Trist, lahm und Isolde

Juli 25, 2024
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Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen (Foto: Bayreuther Festspiele, Nawrath)

Premiere bei den Bayreuther Festspielen: Bei Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson begeht Tristan Suizid auf einem Kultur-Schrottplatz. Semyon Bychkow tut sich schwer mit der Festspiel-Akustik.  

Prolog im Caféhaus. Am Vormittag der Premiere habe ich noch einen schnellen Kaffee mit dem Tristan-Regisseur gegenüber von Haus Wahnfried getrunken. Der Besitzer des Cafés erkannte Thorleifur Örn Arnarsson sofort – trotz des legeren, orangefarbenen T-Shirts und der Sonnenbrille. »Das wird ein Erfolg heute«, rief der Mann von Café, »Ihr Name wandert schon durch die Stadt.« Der Caféhausbesitzer hat nämlich einen Festspielgast in seinem Appartement, einen Doktor, und der sei sicher, dass jetzt alles besser würde in Bayreuth. Der Doktor habe gesagt, dass die Festspiele mit diesem Regisseur wieder so erfolgreich würden wie in den 60er Jahren.

Thorleifur wusste nicht genau, was er sagen sollte. Er steckte sich vorsichtshalber noch ein Kautabak unter die Oberlippe und lächelte freundlich. Wahrscheinlich hatte er geahnt, dass der Caféhausbesitzer sein Lob unabsichtlich aus Brangänes Giftschrank geholt hatte, dass es so viel bedeutete wie: Es gibt wieder einen Regisseur in Bayreuth, der die Sängerinnen und Sänger nicht beim Singen stört. Eben: Kein Castorf, kein Kratzer, kein Schwarz! 

Zwischen dem Caféhausbesuch und jetzt liegen 11 Stunden, und in gewisser Weise hat der Doktor vielleicht Recht behalten. Den Abend könnte man nämlich auch so zusammenfassen: Selten fühlte sich ein Tristan bei den Bayreuther Festspielen länger an als dieser. Und selten leerte sich das Festspielhaus schneller als heute. Ob es daran lag, dass Roberto Blanco, Markus Blume, Claudia Roth, Markus Söder und (ja!) Martha Argerich möglichst schnell zum Staatsempfang wollten? Oder daran, dass man froh war, dass dieser Abend nicht noch länger dauerte? – Ich weiß es nicht!

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Vielleicht war das, was zwischen dem Caféhausbesuch und dem Schlussapplaus der Tristan-Premiere passierte auch einfach nur der praktische Beweis, dass eine kluge Idee noch lange keine spannende Inszenierung auf die Bühne stellt. 

Was hat mir Thorleifur alles vorgeschwärmt von seinem Tristan. Ein Mann, der in der Rolle des Ritters und Helden feststeckt. Isolde wird derweil als »Heiratsmasse« behandelt, glaubt aber an die große Liebe. Der Schlüssel zu Thorleifurs Tristan ist Wagners Vorgeschichte: Als Isolde den hilflosen und verletzten Helden am Strand findet, begegnen sich die beiden in Hilflosigkeit und ohne gesellschaftlich definierte Rollen. Isolde päppelte Tristan wochenlang auf, und die beiden lernen einander lieben. Thorleifurs große Frage ist, warum Tristan seine Isolde später trotzdem auf dem Schiff zur Vermählung mit König Marke bringt. Die Antwort gibt er beim zweiten Espresso selber: Weil Tristan daran zerbricht, dass er die Liebe zwar kennengelernt, aber nicht erneut leben kann. Er bleibt ein treuer Ritter und verzweifelt gleichzeitig daran, dass er nicht aus seiner Heldenrolle ausbrechen kann. Deshalb ist Thorleifurs Tristan depressiv. Deshalb wird er nicht erstochen, sondern schluckt – freiwillig – den Todestrank. Deshalb will diese Tristan einfach nur sterben. 

Am Ende des Abends frage ich mich, warum ich Thorleifurs klugen Gedanken – obwohl ich sie kannte – nicht auf der Bühne finden konnte. Klar, da war seine Isolde, die ihre Lebens- und Liebeserfahungen manisch auf ein endloses Brautkleid notierte. Klar, da war das Bühnenbild: Die Taue eines Schiffes im ersten Aufzug (der leere Raum aus dem sich alles entwickelt), ein mit Kultur-Devotionalien (Statuen, Engeln, Bildern) vollgerümpeltes Schiff im zweiten Aufzug – und am Ende wartet Tristan auf einem Schrottplatz der Zivilisation auf Isolde und seinen Tod. Das dystopische Bühnenbild von Vytautas Narbutas ist hübsch illuminiert, aber die Sänger bewegen sich darin scheinbar im Freistil. 

Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen (Foto: Bayreuther Festspiele, Nawrath)

Im Zweifel wuppt jemand wie Andreas Schager natürlich jeden Abend im Alleingang. So auch diesen: Tenor-Lächeln einschalten, Mund auf und eiserne Gold-Töne raushauen (die im dritten Aufzug nach einem Verschlucker etwas kratziger klingen). Dieser Tenor ist echt ein Phänomen, eine Stimme ohne Nerven. Immer mehr sucht Schager auch die lyrischen Momente, zähmt zuweilen seinen Tiger im Vokal-Tank – und das steht ihm gut. 

Aber nun sind wir schon beim zweiten Problem des Abends: Der Dirigent Semyon Bychkow macht es den Sängerinnen und Sängern wirklich nicht leicht. Zum einen, weil er Tempi wählt, die zum Teil so langsam sind, dass ihm einzelne Bögen unter den Händen auseinanderbröckeln. Das macht es gerade für einen lyrisch geprägten Sopran wie jenen von Camilla Nylund nicht immer leicht. Bychkow bietet ihr einfach keinen Atem an. Aber Nylund ist erfahren genug, um ihr eigenes Tempo und ihr eigenes Volumen beizubehalten. Doch das passiert das zum Teil auf Kosten der musikalischen Stabilität. Bychkow wäre gut beraten, mehr Rücksicht auf seine Stimmen zu nehmen, sowohl in den Tempi als auch in seinen vollkommnen variablen – und oft extremen – Lautstärke-Gestaltungen. Vielleicht har er seinen Tristan eher symphonisch gedacht, ein  Ansatz, der sich der Akustik des Festspielhauses allerdings verweigert   

Besonders hat Günther Groissböck als König Marke darunter gelitten. Im zweiten Aufzug konnte man seiner Stimme bei der Auflösung zuhören. Groissböck, der in den sozialen Medien immer wieder Entspannungsgesänge mit Rammstein-Liedern aus dem Festspielhaus gepostet hat, hörte sich streckenweise tatsächlich eher wie ein Background-Vokal von Till Lindemann an (im dritten Aufzug hat Groisböck sich  dann wieder etwas gefangen). Nicht aus dem Konzept ließen sich  Olafur Sigurdason als Kurwenal und Christa Mayer als Brangäne bringen. Aber auch sie standen (oder saßen) bei Thorleifur Örn Arnarsson ebenfalls sehr oft sehr unmotiviert in der Gegend herum.

Am Ende lagen die üblichen Toten auf Tristans Schrottplatz (Kurwenal überlebt hier). Das Publikum feierte die Sängerinnen und Sänger, applaudierte auch für den Dirigenten. Allein Thorleifur Örn Arnarsson und sein Team mussten auch mit Buhs leben. Vielleicht sollte ich nächstes Mal nicht mit dem Regisseur am Premierentag Kaffee trinken, sondern einen Schnaps mit ihm nach der Premiere – das wäre vielleicht nötiger.

★★☆☆☆

Transparenzhinweis: Axel Brüggemann moderiert die Open-Airs für die Bayreuther Festspiele                           

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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