Klassik? – Wenn sie sein muss!

April 7, 2025
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Theaterkarten – manche wollen sie, andere nicht (Foto: BC)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

in der allerhand Debatten geführt werden: Wie gut ist unser Kulturradio? Wie verändert sich der Veranstaltungsmarkt? Wollen die Menschen sich Oper und Konzert noch leisten? Und warum muss ein Label 20.000 CDs verschrotten? 

Kultur: Ist gut – brauch‘ ich aber nicht

Zwei Statistiken prägten die Woche: Die Liz Mohn Stiftung hat ihren zweiten Relevanzmonitor Kultur vorgestellt, ähnlich wie beim letzten Mal kann er so zusammengefasst werden: Die Leute finden Kultur wichtig, besuchen aber nur selten Kulturinstitutionen. Die Realität ist derweil in Berlin zu beobachten. Hier sind die Auslastungszahlen durchaus gut, trotzdem holzt Kultursenator Joe Chialo gerade emotionslos seine Kulturlandschaft ab. Es scheint politisch immer schwerer zu werden, staatliche Unterstützung zu legitimieren. Nach neuen Zahlen wird jede verkaufte Karte an der Staatsoper unter den Linden mit 260,50 Euro bezuschusst, jede Karte an der Komischen Oper mit 259,60 Euro und jede Karte bei den Berliner Philharmonikern mit 111,30 Euro (alle Auslastungs-, Zuschuss- und Bilanzzahlen der Berliner Klassik-Häuser hier). Fasst man beide Studien zusammen, zeigt sich: Es wird zwar eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Kultur  behauptet, aber die konkrete Identifikation mit Kultureinrichtungen wird immer schwerer. Um so wichtiger scheint es, dass Kulturinstitutionen klar machen, was sie so unverzichtbar macht, dass sie sich selbstbewusst in die Mitte unsere Gesellschaft stellen – dass sie sich durch ihre Arbeit unabschaffbar machen!

Oh no, Radio!

Aufreger der letzten Woche war ein Wutausbruch des Musikwissenschaftlers Laurenz Lütteken gegen das Kulturradio in Deutschland in der FAZ: Zu schlampig, zu unterhaltsam – zu wenig Klassik! Ergo: Deutsches Kulturradio sei unsere Gebühren nicht Wert. Aber ist das wirklich so? Ich finde, man sollte auch in der Kritik etwas genauer sein (gerade, wenn sie in der FAZ geäußert wird, wo die Klassik-Redaktion in den letzten Jahren ebenfalls massiv zusammengeschrumpft ist). Musik ist heute überall zugänglich, zum Teil sogar redaktionell begleitet (dafür braucht es keine regionalen Radiosender mehr). Problematisch ist neben Schludrigkeit vor allen Dingen die journalistische Integrität der Sender. Vielleicht sollten die Reform-Anstrengungen einfach nur justiert werden. Wie wäre es mit EINEM wirklich guten Core-Klassik-Sender für das Land, mit vielen regionalen Fenstern für seriöse Kritiken und echten Kulturjournalismus und mit regionalen Info-Programmen, in denen großzügige Kulturinseln aufgemacht werden? Hier der Versuch einer konstruktiven Kritik statt eines Wutanfalls.

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Veranstalter: Alle unter zwei Dächern?

Der Veranstaltermarkt in Deutschland steckt im Wandel: Kleinere Veranstalter schlüpfen unter das Dach großer Veranstalter wie Deutsche Klassik und München Musik. Dabei sind Fusionen in der kommerziellen Klassik längst gang und gäbe: Agenturen und Aufnahmelabels haben sie schon hinter sich. Welche Bedeutung haben die aktuellen Verschmelzungen der Veranstalter auf unseren Klassik-Markt und welche Strategien verfolgen sie? Ich versuche das in einem Essay aufzudröseln. Im Zentrum steht dabei ein Satz von Burkhard Glashoff von DK Deutsche Klassik: »Egal, ob in den Bereichen Buchhaltung, Ticketing oder Künstlerbetreuung ist es für große Player natürlich effektiver, wenn wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf mehrere Projekte aufteilen. So ist es uns im Zusammenschluss gelungen, Konzertreihen, die zum Teil über Jahre hinweg defizitär waren und oft nur noch aus Leidenschaft gepflegt wurden, wieder rentabel zu machen – und dadurch zu erhalten.«


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Nach GEMA-Forderung: Label verschrottet über 20.000 CDs

International für Furore sorgte ein Text bei BackstageClassical, in dem wir berichten, dass das Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm über 20.000 CDs verschrotten wird. Der Grund: Nach den neuen GEMA-Verträgen werden für das Label GEMA-Gebühren auch für gelagerte CDs fällig, die noch gar nicht verkauft wurden. Die GEMA-Forderungen hätten sich auf einen »hohen fünfstelligen Betrag belaufen«, sagt Werner Dabringhaus gegenüber BackstageClassical und bestellte kurzerhand einen sechs Kubikmeter-Container für die Verschrottung. Die Reaktion der GEMA-Mitarbeiterin: In einer Mail erklärte sie Dabringhaus, dass er die Sache auch positiv sehen müsse – nun sei endlich Platz für etwas Neues. Alle Hintergründe hier.

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Aprilscherz-Nachlese

Ich war eigentlich nie ein Fan von Aprilscherzen, bis ich einmal auf Facebook gepostet habe, dass der Salzburg-Zoff beendet sei und ich fortan als Künstlerischer Berater von Markus Hinterhäuser engagiert wäre – die Anrufe, die ich damals von Künstlerinnen und Künstlern bekommen habe, zeigten mir, wie eine Position plötzlich mit Macht verbunden ist. Diesen April wurden wir bei BackstageClassical angeblich zu einem Gruppenchat hinzugefügt, in dem Berlins Kultursenator Joe Chialo den Intendantinnen und Intendanten der Hauptstadt erklärt haben soll, dass er Staatsoper und Deutsche Oper fusionieren wird (wir haben sogar den angeblichen Original-Chat mit einer Bildergalerie dokumentiert). Die Idee hinter diesem Scherz war folgende: Sollte in Berlin jemals jemand wirklich auf diese Idee kommen, wollten wir vorwarnen, dass es nur ein Scherz sein kann! Andere Medien hatten ebenfalls gute Scherze auf Langer: BR Klassik erklärte, dass Markus Söder sich persönlich dafür einsetze, Orffs Oper Der Mond zum 100. Jubiläum 2039 tatsächlich auf dem Mond aufzuführen – eventuell sogar mit Jonas Kaufmann. Deutschlandfunk-Kritiker Jörn Florian Fuchs erklärte in einem Beitrag, dass Rainer Maria Rilke und Thomas Mann an einem Kunstlied zusammengearbeitet hätten. Irgendwie gefällt mir die Aprilscherz-Tadition inzwischen. KEIN Aprilscherz ist allerdings die Meldung aus dem Kurier aus Bayreuth vom 4. April, nachdem die Festspielstadt nun grünes Licht für Wagner-Ampelmännchen mit dem Profil des Komponisten gegeben hätten.   

Personalien der Woche

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf hat Anfang März in Moskau offensichtlich den außenpolitischen Berater von Wladimir Putin, Anton Kobyakov, getroffen. Ziel des Treffens, so berichtet es t-online, war die Organisation eines internationalen Chorfestivals, den World Choir Games, die 2027 in Russland stattfinden sollen. +++  Was für ein Wurf: Die Osterfestspiele Salzburg haben für 2026 die Aufführung von Richard Wagners Ring des Nibelungen angekündigt. Die Berliner Philharmoniker kehren unter der Leitung von Kirill Petrenko als Gründungsorchester an die Salzach zurück. Regie führt Kirill Serebrennikov.+++ Der Unternehmer und Milliardär Klaus-Michael Kühne hat Vorwürfe zurückgewiesen, er wolle sich mit großzügigen Spenden öffentliche Anerkennung erkaufen. »Öffentlich geliebt zu werden, ist nicht meine Ambition«, sagte Kühne im Gespräch mit dem Spiegel. +++ Ende der Chaos-Zeit: Nach Intendant Uwe Eric Laufenberg hat nun auch Holger von Berg das Staatstheater Wiesbaden verlassen. Eine KPMG-Analyse vom Juni 2024 attestierte dem Theater erhebliche Managementprobleme, darunter eine »dysfunktionale Gesamtsteuerung«, berichtet der Wiesbadener Kurier. Die Leitung des Hauses ist zweigeteilt in Geschäftsführung und Intendanz. Derzeit übernehmen Vertreter die Aufgaben der Geschäftsführenden Direktion, eine Nachfolge wurde noch nicht benannt. Zur finanziellen Lage gibt es keine neuen Angaben, für 2023/2024 war ein Defizit von 900.000 Euro im Gespräch.

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Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier. Die Berliner Philharmoniker untersuchen gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern, wie Musik sich auf das Wohlbefinden von Schwangeren und ihren ungeborenen Kinder auswirkt. Studienleiterin Birgit Arabin erklärt, dass es eventuell ein Fehler sei, Geburten in Krankenhäusern als »stressbetonte Behandlungen« zu verstehen. Die ersten Ergebnisse zeigten, dass klassische Musik erheblich zur Entspannung beitrage – besonders im Konzert, und noch besser: wenn die Mütter selber musizieren. Die Zukunft scheint also ziemlich eindeutig: Wir müssen unsere Geburten aus dem Kreißsaal in den Konzertsaal verlegen. Das würde dann vielleicht auch die am Beginn dieses Newsletters debattierte Akzeptanz von Opern- und Konzerthäusern in der Öffentlichkeit steigern.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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