? Bei BackstageClassical wirft die Pianistin und Autorin Shoko Kuroe einen etwas anderen Blick auf die Debatte, schaut sich die Pauschalvergütungssätze genauer an und findet: »Die GEMA-Reform darf nicht zu weiteren Spannungen zwischen den verschiedenen Akteuren in der zeitgenössischen Musikszene führen. Lasst uns doch gemeinsam für mehr Aufführungen zeitgenössischer Werke eintreten.«

Kritiken bei BackstageClassical
Regelmäßig berichten wir bei BackstageClassical von den Bühnen der Welt. Hier unsere aktuellen Besprechungen:
- Georg Rudiger schreibt über Tilman Knabes Inszenierung von Jacques Offenbachs Le Roi Carotte in Freiburg – ein Scheitern an der Fülle von Ideen.
- Außerdem ein Pressespiegel der Kritiken zu Katharina Wagners Lohengrin-Inszenierung in Barcelona, in der der Ritter selber zum Mörder und der Schwan zum Zeugen wird.
Personalien der Woche
Die Staatsoper Wien steht in der Kritik: Komponistin Olga Neuwirth hat Intendant Bogdan Roščić vorgeworfen, dass er eine Wiederaufnahme ihrer Oper Orlando angeblich mit der Bemerkung, »das Haus sei dagegen« abgelehnt habe. Für Neuwirth ist diese Situation ein weiteres Beispiel für die generelle Ungleichbehandlung von Komponistinnen in Österreich. Außerdem erreicht uns die Nachricht, dass Staatsopern-Intendant Roščić und seine kaufmännische Direktorin Petra Bohuslav einem Online-Magazin nach dessen Kritik verboten haben, das Bildmaterial der Oper zu nutzen. Die Klassik-Welt wird offensichtlich immer dünnhäutiger! +++ 2025 ist das Jahr von Pierre Boulez: Am 26. März 1925 wurde der Dirigent und Komponist in Montbrison geboren. Aus gegebenem Anlass gibt es hier noch einmal ein Gespräch zu lesen, das ich 2002 mit ihm geführt habe – über die Frage, ob er oder Madonna als »Klassiker« in die Musikgeschichte eingehen werden, über die Tempi bei Wagner und die Frage, was Opern heute noch können. +++ Nach Christian Tetzlaff (hier sein Interview mit mir) nun auch András Schiff: Er sagte seine Auftritte mit dem New York Philharmonic und dem Philadelphia Orchestra in den USA ab. Der Grund: Trumps menschenfeindliche Politik. +++ Prozess neu aufgerollt: Ein Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters soll im September 2022 auf einer Konzertreise zwei Kollegen einen mit Rattengift versetzten Frischkäse-Dip angeboten haben. Das Landgericht Hannover wertete die Tat zunächst als gefährliche Körperverletzung, die Staatsanwaltschaft legte Revision ein und geht von einem Tötungsversuch aus. Der Prozess wurde neu aufgerollt.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn! Vielleicht ja hier? Der Komponist György Kurtág wohnt seit Jahren in einem Apartment im »Budapest Music Center« und verlässt seine Wohnung nur noch selten. Um so spannender ist der Bericht des Sängers Benjamin Appl, der Kurtág nicht nur besucht hat, sondern gemeinsam mit ihm die Hölderlin Gesänge aufgenommen hat. Für die Aufnahmen berichtet der Sänger über seine Begegnung, wir drucken den Text bei BackstageClassical ab: »Oft arbeiten wir stundenlang an einem Takt, bereits beim Einatmen vor dem Singen der ersten Note unterbricht er häufig. Höchste Anforderungen an die Konzentration und an das eigene Selbstverständnis werden gestellt, teilweise bis zu meiner völligen körperlichen Erschöpfung. Während ich immer wieder Pausen einfordern muss, scheint der über neunzigjährige Schöpfer über unendliche Ressourcen und vollen Schaffensdrang zu verfügen.«
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann