Der Elon Musk der Klassik und andere Machtkämpfe

November 11, 2024
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Sweatshirt mit der FAZ-Überschrift zu Sancta (Foto: Facebook, Staatsoper)

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

bietet uns wenigstens die Klassik in dieser verrückten Zeit Stabilität? Oder spielt auch die Welt der Musik gerade verrückt? Heute geht es um Trumps Mann bei Steinway, um Misstöne in der Freiburger Kirchenmusik, um offenen Zoff in einem Opernfoyer und um einen ausführlichen Dirigenten-Vergleich.  

Der Elon Musk der Klassik

Steinway-Besitzer John Paulson (Foto: YouTube)

Was für eine verrückte Woche! Mit dem klaren Sieg von Donald Trump steht die Kultur in den USA vor neuen Herausforderungen: Unliebsame Bücher in öffentlichen Bibliotheken werden aussortiert, und in einigen republikanischen Staaten wie Florida ist die (eh geringe) staatliche Kulturunterstützung bereits ganz gestrichen.  An der Seite von Wahlsieger Trump bringt sich derweil eine Art Elon Musk der Klassik in Stellung: John Paulson ist der aussichtsreichste Kandidat als neuer Wirtschaftsminister in Trumps großer, neuer USA. Er ist nicht nur milliardenschwerer Hedgefonds-Manager, der in der Bankenkrise 2007 zu Reichtum kam, sondern auch Besitzer des Klavierbauers Steinway. Bei nur einem Dinner hat Paulson 50 Millionen Euro für Trump eingesammelt. Ebenso wie der gewählte Präsident setzt er sich für radikale Steuersenkungen ein –  besonders für Spitzenverdiener und Unternehmen. Paulson ist für die Abschaffung von Subventionen, wettert gegen erneuerbare Energien und setzt auf eine fossile Zukunft. Muss man nun nicht nur mit Twitter und Tesla hadern, sondern auch noch mit Steinway?

Misstöne in der Freiburger Kirchenmusik

Musik-Eklat am Freiburger Münster: Domprobst Weihbischof Peter Birkhofer hat den Freiburger Domkapellmeister Boris Böhmann ohne Angabe von Gründen entlassen. Dagegen regt sich nun öffentlicher Protest. Prominente Musikerinnen und Musiker kritisieren die Entscheidung scharf, unter ihnen die Sänger Georg Zeppenfeld, Wolfgang Newerla, Clemens Bieber, Christian Elsner und Hanno Müller-Brachmann. »Dem Domkapitel fehlt offenbar jeder Sinn für Anstand, geschweige denn das Interesse an einem christlichen Miteinander«, schreiben sie, »das Kapitel verspielt gerade den letzten Rest an Glaubwürdigkeit, den es noch hatte.« Die ganze Geschichte hier.

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Zur Situation von Musiklehrerinnen und Musiklehrern in Deutschland 

Das Thema »Bezahlung von Musiklehrern« begleitet uns seit meines — zugegeben — etwas provokanten Textes »Meckert nicht so elendig«. Aber BackstageClassical versteht sich als Debatten-Forum, und hier kommt die Gegenmeinung: Die Pianistin und Dozentin Shoko Kuroe hat einen ausführlichen Text zum Thema geschrieben und die Situation noch einmal klug und genau auseinander dividiert. »Es wäre gut, wenn die Rahmenbedingungen unterschiedliche Konzepte zulassen würden, die zu den jeweiligen Musikpädagogen und Schülern passen«, schlägt sie vor. In einem weiteren Zwischenruf erklärt Jürgen Grimm von der Folkwang Universität in Essen: »Natürlich ist auch der Spagat zwischen Spielen und Unterrichten manchmal herausfordernd (…), das ist aber ganz normales Selbstmanagement, das auch jeder andere Selbständige zu leisten hat.« Beide Beiträge sind ausführlich nachzulesen hier.       

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Jubel und Frust in Stuttgart

Sweatshirt mit der FAZ-Überschrift zu Sancta (Foto: Facebook, Staatsoper)

Stuttgart sortiert sich neu! Der australische Dirigent Nicholas Carter wird der neue Meister: Ab der Saison 2026/27 tritt er das Amt des Generalmusikdirektors der Staatsoper Stuttgart und des Staatsorchesters Stuttgart an und löst damit Cornelius Meister ab. Ungemach droht derweil beim Opern-Umbau: Zwischen 1,5 und 2 Milliarden Euro könnte die geplante Sanierung des Stuttgarter Opernhauses kosten – das haben neue Recherchen des SWR ergeben. Bisher war in der Öffentlichkeit immer die Rede von einer Milliarde Euro. Zudem könnte das Bauvorhaben nach neuesten Erkenntnissen erst im Jahr 2044 fertig werden – vier Jahre später als geplant. Wir hatten letzte Woche bereits die Giga-Baukosten von Köln bis Berlin aufgedröselt. Carters Vorfreude mindert das indes nicht: »Die Tiefe und Fülle des Orchesterklangs hat mich sofort beeindruckt«, sagt er, »seine Flexibilität und die Reaktionsfähigkeit während der Aufführungen haben mich schnell davon überzeugt, dass wir eine bereichernde musikalische Partnerschaft eingehen können, auf die ich mich sehr freue.« Ach ja, in der neuen Folge von »Alles klar, Klassik?« haben wir eine Bitte an Intendant Viktor Schoner, der in einem älteren BackstageClassical-Podcast über die Rolle von Intendanten und Dirigenten übrigens auch selber zu Wort kommt.

Dubai ohne Frantz und mit Domingo?

Uhps, was ist denn nun passiert? Über Nacht hat sich das Plakat zum Opernball in Dubai verändert. Der Kulturmanager und Putin-Freund Hans-Joachim Frey hatte einst mit Justus Frantz und dessen Philharmonie der Nationen geplant – inzwischen steht aber das Johann Strauss Festival Orchester mit Dimitri Jurowski auf dem offiziellen Ankündigungs-Poster. Weiterhin angekündigt werden: Placido Domingo und Sonya Yoncheva. Außerdem verweist das Plakat auf eine »Colaboration with Dresden Opera Ball«. Hier noch Mal zur Erinnerung die Zusammenhänge zu Freys St. Petersburger Ball.

Mit einem Klick auf Alban Bergs Schreibtisch

3.000 Bücher, Notenbände und Zeitschriften von Alban Berg wurden von der Alban Berg-Stiftung digitalisiert – und stehen ab sofort der Öffentlichkeit zur Verfügung. Ein Rundgang durch das Leben von Alban Berg und seiner Frau Helene. Besonders spannend sind die 1.885 Digitalisate, einschließlich einer Reihe von Alltagsobjekten als Fotografie und 3D-Scan – so als würden sie noch auf dem Schreibtisch des Komponisten liegen.  

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Machtkampf im Foyer

Wir haben den Zoff an der Oper Bremerhaven ausführlich begleitet: Orchester und Intendant Lars Tietje stehen einander hier unversöhnlich gegenüber. Nun verschiebt sich der Machtkampf in das Foyer: Während der Vorstellungen legt das Orchester neuerdings eine Unterschriftenliste mit dem Titel #ZukunftsmusikBremerhaven aus. Es geht darum, den Oberbürgermeister aufzufordern, sicherzustellen, dass der zukünftige GMD in der Theaterleitung bleibt, dass das laufende GMD-Auswahlverfahren sofort gestoppt wird, dass die GMD-Position neu ausgeschrieben wird und dass kein neuer GMD gegen das Votum des Orchesters eingestellt wird. Ebenfalls mit einem Aushang im Foyer reagiert der Intendant und schreibt seinem Publikum: »Das Auswahlverfahren ist umfangreicher als bei den Verfahren 1999 und 2012, und die Jury ist fachkompetenter besetzt (…) Nun werden drei Kandidaten Opern-Vorstellungen dirigieren. (…) Die Orchestermitglieder werden im Besetzungsverfahren deutlich über die tariflichen Regelungen beteiligt.« Mehr zu alldem hier.  

Personalien der Woche

Entspannt sich die Spar-Situation in Berlin zumindest in dieser Sparrunde? Derzeit stehen noch 10-Prozent-Kürzungen in allen Kultur-Etats zur Debatte. Die Opernstiftung der Hauptstadt verfügt aber über Rücklagen aus der Pandemie – von 27 Millionen Euro ist die Rede. Wird Joe Chialo einen Teil davon zur Überbrückung der Krise freigeben? +++ BackstageClassical hatte sie bereits vor einem Monat als aussichtsreichste Kandidatin gehandelt – nun ist Johanna Möslinger als interimistische künstlerische Geschäftsführerin des Brucknerhauses Linz vorgestellt worden. Eine gute Wahl – endlich geht es in Linz Mal wieder um die Musik! +++ Die russische Kulturwissenschaftlerin und Menschenrechtsaktivistin Irina Scherbakowa, Mitgründerin der mittlerweile in Russland aufgelösten Organisation Memorial und Friedensnobelpreisträgerin von 2022, warnte eindringlich vor der Lage politischer Gefangener in Russland. Zu den Inhaftierten zählen auch zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, die häufig Isolation und Folter ausgesetzt seien.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier, wenn man leidenschaftlich über Musik streiten kann! Letzte Woche gaben sich Teodor Currentzis, Vladimir Jurowski und Simon Rattle in München die Klinke in die Hand. Der Komponist und Autor Alexander Strauch hat sich alle Konzerte angeschaut und sich Gedanken über die Qualitäten der drei Dirigenten gemacht – und einen Vergleich gewagt. Herausgekommen ist ein spannender Text und ein Podcast, in dem wir das in die Tiefe besprechen. Viel Spaß dabei.

Hier geht es zum Podcast

Und wenn Sie noch mehr hören wollen: Auch diese Woche plaudere ich wieder mit Dorothea Gregor über die vergangene Klassik-Woche. Dieses Mal geht es unter anderem um Currywurst und Klassik.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.

Ihr 

Axel Brüggemann 

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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