Kulturradio: Nur meckern bringt auch nichts 

April 4, 2025
6 mins read
Ein altes Radio in der Wüste.
Das Radio sieht alt und verlassen aus (Bild: KI, DaVinci)

Hörer schalten ab, und die FAZ schlägt drein. Das Kulturradio steht in der Kritik. Um so wichtiger ist es, genau hinzuhören. Eine Analyse. 

English summary: The crisis of cultural radio is sparking debate, with the FAZ harshly criticizing its decline. Listener numbers are dropping, especially at RBB’s Radio3, which reduced classical music. While criticism of declining quality is valid, solutions are lacking. The shift to digital access and nationalized radio programs is inevitable. Quality must be safeguarded, ensuring insightful, knowledgeable, and journalistic integrity in cultural broadcasting.

Selbst wenn man das Radio ausschaltet, ist in diesen Tagen überall vom Radio die Rede. Das Kulturradio stecke in der Krise, heißt es allerorten. 30 Prozent weniger Menschen hören beim RBB zu, seit das kulturradio sich in Radio3 umbenannt und einen Haufen Klassik aus dem Programm geworfen hat. Gerade noch 48.000 Hörerinnen und Hörer habe der Hauptstadt-Sender. Und in der FAZ hat der Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken gerade in einem Mega-Wutanfall den ganz großen Besserwisser-Hammer herausgeholt und dafür viel Applaus geerntet: Verflachung der Programme, peinliche Fehler bei den Moderationen und überhaupt – nicht ernst zu nehmen sei die Klassik im Radio. Und deshalb ihre Gebühren nicht Wert! 

Neu ist das alles nicht, Arno Lücker predigt das bei der NMZ schon seit Jahren, und ähnliche Artikel sind seit Bestehen des Radios in regelmäßigen Abständen immer wieder erschienen und sorgen traditionell für allerhand emotionale Kommentare, viele Klicks und große Aufregung. All das schmälert den Kern ihrer Aussage freilich nicht. Aber der Generalangriff ist ein wenig kurz gesprungen, vor allen Dingen, weil er keine Lösungen anbietet. 

Notwendiger Wandel

Die Welt dreht sich, und natürlich ist auch das Radio im Wandel. Dass in Zukunft jeder Regionalsender ein Klassik-Vollprogramm sendet, ist illusorisch. Wer soll schon einen ganzen Tag lang auf neun Kanälen Bach, Beethoven und Stockhausen hören? Schon jetzt erreichen Kultursender gerade Mal Einschaltquoten von ein bis zwei Prozent (was die Bedeutung des »Kulturauftrags« eher unterstreicht, als schmälert). 

Nein, Musik ist heute nicht mehr auf das lineare Versenden durch Radiosender angewiesen. Das Motto »Es ist 20:05 Uhr, und jetzt hört Mama ein Symphoniekonzert«  ist anachronistisch. Klassik ist jedem Menschen immer und überall – etwa durch Spotify zugänglich. Anbieter wie qobuz kuratieren ihre Angebote sogar seriös, stellen Neueinspielungen vor und ordnen die Musik in Interviews und redaktionellen Tipps ein. 

Es ist doch klar, dass Radiosender darauf reagieren müssen. Das Ziel, das in den Vorstandsetagen verfolgt wird, ist verständlich: Fusion der unterschiedlichen Sender zu EINEM nationalen Angebot mit regionalen Fenstern. Ein Großteil der Klassik-Sender ist längst zu Informationssendern umgebaut worden (z.B. radio3 oder Bremen 2). Wie die ARD ihre Stationen derzeit konkret fusioniert, haben wir bei BackstageClassical schon einmal genau aufgedröselt

Warum ich Bremen2 liebe

All das ist nicht falsch. Ich sehe das an meinem eigenen Radioverhalten. Zum Frühstück höre ich deutschlandfunk für die Information (abends beim Kochen die Kultur-Sendung für die Rezensionen). Tagsüber läuft bei mir Bremen 2, gerade weil hier nicht andauernd komplizierte Klassik läuft, sondern das Programm mich dezent im Hintergrund auf dem Laufenden hält – über regionale, wie nationale Themen. Von der aktuellen Kritik des Bremer Theaters bis zu Trumps neuen Steuer-Plänen. Musik ist dort inzwischen so zweitrangig, dass sie nicht einmal mehr angesagt wird. Ich mag das.

Und ja, die Klassik im Radio muss eigentlich noch viel radikaler neu gedacht werden. Kultur-Fenster innerhalb von Info-Sendern wie Bremen 2, radio3, SR k oder WDR3 und dazu einen wirklichen nationalen Klassik-Sender, der sich ernsthaft und ausführlich als Vollprogramm um Musik kümmert: die wichtigsten Rezensionen, tiefgründige Reportagen und – natürlich! – die besten Konzerte und Mitschnitte. 

Themenschwerpunkt Radio bei BackstageClassical

  • Recherche: Wie viel nehmen unsere Radioorchester eigentlich auf?
  • News: Wer fusioniert mit wem?
  • Fernsehen: Der Kamp um 3Sat

Und, nein, es muss nicht jedes Konzert der Radioorchester linear ausgestrahlt werden, nicht jede fünfte Symphonie von Beethoven mit der Deutschen Radiophilharmonie muss für die Ewigkeit konserviert werden. BackstageClassical hat vor einigen Monaten eine große Umfrage über alle gesendeten Konzerte der öffentlich-rechtlichen Orchester veröffentlicht. Das Ergebnis: Es wird sehr viel ausgestrahlt, als Audio-Mitschnitt fast jedes Konzert, audiovisuell besonders viel in den Mediatheken. Programm auf Abruf ist kein Zukunftsmodell mehr, sondern mediale Realität der meisten Menschen.

Schlampig in der Nische

Und erst hier greift nun auch die berechtigte Kritik von Laurenz Lütteken in der FAZ. Denn wenn schon Klassik-Nischen geschaffen werden, sollten diese die Musik nicht noch durch Dummheit und Naivität weggeschrumpft werden. Nein, Klassik ist kein Entertainment, und Moderatorinnen und Moderatoren sollten sehr wohl den Unterschied von Opuszahl und Köchelverzeichnis kennen. 

Ja, jeder von uns Kulturjournalisten kennt viel zu viele dieser Kopfschüttel-Momente aus den Redaktionen: Zum Beispiel sendete ein Kultursender sofort nach einem kritischen Beitrag von mir zu Teodor Currentzis und dessen Russland-Verbindungen Musik von Teodor Currentzis und MusicAeterna – »zur Entspannung«. Eine Redakteurin erklärte mir einmal, dass ihr Sender keine öffentliche Werbung (mit Plakaten in der Stadt) machen dürfe, da das für Kritik bei den Menschen sorgen würde: »Warum gebt Ihr so viel Geld für so wenig Hörerinnen und Hörer aus?«. 

Journalismus oder Eigenwerbung?

Abgesehen davon stecken viele Sender in einer ernst zu nehmenden, journalistischen Falle: Auf der einen Seite stellen sie (zu Recht) hohe journalistische Ansprüche an sich, auf der anderen sind sie oft nur redaktionelle Werbeplattformen für ihre eigenen Ensembles und Festivals. Beim BR sorgt das lediglich für regelmäßige, schamlose Eigenwerbung, beim NDR wird diese oft mit merkwürdig tendenziösem Journalismus gepaart (die Elbphilharmonie und ihr Intendant scheinen einen besonderen Zugang zum Sender zu haben), beim SWR sorgt das zuweilen sogar für das journalistische Zurückdrängen kritischer Vorfälle im eigenen Sender (etwa bei François-Xavier Roth oder Teodor Currentzis). Zusätzlich peinlich wird das besonders dann, wenn die Sender und Redaktionen gleichzeitig überheblich gegenüber anderen Medien auftreten.

Und, ja hier liegt ein wirkliches Problem: Viele Sender tun sich als Institutionen schwer, ihrem journalistischen Anspruch gerecht zu werden. Und immer mehr Moderatorinnen und Moderatoren scheitern daran, das eigene, kulturbeflissene (und oft auch überhebliche) Selbstbild zu erfüllen (siehe FAZ-Kritik). Erst in der Kluft zwischen einem aufgeblasenen bildungsbürgerlichen Selbstverständnis und der andauernden Behauptung journalistischer Qualität und tatsächlicher Unbedarftheit innerhalb der Redaktionen werden »Dvořáks neue Symphonie« und »Tosca von Verdi« zu echten Peinlichkeiten.

Fakt ist aber auch – und das verschweigt Lütteken – dass es in vielen Sendern sehr wohl erstklassige Sendungen gibt (z.B. Tonart beim WDR oder Treffpunkt Klassik beim SWR) – und natürlich auch erstklassige Musikjournalistinnen und -journalisten: Hannah Schmidt,  Maja Ellmenreich, Claus Fischer, Kai Luehrs-Kaiser, Nele Freudenberger, Jörn Florian Fuchs, Bettina Volksdorf, Gabi Szarvas und viele andere wissen sehr wohl, wovon sie reden. 

Opportunistische Redaktionen

Um so erstaunlicher ist, dass aus den Redaktionen selber kaum Protest gegen den Abbau der Kultur im öffentlich-rechtlichen Radio kommt. Hier scheint ein System der Angst und Unfreiheit zu herrschen: Kritik am eigenen Arbeitgeber wird höchstens hinter vorgehaltener Hand geäußert, ansonsten bleibt man loyal (oder opportun?). Bloß kein Risiko eingehen. Und das in einer vertrackten Situation des radikalen Sender-Umbaus: Die Reform der Kultursender wird weitgehend ohne Wissen um die Inhalte von Kultur »von oben« angeordnet und trifft »unten« auf stille »Erfüller«, die sich nur selten trauen, für ihr Fachgebiet (oder kritischen Journalismus im eigenen Haus) zu streiten. Und deshalb ist das Unwissen einiger Moderatorinnen und Moderatoren nur ein Teil der Kritik – mindestens so schlimm ist das Schweigen (und Mitmachen) der wissenden Redakteurinnen und Redakteure.   

Und nun sind wir beim eigentlichen Problem, das Lütteken in seinem Wutanfall in der FAZ nicht mehr thematisiert. Wir befinden uns mitten in einem Prozess der Restrukturierung. Der Verlust breiter Flächen für klassische Musik innerhalb des öffentlich-rechtlichen Radios hat längst begonnen und ist auch nicht mehr zurückzudrehen (da können wir Bildungsbürgerlichen zetern, so lange wir wollen!). Um so wichtiger wird es, die wenigen verbleibenden Flächen qualitativ abzusichern: Wo Kultur gesendet wird, muss sie klug, wissend und journalistisch integer aufbereitet werden. Gerade das steht zur Disposition. Und gerade deshalb sind Texte wie von Lütteken dann eben doch wichtig.  

Der Kulturabbau im öffentlich-rechtlichen Rundfunk scheint unaufhaltsam zu sein und ist nicht nur an der Verflachung und Fehleranfälligkeit der einzelnen Sendungen zu sehen, sondern auch am Verschwinden großer Programmflächen. Aber ist das der Untergang des Abendlandes? Sicher nicht! 

Wir bei BackstageClassical sehen, dass gerade in Zeiten der Krise durchaus auch Neues entstehen kann, dass sich vollkommen neue Synergien auftun, dass auch ein Nischenthema eine große Leserschaft an sich binden kann, und dass journalistisches Handwerk, stark argumentierte Meinungen und tiefe Ernsthaftigkeit gegenüber der Kunst durchaus Räume findet.     

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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