Was ist dran am Zoff um den Festspielchor?

März 23, 2025
3 mins read
Chor der Bayreuther Festspiele bei den Meistersingern (Foto: Festspiele, Newrath)

Der feste Chor der Bayreuther Festspiele wird verkleinert, die Mitglieder müssen wieder vorsingen. Ist das wirklich ein Skandal, oder ein nötiger, struktureller Wandel in Zeiten allgemeiner Sparmaßnahmen?

English summary: The Bayreuth Festival Chorus is being downsized from 134 to 80 members, and all singers must re-audition. While some see this as a scandal, festival director Katharina Wagner argues that financial constraints necessitate cuts. Critics, including former member Jörg Golombek, claim it threatens artistic quality. The debate reflects broader struggles in the arts sector.

Es ist ein merkwürdiger Streit, der da gerade um den Chor der Bayreuther Festspiele ausgetragen wird. Die Bayreuther Festspiele stehen – wie viele andere Kulturinstitutionen – unter massivem Spardruck. Während in langen Gesprächen mit dem Orchester eine neue Vereinbarung getroffen wurde, scheiterten die Gespräche mit dem Chor immer wieder an den Forderungen der Chorvertretung.     

Inzwischen wurde beschlossen, dass die festen Mitglieder des Chores (die auch den ganzen Sommer über bezahlt werden) von 134 Mitglieder auf 100 Mitglieder reduziert werden. Außerdem wurde nach der Bestellung des neuen Chordirektors Thomas Eitler-de Lint festgelegt, dass die Mitglieder des Chores nicht mehr jedes Jahr automatisch eingeladen werden, sondern dass die Sängerinnen und Sänger sich ab letzten Herbst für die kommenden Festspiele neu bewerben mussten. Eitler-de Lint erklärte die Umstrukturierungen gegenüber nachtkritik.de als »zeitgemäß«. 

Einsparungen sind nötig

Gegenüber BackstageClassical hatte Katharina Wagner die Einsparungen bedauert, aber erklärt, dass es unter den aktuellen finanziellen Bedingungen kaum noch Spielräume gäbe. »Wir sparen ja nicht aus Spaß«, sagte die Festspielleiterin, »wir haben massive Tarifsteigerungen und Kostensteigerungen auf allen Gebieten. Es haben inzwischen alle Abteilungen des Hauses gespart, die Technik, die Maske, die Kostüme – das waren massive Einsparungen, die aber nicht in der Öffentlichkeit standen, da es sich hier um hausinterne Einrichtungen handelt.«

Was den Chor betraf machte Wagner klar: »Wir brauchen eine gewisse Grundstärke im Chor, aber wir brauchen dafür nicht unbedingt alle 134 Sängerinnen und Sänger immer und jeden Tag. Wenn der große Chor nötig ist, wollen wir den Stamm-Chor mit professionellen Sängerinnen und Sängern auffüllen.« 

Immer wieder machten die Festspiele auch darauf aufmerksam, dass bei einer Senkung der Tageshonorare von bisher 200 Euro auf rund 170 Euro eine Beibehaltung der bisherigen Chorgröße möglich gewesen wäre – das wäre noch immer ein Saisonverdienst von etwa 12.000 Euro. 

Besonders auf der Seite des Bayerischen Rundfunks kocht die Debatte um den Chor in letzter Zeit hoch. So wie letzte Woche, weil der Sender einen langen Brief des  ehemaligen Chorsängers Jörg Golombek goßen Raum einräumte, in dem der behauptete, dass die Bayreuther Festspiele ihren »einzigartigen Klangkörper« zerstören würden und Katharina Wagner persönlich angriff: »Nun demütigen Sie die Mitglieder dieses Chores und seinen letzten Chorleiter mit der demonstrativen Auflösung und diskreditieren deren zuverlässige, engagierte und durchaus auch aufopferungsvolle Arbeit am Werk Ihres Urgroßvaters!« (BackstageClassical lag der Brief damals ebenfalls vor, wie haben uns entschlossen, ihn auf Grund seiner emotionalen Betroffenheit nicht zu veröffentlichen).

Überkommene Privilegien?

Golombek ist 1. Tenor am Theater Freiburg und war seit 2002 Mitglied des Bayreuther Festspielchores. Er kritisiert die öffentliche Berichterstattung über die Verkleinerung des Chores und wehrt sich gegen die angebliche Diskreditierung der Arbeit des bisherigen Chorleiters Eberhard Friedrich. Trotz Gagenverzichts und Stellenkürzungen sei der Chor nicht in die Reformen eingebunden worden, behauptet Golombek und kritisierte Festspielchefin Katharina Wagner für ihre geplanten Umstrukturierungen: Sie gefährden den künstlerischen Standard der Festspiele. 

Die Debatte um den Chor der Bayreuther Festspiele, in dem zuweilen mit Privilegien aus 22 Jahren argumentiert wird, ist wohl symptomatisch für die aktuelle Kulturszene: Große Institutionen sind in Zeiten massiver Einsparungen gezwungen, alte Privilegien in Frage zu stellen und vielleicht sogar aufzulösen. Eine starre Verteidigung überkommener Privilegien führt nicht mehr automatisch zu einer Beibehaltung des status quo, sondern kann die Institutionen auch zwingen, radikale, interne Umstrukturierungen in Gang zu setzen (lesen Sie dazu auch den Essay »Es gibt kein Gestern im Morgen«).   

Wird ein kleinerer Kern-Chor mit Extra-Stimmen für groß besetzte Opern und vor allen Dingen ein regelmäßiges Vorsingen, um die Qualität des Ensembles zu kontrollieren, der Leistung des Chores langfristig wirklich schaden oder sie eventuell sogar verbessern? Das werden wir kommenden Sommer sehen, wenn die Chor-Scharmützel aus den Medien auf die Bühne wandern und der Chor sich in der Prügelszene der Meistersinger behaupten muss.    

Transparenzhinweis: Axel Brüggemann moderiert das Open Air der Bayreuther Festspiele

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Sehr langsamer Parsifal als Stimmfest

Jonas Kaufmann überzeugte in Erl als Parsifal, die Regie war zum Teil unfreiwillig komisch, und Asher Fish dirigierte vor allen Dingen langsam. Eine Presserundschau.

Athen als Vorbild für Hamburg?

Normalerweise sucht Stephan Knies in seiner Nordlicht-Kolumne nach innovativen Klassik-Projekten in Skandinavien. Aber wir dachten, der Junge muss mal in die Sonne. Nun ist er auch in Athen fündig geworden und stellt

Peter Seiffert ist tot

Der international gefeierte deutsche Tenor Peter Seiffert ist im Alter von 71 Jahren nach einem Schlaganfall verstorben.

Das Oster-Duell: Salzburg oder Baden-Baden?

Showdown zwischen Baden-Baden und Salzburg: Die Berliner Philharmoniker trumpfen mit Puccinis Madame Butterfly auf, Esa-Pekka Salonen und das Finnische Radioorchester setzen auf Chowanschtschina. Eine Feuilletonrundschau.

Von Klassik-Birnen und Sport-Äpfeln

Heute mit allerhand schiefen Vergleichen: Musik vs. Sport, Streams vs. CDs, Digital Concert Hall vs YouTube und Karfreitag in Dortmund vs. Karfreitag in Düsseldorf.  

Verramscht die ARD hochwertige Klassik? 

Im Fernsehen ist kaum Platz für Klassik, aber nun starten die ARD-Orchester eine Offensive bei YouTube. Auf Monetarisierung wollen sie dabei verzichten. Darüber müssen wir reden.  

Don't Miss