Koalitionspoker um die Kultur

März 20, 2025
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Joe Chialo und Carsten Brosda sind die Favoriten für die Nachfolge von Claudia Roth.

Auch die Kultur wird in den Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD debattiert. Worum es geht, und wer am Ende Nachfolger von Claudia Roth werden könnte.

English summary: The successor to Germany’s Minister of State for Culture, Claudia Roth, is still uncertain. The leading candidates represent different cultural policy visions: Hamburg’s Carsten Brosda (SPD), an institutional expert advocating culture as an end in itself, versus Berlin’s Joe Chialo (CDU), who promotes private funding and economic efficiency. However, the post may go to Markus Blume or Dorothee Bär to appease the CSU. Germany’s cultural sector faces major financial and structural crises, with calls to embed cultural funding in the constitution. While CDU leans toward privatization, SPD favors state support. The decision will shape the future of German cultural policy.

Wer wird Kulturstaatsministerin Claudia Roth nachfolgen? Personalentscheidungen stehen in Koalitionsverhandlungen traditionell am Ende. Aber in diesem Fall stehen die Namen der Favoriten auch für die unterschiedlichen Vorstellungen von Kulturpolitik von SPD und CDU. 

Auf der einen Seite Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD): ein Macher mit tiefem Verständnis für die Strukturen von Kulturbetrieben. Er hat Hamburgs Kulturetat erhöht, einen – wenngleich umstrittenen – Sponsor für den Neubau der Staatsoper angeschleppt und plädiert dafür, dass Kultur grundsätzlich erst einmal Selbstzweck ist und keine politische Verpflichtung habe.

Auf der anderen Seite Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU): Er hat die Hauptstadtkultur brutal und weitgehend ohne Rücksicht auf die Kulturschaffenden abgeholzt und setzt sich grundsätzlich für mehr privates Geld auch in öffentlichen Institutionen ein. Chialo ist eher Lobbyist der privaten Kreativwirtschaft als Vertreter staatlicher Kulturförderung.

Allerdings genießt die Kulturpolitik auf Bundesebene traditionell keine Priorität und ist zu einer Art Verschiebebahnhof für parteipolitische Posten verkommen. So könnte es durchaus sein, dass am Ende keiner der beiden Favoriten das Rennen macht, sondern der Job an Bayerns Kulturminister Markus Blume oder an Dorothee Bär geht, um die CSU zu befrieden. Doch nun werden erst einmal die Inhalte verhandelt.

Die Herausforderungen für Kulturpolitik sind groß. Selten steckte die staatliche geförderte Kultur derart in der Krise wie heute: Länder und Kommunen haben kaum Spielraum, ihre „freiwilligen Aufgaben“ (zu denen die Kultur gehört) zu finanzieren. Tarifverträge und steigende Kosten gefährden die Existenz etablierter Kulturbetriebe, und viele Häuser sind marode – die Umbaukosten übersteigen zum Teil eine Milliarde Euro.

All das ist in Zeiten des Sparzwangs nur schwer zu vermitteln. Mit der Digitalisierung eröffnen sich zudem vollkommen neue Felder der Kulturpolitik. Es braucht also ein grundlegendes, strukturelles Neudenken, um staatlich geförderte Kultur auch perspektivisch abzusichern. Die Koalitionsverhandlungen werden zeigen, ob Union und SPD in der Lage sind, die Weichen entsprechend zu stellen.

Kulturstaatsministerium – wozu?

Für Claudia Roth von den Grünen war das Amt der Kulturstaatsministerin in erster Linie ein unendlich langer Laufsteg in eigener Sache. Mit ihrer Agenda, dass Kultur der Demokratie zu dienen habe, füllte sie das Amt grundsätzlich ideologisch aus. Hinzu kommt, dass Roth kaum ein Fettnäpfchen ausließ und es weitgehend vermied, sich intensiv mit grundlegenden Strukturen von Kulturinstitutionen auseinanderzusetzen. Egal, ob der Antisemitismusskandal bei der documenta fifteen 2022 oder der Vorschlag, bei den Bayreuther Festspielen auch mal Hänsel und Gretel zu spielen: Claudia Roth fiel oft durch Unwissenheit und Naivität auf.

Ihre politisch aufgeladene Kulturpolitik, in der ökologische Nachhaltigkeit und Diversität eine große Rolle spielten, bot gerade der AfD eine Angriffsfläche, die staatlich unterstützte Kultur als »Systemkultur« anzugreifen und abschaffen zu wollen.

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Die zukünftigen Koalitionspartner von SPD und CDU scheinen zumindest einig darin zu sein, dass es in der kommenden Legislaturperiode um eine Neupositionierung des Amtes gehen muss, dass die Ideologisierung der Kultur in den Hintergrund und ihre strukturelle Ermöglichung in den Vordergrund gerückt werden soll. 

Die CDU will Kultur als Ort der privaten Kreativwirtschaft lukrativer machen und staatliche Institutionen mehr in die ökonomische Pflicht nehmen. Die SPD will eher an der Linie von Roth, an Demokratie und Diversität innerhalb der Kultur festhalten. Aber beiden ist klar, dass die derzeit wohl größte Herausforderung der Kulturpolitik darin besteht, den strukturellen Wandel der Kulturinstitutionen zu koordinieren.

Gerade weil kulturelle Bildung an deutschen Schulen nicht mehr zur Selbstverständlichkeit gehört (Musikunterricht fällt in der Grundschule zur Hälfte aus!), sind strategisch denkende Kulturpolitiker wichtig, die mit tiefem Verständnis für die komplexen Abläufe in den Institutionen als Partner der Kulturschaffenden in Zeiten der Transformation auftreten. Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, bestehende Strukturen grundlegend infrage zu stellen, den dynamischen Transformationsprozess der Kultur zu begleiten und neue Orte kultureller Repräsentation zu etablieren.

Kultur ins Grundgesetz 

In Deutschland ist Kultur weitgehend Sache von Ländern und Kommunen – auch deshalb wird die Bundeskulturpolitik oft als zahnloser Papiertiger und als Gelegenheit zur Repräsentation missverstanden. Doch die Bundespolitik hat durchaus Werkzeuge, der Kultur in der Fläche zu helfen.

Eine der wichtigsten Stellschrauben wäre es, Kultur als Staatsauftrag im Grundgesetz zu verankern. Dieser Schritt wäre weit mehr als ein Symbol. Derzeit wird Kultur als »freiwillige Leistung« bei der Verteilung der Mittel nachrangig behandelt, ein expliziter Kulturauftrag im Grundgesetz würde die kulturellen Aufgaben des Staates gleichwertig neben die sozialen und umweltbezogenen Aufgaben stellen und damit das Gewicht der Kultur auf Verfassungsebene erhöhen. Kultur im Grundgesetz würde die Kulturinstitutionen in Zeiten der Krise stärken und sie effektiv vor Ökonomisierungs- und Quotendenken schützen.

Privat oder Staat?

Kultur wird in Deutschland sowohl staatlich als auch privat finanziert. Gerade die CDU versteht Kultur dabei als offenen Raum ökonomischer Protagonisten, die sie unterstützen will. Die deutsche Kreativwirtschaft erwirtschaftet jährlich rund 123 Milliarden Euro und trägt mit 3,3 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. Doch eine Förderung der Kulturindustrie sollte den Staat nicht aus seiner eigenen kulturellen Verantwortung entlassen. So wie Joe Chialo es zuweilen in Berlin fordert, wo er Kulturschaffende zwingen will, mehr Drittmittel zu akquirieren und zunehmenden ökonomischen Erfolgsdruck auch auf staatlich geförderte Institutionen ausübt.

All das wird in Zeiten der allgemeinen Krise schwer sein. Kaum vorstellbar, dass zum Beispiel Mercedes-Benz Zehntausende Arbeitsplätze abbaut und gleichzeitig mehr Geld in Kultur investiert. Zumal viele staatlich geförderte Institutionen längst im Prozess des Wandels stecken. Theater, Opern- und Konzerthäuser haben begriffen, dass sie nicht mehr die gleiche Rolle wie vor 20 Jahren spielen, dass sie sich wandeln, neue Aufgaben und ein neues Publikum finden müssen. In dieser Neuerfindung brauchen sie weniger Druck als vielmehr Unterstützung durch die Politik.

SPD und CDU vertreten unterschiedlichen Partner innerhalb der Kulturlandschaft und könnten gemeinsam auf bessere Ideen kommen als Claudia Roths »Kulturpass für Jugendliche«, der ebenso kostspielig wie ineffektiv war. Wichtiger als derartige Symbolpolitik wird es sein, klug an den Strukturen des Kultursystems zu schrauben. Claudia Roth hat das in Ansätzen in der Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gezeigt, und auch bei der Förderung des deutschen Films wurden erste Schritte erkennbar – beide Baustellen sind noch offen für die neue Regierung (besonders, was die konkrete Förderung des deutschen Films betrifft).

Wir brauchen einen neuen Kulturbegriff

Es scheint eine grundlegende Neubewertung nötig zu sein, wie sich die Kulturpolitik der Zukunft versteht. Der radikale Wandel der Gesellschaft fordert auch einen radikalen Wandel der Kultur und ihrer Institutionen. Das beginnt bereits mit den kulturellen Räumen: Skandinavien macht vor, dass die Trennung von Bühnen, Museen und Konzerthäusern, von freier und staatlich organisierter Kunst längst aufgelöst wird. Es entstehen Räume, in denen all diese Felder, die kulturpolitisch in Deutschland noch getrennt gedacht werden, längst fusionieren. 

Besonders die Digitalisierung stellt Kulturschaffende derzeit vor große Fragen in Sachen Kreativität, Rechte und Räumlichkeiten. Viel zu lange wurden neue Medien in der Kulturpolitik des Bundes vernachlässigt. Sei es die Bedeutung von Computern für die Schaffung von Kunst, das durchaus problematische Themenfeld der KI und ihrer Rechte, aber auch der digitale Kulturbegriff in Feldern wie Kino oder Gaming. Hier ist Deutschland ins Hintertreffen geraten und es bedarf eines visionären kulturpolitischen Konzeptes, um digitale Kultur zu fördern und ihre möglichen Auswirkungen zu regulieren.

Und wer wird es nun? 

Obwohl die Aufgaben auf dem Feld der Kultur dringend sind, scheint der Job des Staatsministers für Kultur eher ein strategischer Posten im Berliner Machtpoker zu sein. Berlins Kultursenator Joe Chialo hat in den letzten Monaten innerhalb der CDU – und besonders bei Friedrich Merz – massiv für sich geworben. Berliner Kulturschaffende werfen ihm vor, öfter in CDU-Gremien gesessen zu haben, als sich um die prekären Finanzen der Hauptstadt zu kümmern. Viele Berliner werden aufatmen, wenn Chialo den Job bekommt, weil er dann sein Amt in als Senator aufgeben müsste, aber ihm fehlt nicht nur das Wissen, sondern auch das tiefere Interesse an den Themen und Strukturen der komplexen Institutionen. Für Chialo wäre das Amt – ähnlich wie für Claudia Roth – wohl in erster Linie ein Laufsteg in eigener Sache. Und das kann die Kultur in Deutschland gerade überhaupt nicht gebrauchen.

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda ist dagegen sicherlich geeigneter, um die Bundeskultur inhaltlich, strukturell und strategisch neu auszurichten. Der Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins kennt die Institutionen und ist das, was ein guter Politiker sein sollte: ein Stratege im Interesse der Kulturschaffenden. 

Die Entscheidung zwischen Chialo und Brosda ist also auch ein Showdown der Grundwerte der Kulturpolitik.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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