Das Label Dabringhaus und Grimm konnte es nicht glauben: Es soll GEMA-Gebühren auf nicht verkaufte CDs bezahlen. Nun muss ein Teil des Lagers vernichtet werden.
English summary: The label Dabringhaus und Grimm must destroy more than 20,000 CDs after GEMA demanded fees for unsold stock. A new rule affects small labels, charging fees for all produced CDs. Facing high costs, destruction is the only option.
Die Mail kam am ersten April, aber sie war kein Aprilscherz. Die Musikproduktion Dabringhaus und Grimm hat einen sechs Kubikmeter Schrottcontainer bestellt und wird über 20.000 CDs aus seinem Lager vernichten. Diese sinnlose Kulturzerstörung ist das Ende einer absurden Posse, die mit einem Brief der GEMA begonnen hat.
Ab sofort fallen Labels, die unter 10.000 Euro GEMA Gebühren pro Jahr zahlen, nicht mehr unter den alten Industrievertrag. Für Dabringhaus und Grimm hat das verheerende Konsequenzen: Für sein Label werden GEMA Gebühren nicht mehr für die verkauften Aufnahmen fällig, sondern für alle bereits produzierten Produkte – auch jene, die im Lager auf ihren Verkauf warten.
Die GEMA forderte eine Lagerliste des CD-Labels und zählte bei Dabringhaus und Grimm mehr als 20.000 CDs, die betroffen seien. Die GEMA-Forderungen hätten sich auf einen »hohen fünfstelligen Betrag belaufen«, sagt Werner Dabringhaus gegenüber BackstageClassical. In einem Brief habe eine GEMA-Mitarbeiterin ihn »ermutigt«, seine Bestände zu vernichten – das sei der einzige Weg, um die neuen Gebühren zu vermeiden.
Tatsächlich bleibt Dabringhaus und Grimm keine andere Wahl. Der Container wurde bestellt und die Zerstörung der CDs im Lager angeordnet. Doch auch im Nachhinein blieben für Werner Dabringhaus viele offene Fragen an die GEMA. So hat er bei der Abrechnung festgestellt, dass die Verwertungsgesellschaft für eine CD von Eisler-Liedern eine GEMA-Gebühr von 230 (!) Prozent verlangt.
Für große Labels, die über 10.000 Euro GEMA-Tantiemen pro Jahr zahlen, gilt die Regel übrigens nicht. All das scheint die Leute von der Verwertungsgesellschaft nicht sonderlich zu stören. In einem Brief an Dabringhaus erklärte eine Mitarbeiterin dem Unternehmer, dass er die Sache positiv sehen müsse: Nun sei endlich wieder Platz für Neues. Wie gesagt: Kein Aprilscherz.
Dabringhaus und Grimm hat sich inzwischen in einem Brief an seine Kundinnen und Kunden gewandt und sie aufgefordert, noch schnell Aufnahmen aus dem Lager zu bestellen, bevor sie zerstört werden. Hier geht es zur Website des Verlages.

Und hier das Schreiben von Werner Dabringhaus im Wortlaut:
Liebe Freunde von MDG,
Sie gehören zu unseren treuesten Kundinnen und Kunden. Jetzt möchte ich Ihnen etwas erzählen, etwas Trauriges, etwas Unglaubliches, für uns Unfassbares – und Sie um Ihre Solidarität bitten.
Sicherlich haben Sie der Presse entnommen, dass die GEMA, die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten, die Gebühren z. B. für öffentliche Aufführungen drastisch erhöht hat.
Wir als Label haben immer dann mit GEMA-Gebühren zu tun, wenn wir Werke veröffentlichen, deren Komponisten oder Bearbeiter ihre Rechte von der GEMA wahrnehmen lassen und die vor weniger als 70 Jahren verstorben sind.
Bisher wurde diese Lizenz erst dann fällig, wenn ein Titel aus unserem Lager verkauft war. Das funktionierte gut, war fair und finanziell gut regelbar. Dieser Vertrag ist gekündigt worden, wodurch plötzlich ein hoher fünfstelliger Betrag für alle GEMA-pflichtigen Lagerbestände fällig würde. Auf das Argument, dass uns das mit unserer Klassik-Produktion ruinieren würde, hieß es nur ganz lapidar: Wenn Sie die CDs bisher nicht haben verkaufen können, dann müssen sie sie eben vernichten.
So einfach ist das für die GEMA – wir sind fassungslos.
Es wird also in Kürze eine 6m³-Lore vor unserer Türe stehen, und wir werden eine große Anzahl von wunderbaren CDs entsorgen lassen müssen. Mit einem jeweils geringen Restbestand an CDs bleiben lieferbar, aber die Größe unseres Lagers muss deutlich schrumpfen. Das tut richtig weh, denn neben dem schon geleisteten finanziellen Einsatz, den wir hier vernichten müssen: Es handelt sich ja um Kulturgut, das zu retten (oder überhaupt erst einmal zu dokumentieren) wir ja als Label angetreten sind, und wofür Sie uns schätzen.
Es handelt sich dabei um wirklich wichtige und bedeutende Einspielungen, wie z. B. die Gesamteinspielung der Lieder von Hanns Eisler oder die gesammelten Lieder der französischen Groupe des Six, die wir mit Holger Falk und Steffen Schleiermacher produziert haben; oder die Gesamteinspielung der Orgelwerke von Marcel Dupré mit Ben van Oosten, 12 hoch dekorierte Folgen, die wir an verschiedenen historischen Orgeln in Frankreich, England, Canada und USA an originalen „Dupré-Schauplätzen“ aufgenommen haben.
Aber auch hinreißende Aufnahmen von Stravinsky‘s Sacre du Printemps oder Berlioz‘ Symphonie Phantastique oder die Klaviermusik von Cage, Widmann und Weinberg sind dabei… Überall hier fallen zum Teil erhebliche GEMA-Lizenzen an, die wir zusätzlich zu den eigentlichen Herstellungskosten zahlen müssen, ohne dass Sie das am Endpreis merken (denn es gibt keinen GEMA-Preisaufschlag).
Wir haben Ihnen im Anhang einige dieser Kostbarkeiten zusammengestellt. Vielleicht möchten Sie durch Ihre spontane Bestellung noch den ein oder anderen Titel vor dem Scheiterhaufen retten und in Ihre Sammlung integrieren? Sie tun damit den Künstlern, den Komponisten und natürlich uns einen großen Gefallen. Und dabei bin ich mir sicher: Der größte Gewinner könnten Sie selbst sein, wenn Sie dieses in jeder Hinsicht kostbare Repertoire für sich retten und entdecken.
Vielen Dank, wenn Sie bis hierher mitgelesen haben. Ab sofort werden wir bei jeder Neuveröffentlichung gleich die vollständige GEMA-Lizenz zahlen müssen, und es stellt sich die Frage, ob wir solches Repertoire überhaupt noch ohne Sponsoring aufnehmen können. Wenn Sie überlegen, vielleicht die Patenschaft für eine Neuproduktion übernehmen zu wollen – fantastisch – in dem Fall rufen Sie mich gerne persönlich an!
Bis dahin ein wenig nachdenkliche, aber in jedem Fall
sehr herzliche Grüße
Werner Dabringhaus