Die Pianistin und Dozentin Shoko Kuroe über die Realität der musikalischen Lehre und ihrer Bezahlung in Deutschland.
In einem Essay über Einsparungen im Kulturbereich hat BackstageClassical-Herausgeber Axel Brüggemann unter anderem eine Pressemitteilung des Musikrates kritisiert, in der das Durchschnittseinkommen eines Musiklehrers auf 14.650 Euro berechnet wurde. Shoko Kuroe ist Pianistin und Dozentin – und antwortet in einem eigenen Essay.
In seinem Artikel »Meckert nicht so elendig« hat Axel Brüggemann an dieser Stelle den klagenden Tenor des Deutschen Musikrats in seiner Pressemeldung über die Honorare von Musikpädagoginnen und Musikpädagogen kritisiert. Ich stimme dem Autoren zu, dass Wehklagen selten zur gewünschten Solidarität führt, gleichzeitig bin ich aber auch verwundert über die Argumentationslinien beider Seiten.
Bevor ich meine Gedanken sortiere, vielleicht kurz zu mir: Ich unterrichte derzeit privat. Mein Stundenhonorar ist höher als das von Axel Brüggemann beim fiktiven Beispielmusiklehrer angenommene Honorar von 40 Euro. Meine Stundenzahl ist indes niedriger, denn ich halte ein paar Tage unterrichtsfrei, damit ich für die Schülerinnen und Schüler möglichst regelmäßig da sein und trotzdem auch für Proben und Konzerte wegfahren kann. Meine jüngste Schülerin ist fünf, der älteste Schüler 85. Von »das C auf dem Klavier finden« bis Goldberg-Variationen auf Konzertniveau ist alles dabei. Meine Unterrichtstätigkeit ist mir wichtig, zumal sie für mich einen Reflexionsraum und eine bodenständige Ergänzung zum eigenen Üben und Konzertieren bedeutet.
Grundsätzlich deckt Musikpädagogik mehrere Bereiche ab: Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen, außerschulischer Musikunterricht (z.B. Instrumentalunterricht an städtischen und freien Musikschulen sowie im Privatunterricht) und die Berufsausbildung (z.B. Musikhochschule). Zweifellos sind die verbeamteten Lehrerinnen und Leher an allgemeinbildenden Schulen finanziell relativ gut abgesichert – nebst verbeamteten Professoren an Musikhochschulen, diese werden aber selten unter Musikpädagogen subsumiert. Der Deutsche Musikrat nennt in seiner Pressemitteilung 14.650 Euro als mittleres Bruttoeinkommen von Musikpädagogen. Diese Zahl bezieht sich wohl nur auf die freiberuflichen Musikpädagogen (Privatunterricht, Honorarkräfte, Lehrbeauftragte) und inkludiert auch diejenigen mit wenigen Stunden.
Die Gründe, nicht Vollzeit zu unterrichten, sind vielfältig. Manche treten aus familiären Gründen zeitweilig kürzer, denn außerschulischer Musikunterricht passiert genau dann, wenn die eigenen Kinder aus der Schule kommen. Manchen ist die Vereinbarkeit mit ihrer Konzerttätigkeit wichtig. Andere würden gern mehr unterrichten, finden aber nicht mehr Schüler oder sind durch ihre Verträge eingeschränkt.
Musikunterricht für Schüler
Der fiktive freischaffende Beispielmusiklehrer im Artikel von Axel Brüggemann, der für 40 Euro die Stunde, fünf Stunden am Tag, fünf Mal die Woche für 40 Wochen im Jahr unterrichtet (2 Monate Urlaub hat der Lehrer nur, wenn alle Schüler zur gleichen Zeit Ferien haben) und auf 40.000 Euro pro Jahr kommt, zeichnet das Bild eines Vollblutpädagogen, der nur fürs Unterrichten lebt.
Die Praxis sieht oft anders aus: Mit 25 Wochenstunden ist ein Lehrer rechnerisch in Teilzeit, mit seinem Stundenhonorar bekennt er sich zur Breitenmusik. In diesem Segment werden in der Regel eher 30 Minuten Unterricht gebucht statt eine Stunde. Das bedeutet, dass dieser Lehrer 50 Schüler betreuen müsste (bei 45 Minuten wären es immer noch 33 Schüler). Dafür muss er seinen Stundenplan allerdings so organisieren, dass die zehn Schüler pro Tag möglichst lückenlos hintereinander kommen. Auch das ist in der Praxis nur schwer zu organisieren.
Dieser Lehrer unterrichtet vielleicht von 15 bis 20 Uhr – viel Spielraum hat er nicht. Denn vorher ist Schule, hinterher Bettzeit für Kinder. Damit der Stundenplan funktioniert, braucht er einen festen Unterrichtsraum (Kosten!). Überhaupt muss er 50 Schüler haben, die sich so organisieren lassen und in seinem Einzugsgebiet wohnen. Ersatztermine oder Überziehen sind nicht möglich, und sobald die Fußballtrainingszeiten der Kinder sich ändern, darf er nochmal neu planen. Er muss drauf achten, dass der Unterricht trotzdem nicht zur Fließbandarbeit wird. Mit Büroarbeit und Vorbereitung hat er de facto einen Vollzeitjob.
Leserbrief zum Thema von Jürgen Grimm:
(…) Ja, das freiberufliche Los eines Musikers kann hart sein. Und viele sind auf zusätzliche Einkommensquellen angewiesen. Zu einer erfolgreichen selbständigen Tätigkeit gehört nicht nur Können, sondern wie in anderen Bereichen auch Akquise, Werbung, Mund- zu Mundpropaganda und vieles mehr. Ich habe viele Kollegen und Kolleginnen, die natürlich gut von ihrer Tätigkeit leben, vor allem auch, weil sie breit aufgestellt sind, in etlichen Gebieten hohe Expertise haben und auch gerne noch unterrichten. Auch bei allen anderen selbständigen Tätigkeiten kommt es genau auf diese Qualitäten an. Natürlich ist auch der Spagat zwischen Spielen und Unterrichten manchmal herausfordernd (und wird im Zweifelsfall von Privatunterricht besser abzudecken sein als durch eine feste Stelle an der Musikschule, die dann aber einzelne Tage blockiert), das ist aber ganz normales Selbstmanagement, das auch jede/r andere Selbständige zu leisten hat.
Und wenn es dann trotz allem nicht zum Leben reicht, dann war es einfach oft auch die falsche Berufswahl. Auch das kommt vor. Das implizierte »Alleinstellungsmerkmal« der Künstler stört mich dann doch etwas. Ein KFZ-Mechaniker, der seine Werkstatt schliessen muss, weil ihm die Kundschaft wegbleibt oder weil er einfach schlechtere Leistungen anbietet als die fünf anderen in der Stadt hat die selbe Situation. Die Fahrradwerkstatt oder der Installateur auch. Da wird dann ja auch nicht die Systemfrage gestellt. (Jürgen Grimm ist Professor an der Folkwang Universität)
Wenn dieser fiktive Beispielmusiklehrer als Honorarkraft einer Musikschule arbeitet und 40 Euro pro Stunde ausbezahlt bekommt, ohne dass er sich um die Schülerakquise, Stundenplanorganisation, Rechnungen und Raumkosten selber kümmern muss, wird der Endpreis (Unterrichtsgebühr) für Schülerinnen und Schüler höher liegen – es sei denn, die Musikschule wird öffentlich getragen oder subventioniert.
Oft wird eine Honorarlehrkraft daher abhängig von der Auftragslage für weniger Stunden und weniger Stundenhonorar engagiert. Sie muss sich mit einer Patchwork-Woche arrangieren: ein Nachmittag hier, ein Nachmittag dort.
Lehrende an Musikhochschulen
Lehrbeauftragte an Musikhochschulen sind meist für die grundständigen Nebenfächer zuständig – fahren bisweilen für ein paar Stunden Unterricht weite Strecken. Mit der Tätigkeit haben sie zwar Kontakt zum Hochschulbetrieb, weswegen die Tätigkeit gern angestrebt wird, sie sind aber sozial genau so wenig abgesichert wie Honorarkräfte an Musikschulen.
Diese Planungsunsicherheit schürt Zukunftsangst. Honorarverträge sind letztendlich ein Konstrukt, um das unternehmerische Risiko der Musikschule auf die Lehrkräfte umzuverteilen, und um die gesellschaftliche Kosten für die musikalische Bildung im Rahmen zu halten. In dieser Situation ist es absolut nachvollziehbar und legitim, dass Musiklehrkräfte sich mehr Wertschätzung wünschen, auch in Form einer unbefristeter Anstellung oder Honorarerhöhung.
Nur stößt man bei der Preisgestaltung für den Musikunterricht auf ein Dilemma: Die Lehrkraft möchte ein ihrer Qualifikation entsprechendes Honorar, welches ihre Existenz sichert. Aus ihrer Perspektive muss sich ihre Ausbildung auszahlen, die ja viel früher begonnen hat als das Musikstudium. Denn zum Studium wird man nur zugelassen, wenn man bereits sein Hauptinstrument auf einem hohen Niveau beherrscht.
Das Preis-Leistungs-Paradoxon
Aus der Sicht des Schülers muss aber das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen. Musikalische Bildung bedeutet eine regelmäßige Verpflichtung über Jahre hinweg. Es geht hierbei nicht nur um das wichtige Thema der Chancengleichheit für Kinder aus sozial schwachen oder bildungsfernen Familien, auch bei gut verdienenden, interessierten Familien ist der Musikunterricht oft zwar eine wichtige aber eben nur eine Aktivität unter vielen. Der Musikunterricht muss stressfrei in die Alltagsgestaltung integrierbar sein.
Doch die Qualität und die Intensität des Unterrichts hängt nicht nur vom Lehrer ab, sondern auch davon, was der Schüler daraus macht: Während ein Schüler, der ein großes Stück spielt, gut vorbereitet in die Unterrichtsstunde kommt und das Gefühl hat, dass er vom Unterricht sehr profitiert und auch ein 87 Euro Honorar als eine lohnende Investition erleben kann, wird ein anderer Schüler, der bei demselben Lehrer seit fünf Wochen ein achttaktiges Stück aus der Klavierschule spielt, weil er zu Hause wenig übt, das gleiche Honorar als überteuert empfinden.
Auch letztere Schüler haben natürlich Anspruch auf einen Musikunterricht, der auf die jeweiligen Bedürfnisse und Fähigkeiten eingeht und Freude an der Musik vermittelt. Das ist zeitgemäße musikalische Bildung in der Breite. Gerade hier zeigt sich aber bisweilen die Diskrepanz zwischen der Qualifikation der Lehrkraft und ihrer tatsächlichen Tätigkeit.
Eingehen auf die Möglichkeiten
Ich argumentiere hier nicht dafür, dass man bei weniger leistungsfähigen Schülerinnen und Schülern auf unqualifizierte Lehrkräfte setzen sollte, um die Bildungskosten zu senken – im Gegenteil. Es sollte auch nicht um Konkurrenz zwischen Lehrkräften gehen, sondern um Schaffung von Synergien. Die Ausbildungs- und Qualifizierungswege der musikpädagogisch Tätigen sind vielfältig und jeder Musikpädagoge hat seine Stärke. Es wäre gut, wenn die Rahmenbedingungen unterschiedliche Konzepte zulassen würden, die zu den jeweiligen Musikpädagogen und Schülern passen.
Beim Unterrichten geht es mir persönlich nicht um mich oder um große gesellschaftliche Themen, sondern darum, einen guten, geschützten Entwicklungsraum für die Schüler zu schaffen und ihnen künstlerische Impulse zu geben. Ja, das Einkommen könnte besser sein. Die Schüler geben mir aber auch sehr viel zurück.
Musikpädagogik ist eine lohnende Aufgabe für Musikerinnen und Musiker. Es ist wichtig, das Wissen und die kulturelle Tradition an die nächste Generation weiterzugeben. Aus neurowissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass Menschen, die selber aktiv musizieren, auch beim passiven Hören die Musik anders wahrnehmen als Musikgenießer ohne musikalische Bildung.