
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute gehen wir in die Sommerpause – aber vorher gibt es noch Neuigkeiten aus Salzburg und Bayreuth, ein Statement zu Kassel – und die Engel singen noch einmal zum Tode von Wolfgang Rihm. Wenn Sie den Newsletter in Zukunft kostenlos geschickt bekommen wollen, melden Sie sich einfach hier an.
Hessens Minister rechtfertigt GMD in Kassel
Vorletzte Woche hatte ich versprochen, bei den Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern in Meiningen, Kassel, Bremerhaven, in Hessen und Thüringen nachzufragen, warum sie immer dann abtauchen, wenn es Krach an ihren Theatern gibt. Vorausgegangen war eine Reportage über Personaldebatten in den jeweiligen Städten. Vielleicht liegt es an den Sommerferien, dass die Antworten bislang nur spärlich eingehen: Schweigen von Meiningens Bürgermeister Fabian Giesder, der offenbar auch Interessen am Staatstheater von Jens Neundorff von Enzberg hat. Schweigen auch von Thüringens Staatssekretärin für Kultur, Tina Beer – trotz (oder wegen) Wahlkampf! Immerhin: Timon Gremmels, der Hessische Minister für Kultur antwortete prompt. Die Verpflichtung des neuen GMD Ainārs Rubiķis gegen den Willen des Orchesters rechtfertigt er durch die »musikalische Qualität« des designierten GMD. Außerdem sei Rubikis vom Orchester selber als Kandidat vorgeschlagen worden und habe in den ersten beiden Vordirigatsrunden jeweils einen Zustimmungswert von 90% erhalten. »In der Endrunde hatte er zwar geringere Zustimmungswerte, jedoch hatte das Orchester nur eine Stimme in der Findungskommission, die sich uneins war und sich nicht auf ein Votum für einen Kandidaten einigen konnte.« Zum schwelenden Konflikt zwischen Intendant Florian Lutzund dem Orchester erklärte Gremmels, dass ihm die Befriedung des Konflikts ein großes Anliegen sei. Das zeigten die bereits eingeleiteten Schritte wie das moderierte Dialogverfahren zwischen Intendant und Orchester sowie die Zukunftswerkstatt. Die gesamte Erklärung des Ministers ist hier nachzulesen. Den anderen Kulturpolitikern und Kulturpolitikerinnen treten wir in den Sommerferien weiter auf die Füße.
Bayreuther Symbolsprache
Diese Woche war ich bei den Bayreuther Festspielen, wo ich zunächst das Open Air mit Nathalie Stutzmann moderiert habe: Wie unendlich schön war der Moment des Innehaltens für die verstorbene Bayreuth-Legende Stephen Gould! Den feierte auch Tobias Kratzer in seinem Tannhäuser, indem er den Venus-Clan auf der Flucht vom Burger King einem Bild des Sängers zuprosten ließ. Erstmalig gab es bei diesem Video Szenenapplaus mitten in einer Bayreuth-Ouvertüre. Und noch ein Gefecht der letzten Tage wurde mit Symbolen ausgefochten: Claudia Roth hat offenbar verstanden, dass ihr Hänsel und Gretel– Vorschlag nicht nur einen Shitstorm auslöste, sondern einfach eine blöde Idee war. Auf dem roten Teppich reagierte sie nun mit Selbstironie und trug eine Kette mit Lebkuchenherz. Kratzer indes klebte ein kleines Plakat in sein Frau-Holle-Häuschen auf der Bühne: »Dr. Claudias Kasperltheater spielt Hänsel & Gretel. Bayreuth, 25. und 27. Juli, Festspielhaus«. So geht politische Kontroverse in der Kunst! Ach ja, und dann war da noch der Tristan von Thorleifur Örn Arnarsson, zu dem mir nur das hier einfiel. Der Freundeskreis Taff veranstaltet am 5. August übrigens einen Kino-Marathon für Stephen Gould: Nacheinander werden dann Tannhäuser und Tristan mit ihm gezeigt. Anmeldung hier.
Die Bayreuther Festspiele bei BackstageClassical
- Exklusives Podcast-Interview mit Katharina Wagner
- Premierenkritik Tristan und Isolde
- Podcast-Interview mit Catherine Foster
- Talk zum Tannhäuser und zur Hänsel & Gretel-Debatte mit Welt-Mann Peter Huth

Salzburger Symbolsprache
Ein wenig gestaunt habe ich über die Eröffnung der Salzburger Festspiele. Etwas naiv dünkte mir der Vortrag der US-Politologin und gebürtigen Sowjetbürgerin Nina Chruschtschowa, die in ihrer Rede davor warnte, russische Kultur zu canceln und erklärte, dass Kultur ein Ort der Verständigung sei. Abgesehen davon, dass in Österreich oder Deutschland überhaupt keine russische Kultur gecancelt wird, scheint hier doch der Aspekt zu fehlen, dass gerade in Zeiten des Krieges, Kultur (gerade für Vladimir Putin) auch Teil der Propaganda geworden ist. Und dass die Salzburger Festspiele, die einst sogar einen Gazprom-Vertrag abgeschlossen hatten, natürlich längst Spielball eben dieser Kultur-Propaganda geworden sind. Ebenso abenteuerlich erschien die Rede des Landeshauptmanns Wilfried Haslauer der erklärte »die Dämonen sind wieder da« und »wecken die Dämonen in uns« – ausgerechnet Haslauer hat allerdings die Dämonen der österreichischen Rechtspopulisten, der FPÖ, mit in die Regierung geholt. Vladimir Putin und der Ösi-Rechtsnationalist Herbert Kickl dürften zufrieden mit dieser Eröffnung der Festspiele von Intendant Markus Hinterhäuser gewesen sein, dem ich ja letzte Woche bereits meinen persönlichen Brief geschrieben hatte. Der Ukrainische Botschafter Vasyl Khymynets erklärte, es sei zutiefst befremdlich, dass der umstrittene russisch-griechische Dirigent Teodor Currentzis, der vom Putin-Regime gefördert würde, zum wiederholten Mal im Salzburger Festspielsommer zu Gast sei. »Wir sind in der Ukraine zutiefst enttäuscht, dass nach zweieinhalb Jahren Krieg und nach so vielen schrecklichen Angriffen immer noch Vertreter der russischen Ideologie eine Bühne bekommen.« Das sei eine Schande für eine freie Welt und nicht zu akzeptieren, so der Botschafter.
Abschied von Wolfgang Rihm

Wolfgang Rihm ist tot. Er ist mit 72 Jahren gestorben. So viele Erinnerungen werden wach. Die schönste habe ich an unser zweitägiges (sic!) Interview für die Zeitschrift Lettre. Wir haben uns damals in München getroffen – inklusive eines Abends an der Hotelbar des Palace Hotels, wo Rihm stets seine eigene Flasche Whisky hinter der Bar hatte. Er war ein Lustmensch, der auch der Musik wieder Lust einhauchte: Gedankliche Präzision und sinnliche Entdeckerfreude. Unter anderem haben wir uns damals über die Engel unterhalten. »Es gibt ein herrliches Bild von Lorenzo Lotto«, schwärmte Rihm damals. »Auf seiner Verkündigung stürzt vor lauter Schreck eine Figur aus dem Bild, und unten sträubt sich eine Katze. Der Engel verkörpert hier das Furchtbare, den Übermittler einer wie auch immer gearteten, unausweichlichen Botschaft. Dass die Engel taub sind, hat vielleicht auch mit unserem Künstler-Mythos zu tun. Man möchte, dass jemand, der etwas Unwiderstehliches von sich gibt, selbst nichts davon hat. Damit tröstet sich die zurückgebliebene Gruppe der Rezipienten, der Hörenden. Einem Künstler soll es schlecht gehen, er soll leiden, er muss krank sein, wenn er schon Schönes schafft. Und der Engel, der singt, wie niemand singen kann, darf nicht hören. Dass der Engel nicht hören kann, ist ein Trost für uns normale Menschen, und es hat den Vorteil, dass der Engel nicht überprüfen kann, was er mitteilt. Der Engel ist eine so überwältigende Erscheinung, weil er frei von Reflexion scheint. Ein Bote, der nicht fähig ist, etwas mit der Botschaft anzufangen, die er verbreitet. Der Engel ist ein Übermittler, eine Substanz, die sich erübrigt, wenn die Botschaft übermittelt ist.« – Wolfgang Rihms Botschaften klingen weiter. Hier das ganze XXL-Interview mit dem Komponisten.

Personalien der Woche
Der britische Star-Dirigent John Eliot Gardiner gibt im Zusammenhang mit Vorwürfen über eine Handgreiflichkeit gegenüber einem Sänger die Leitung der von ihm gegründeten Ensembles ab. »Nach langer Überlegung habe ich beschlossen, als Leiter und künstlerischer Direktor des Monteverdi-Chors und -Orchesters zurückzutreten«, teilte Gardiner mit. Der 81-Jährige war in die Kritik geraten, als bekannt wurde, dass er einen Sänger geohrfeigt hatte. +++ Der Komischen Oper Berlin droht das Aus der Sanierung seines Stammsitzes. Der ehemalige Intendant Barrie Kosky schlägt in einem offenen Brief Alarm.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: BackstageClassical gibt es nun seit knapp über drei Monaten – und wir sehen: Die neue Seite ist ein großer Erfolg. Regelmäßig haben wir knapp 30.000 Besucher auf der Seite (weitgehend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz), unsere Texte sorgen für Debatten und exklusive Nachrichten. Dank allen, die an dieser tollen Geschichte mitschreiben: Ganz besonders den Autorinnen und Autoren, die an den Journalismus in der Kultur glauben, den Leserinnen und Lesern und natürlich auch jenen, die BackstageClassical für Ihre Anzeigen nutzen! Wir werden uns nun in die Sommerpause verabschieden und uns bis Ende August nur sporadisch melden (der Newsletter pausiert bis 2. September).

Und was können Sie tun? Zum Beispiel können Sie unseren neuen Podcast hören und abonnieren (bei Spotify oder Apple Podcast), um keine Folge zu verpassen – hier finden Sie unter anderen Gespräche mit Barrie Kosky, Marie Jacquot, Oksana Lyniv, Katharina Wagner, Catherine Foster. Natürlich können Sie uns auch auf Facebook, X oder Instagram folgen, um keine Nachricht aus der Welt der Klassik zu verpassen (und um informiert zu werden, wenn unsere Pause zu Ende ist). Ans Herz lege ich Ihnen unsere Langstrecken mit Nikolaus Harnoncourt, Justus Frantz, Jakub Hrůša oder unsere Reportagen. Und natürlich freuen wir uns über Ihre Unterstützung: Sie können BackstageClassical und diesem Newsletter mit einer einmaligen oder regelmäßigen Spende helfen – in der Höhe, die Sie für richtig halten. Alle Spenden fließen direkt in Autorenhonorare. Hier geht es zur Spenden-Seite.
Ich hoffe, dass Sie Ihre Sommerferien genießen, wir haben schon großartige Ideen für die nächsten Schritte von BackstageClassical und wünschen Ihnen inspirierende und erholsame Urlaubstage.
Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann