Cholerische und übergriffige Intendanten sind ein strukturelles Problem schlechter Kulturpolitik. Das zeigen die Beispiele in Berlin, Kassel, Wiesbaden, Erfurt oder Meiningen
Dass sich Berichte über Führungsschwäche bei Intendantinnen und Intendanten häufen, zeigt auf der einen Seite ein neues Bewusstsein, dass Despotentum, Machtmissbrauch und Cholerikertum nicht länger hingenommen werden müssen. Gleichzeitig zeigt die große Zahl der Fälle und ihre Regelmäßigkeit aber auch, dass wir es nicht mit Einzelfällen zu tun haben, sondern mit einem strukturellen Problem und der grundsätzlichen Frage: Warum sind ausgerechnet unsere Theater zum Eldorado für Macho-Männer geworden? Und warum greifen hier nicht die ganz normalen Verhaltens-Kodizes, die in Wirtschaftsunternehmen Gang und Gäbe sind?
Theater sind besondere Orte. Hier arbeiten Menschen mit großem Emotions-Haushalt leidenschaftlich an gemeinsamen Ergebnissen. Körperliche Nähe ist eine Grundvoraussetzung, Stress allgegenwärtig. Aber das sind keine Gründe für Übergriffe oder Arschloch-Verhalten. Immerhin sind Kultureinrichtungen in der Regel auch staatliche Institutionen, werden von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern finanziert und sind damit scharfen Kontrollmechanismen unterworfen. An vielen Orten gehören die Theater zu den größten Arbeitgebern und werden von den Städten, den Bundesländern oder gar von beiden gemeinsam getragen. Um so erstaunlicher ist, dass hier – unter dem Schutz des Staates – so oft Willkür zu herrschen scheint. Könnte es sein, dass ausgerechnet die staatliche Verantwortung die Hofstaat-Mentalität fördert? Auf jeden Fall ist es auffällig, dass ausgerechnet die Kulturpolitik immer dann versagt oder abtaucht, wenn es an Kultureinrichtungen brenzlich wird.
Beispiel Berlin
Beispiele gibt es viele. Wir erinnern uns an die Berichterstattung über das Verhalten von Daniel Barenboim in Berlin: Nachweislich wurden hier Musikerinnen und Musiker erniedrigt, und es herrschte ein Klima der Angst. Aber der damalige Kultursenator, Klaus Lederer, moderierte den Konflikt einfach weg. Es wurden Mediationen angesetzt, die zum großen Teil gar nicht besucht wurden, und so wuchs Gras über die Sache. Am Ende wurde Barenboims Vertrag verlängert. Sein Name schien zu groß, als dass die Politik den Mut hatte, sein Fehlverhalten auch zu ahnden.

Beispiel Erfurt
Überhaupt stellen wir oft eine Verquickung von Lokal- oder Kulturpolitik und ihren Intendanten fest. So war es wohl auch im Fall Guy Montavon in Erfurt. Bis zum Ende hielt Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein an seinem Intendanten fest, obwohl Vorwürfe, die lange hinter vorgehaltener Hand getuschelt wurden, nun auch von der Frauenbeauftragten offiziell angeklagt wurden. Ob die Bürgermeister-Treue auch damit zu tun hatte, dass Montavon Bausewein gern Mal auf eine Dienstreise nach Monte Carlo mitgenommen hat, um dort Anna Netrebko zu sehen? Es ist auf jeden Fall auffällig, dass Kulturpolitiker oft mehr als bloße Dienstherren ihrer Intendanten sind.
Beispiel Meiningen
In Meiningen steht Intendant Jens Neundorff von Enzberg in der Kritik. Auch er soll übergriffig geworden sein, aus dem Ensemble heraus wird ihm ein inakzeptabler Umgangston vorgeworfen und eine schwierige Personalpolitik. Unter anderem verantwortlich für das Theater ist Bürgermeister Fabian Giesder – er ist mit einer Schauspielerin leiert, die neuerdings auch mit eigenen Projekten im Spielplan auftaucht. Gegenüber den Protestbriefen aus dem Ensemble zeigte sich der Bürgermeister überrascht, aber am Ende auch handzahm: Man prüfe und schaue, hieß es – und werde gemeinsam weiter sehen. Nun sind erst einmal Spielzeitferien. Konsequenzen für den Intendanten sind bislang nicht bekannt. Giesder hat den Vertrag von Neundorff von Enzberg bereits letztes Jahr vorzeitig und ohne Not bis 2031 verlängert. Und auch die Staatssekretärin für Kultur, Tina Beer, scheint im Handeln eher zurückhaltend zu sein und zeigt sich von den Vorwürfen überrascht. Beer selber stand kürzlich unter Beschuss, nachdem sie zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt wurde, was sogar Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach sich zog.
Beispiel Wiesbaden
Eher Spielball des Intendanten als Akteure waren auch die Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker des Landes Hessen. Die ehemalige Kulturministerin Angela Dorn ließ sich Jahrelang vom Intendanten des Staatstheaters Wiesbaden, Uwe Eric Laufenberg, vorführen. Egal, ob in Corona-Zeiten oder als es um Gastspiele von Anna Netrebko ging. Dorn drohte, aber agierte nicht – und das schien Laufenberg noch mehr anzustacheln. Dabei wurden auch in Wiesbaden die Hilfeschreie aus dem Ensemble immer lauter. GMD Patrick Lange hatte aus Frust bereits das Haus verlassen. Doch erst Dorns Nachfolger, Timon Gremmels, suchte das erneute Gespräch mit Laufenberg – und der erklärte endlich seinen Rücktritt.
Beispiel Kassel
Genau dieser Timon Gremmels spielt nun auch eine entscheidende Rolle am Staatstheater Kassel. Hier ist es kein Geheimnis, dass Oberbürgermeister Sven Schoeller sehr gut mit dem Intendanten Florian Lutz kann und ihn auch dann stützte, als das Orchester bei ihm vorstellig wurde und sich gegen Lutz‘ Vertragsverlängerung ausgesprochen hatte. Gemeinsam mit Gremmels verlängerte Schoeller den Vertrag dennoch und ordnete – zur allgemeinen Beruhigung – Mediationen an. Doch den Versuch, ein besseres Betriebsklima zu schaffen, zerstörten Gremmels und Schoeller nur wenige Wochen später wieder, als sie den Dirigenten Ainars Rubikus als Nachfolger des im Orchester beliebten Francesco Angelico ernannten – ebenfalls gegen das Votum der Musikerinnen und Musiker. Eine Entscheidung, mit der die Kulturpolitik in Hessen und Kassel jede Hoffnung auf eine Entspannung am Hause zunichte machte.
Beispiel Köln
Eigentlich sollte es die Aufgabe von Kulturpolitik sein, sichere Arbeitsverhältnisse in ihren staatlich finanzierten Ensembles zu garantieren. Doch genau das scheint sie immer wieder zu versäumen. So erklärte die Stadt Köln zwar, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Chefdirigenten des Gürzenich Orchesters, François-Xavier Roth, beende. Dem Dirigenten wurde vorgeworfen, übergriffige Textnachrichten verschickt zu haben. Trotzdem zahlt die Stadt ihm nun eine deftige Abfindung, und die Aufarbeitung seiner Verfehlungen wurde ebenfalls beendet, da nun kein Dienstverhältnis mehr bestehe. Wird jemals herauskommen, was und wie viel der geschäftsführende Direktor des Orchesters, Stefan Englert, von den Vorwürfen wusste?
Es ist gut, dass immer mehr Ensembles den Mut haben, Missstände öffentlich anzuklagen. In der Regel tun sie das – aus Angst vor Konsequenzen – anonym gegenüber den Medien. Auch deshalb, weil das Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Kulturpolitik nicht mehr gegeben ist. Dabei sind Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker gerade jetzt gefragt, an der Seite ihrer Angestellten zu stehen. Sie müssen ihre Aufgabe als Trägerinnen der Institutionen wahrnehmen und im Sinne aller Steuerzahler handeln, indem ihre staatlichen Betriebe sowohl Sicherheit für ihre Mitarbeitenden garantieren als auch ein akzeptables, zwischenmenschliches Betriebsklima. Es mag sein, dass Kulturpolitiker schnell zu Freunden der Intendanzen werden – aber die Freundschaft muss ein Ende haben, wenn es um den Ruf unserer Theater geht.