Egal, ob die Berliner Kulturszene, die Orchestervertretung UNISONO oder der Deutsche Musikrat. Schlechtgelauntes Mahnen steigert die Akzeptanz für Musik in der Öffentlichkeit nicht. Es müssen klügere Konzepte her.
Der Beitrag über die Kultur-Proteste in Berlin gegen die angedrohten Sparmaßnahmen im heute journal hat mich letzten Mittwoch konsterniert zurückgelassen. Da redet Georg Scharegg vom TD Berlin, während er Plakate an Fenster klebt und eine Absperrband-Installation anfertigt, vom »Glanz der Kultur«, das Technikmuseum protestiert ausgerechnet damit, dass es den Lokschuppen für Kinder sperrt, und Lars Eidinger, der einst mit einer 550 Euro-Aldi-Tüte posierte, lamentierte vor der Schaubühne über die »drohende Insolvenz«. Ach ja, und dann sang da noch ein Chor, der aussah, als sei er auf dem Weg nach Brokdorf, dass das doch alles »Kaa-haaa-haaaa-haaa-cke!« sei.
Ernsthaft? Ist das das Bild, das die Menschen da draußen von der Kultur in Deutschland bekommen? Könnte es sein, dass nur wenige Leute, die Badewannen installieren, Busse fahren, Flugzeuge fliegen, die in Versicherungen arbeiten, an Gerichten oder bei Rewe, sich mit dem identifizieren können, was da in drei Minuten als schlecht gelaunte Kultur-Bubble vorgestellt wurde? Der Tenor des gesamten heute journal-Beitrags: Die Kulturschaffenden meckern, nehmen sich selber ungemein wichtig und schaffen weit und breit keine wirklich flackernde kulturelle Leistung. Wer, bitteschön, will denn schon in eine Beerdigung investieren? Mich haben all diese schlecht gelaunten Menschen an den Schulhof meiner Jugend erinnert – an die Ecke mit den Kindern, mit denen niemand spielen wollte.
Könnte es sein, dass die Kulturbranche in ihrem griesgrämigen aktuellen Dauer-Lamento das Gegenteil dessen erreicht, was sie eigentlich erreichen will? Achselzucken statt Solidarität, müdes Abwinken statt Begeisterung, belächelt werden statt ernst genommen? Wäre kulturelle Kreativität nicht die Grundlage dafür, einen klugen Protest zu inszenieren? Lustvolle Visionen zu entwickeln? Institutionen neu zu denken? Und vor allen Dingen durch die eigene Leidenschaft die anderen anzustecken?
Unisono und Musikrat fehlen Ideen
Stattdessen sehen wir Menschen, die um sich selber kreisen, die klagen, dass sie den Rückhalt in der Politik (und damit auch der Bevölkerung) verloren haben – und der Bevölkerung und der Politik die Schuld dafür geben! Menschen, die es als gegeben ansehen, dass sie vorbehaltlos unterstützt werden. Die gar nicht verstehen, dass sie schon in der Corona-Krise nicht jene Rolle in der Gesellschaft spielten, die sie sich selber so gern zuschreiben. Haben wir denn wirklich nichts gelernt?
Die Berliner Kulturschaffenden sind nicht der einzige Trauerchor. Nehmen wir die Orchester-Vertretung unisono. Ihr Vorsitzender Gerald Mertens will so etwas wie der Claus Weselsky der Künstlerinnen und Künstler sein. Mit dem kleinen Unterschied, dass es den Großteil der Deutschen kaum kümmern würde, wenn der Kultur-Zug streikt. Im Gegenteil: Mertens und seine Kampfgenossen beharren auf Privilegien, die zukünftig kaum zu halten sein werden. Regelmäßig postet der unisono-Chef auf X, dass die Klassik-Kultur nicht in der Krise stecke, dass alles bergauf gehe, dass der Ruf unserer Orchester nicht besser sein könnte. Was er verschweigt, ist, dass die Konzerte von Bremerhaven bis München, von Berlin bis Dortmund eben nicht mehr automatisch ausverkauft sind. Dass viele Städte und Länder sich das Überangebot von Orchestern nicht mehr lange leisten werden – ganz zu schweigen vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mertens verschließt die Augen davor, dass seine Forderungen für den Erhalt vergangener Strukturen die bestehenden Strukturen perspektivisch brutal gefährden. Dass es allerhöchste Eisenbahn für Transformation ist. Dass die Zeit für grundlegende Fragen gekommen ist: Brauchen wir in jeder Stadt wirklich ein oder mehrere Orchester? Wenn ja, wie können die finanziert werden? Erfüllen sie ihren Auftrag. Und: Haben sie überhaupt einen? Erreichen sie das Publikum, das sie erreichen können? Wäre es bei gleicher Förderung möglich, in anderen Strukturen kreativer, effektiver und zeitgemäßer das Publikum zu erreichen?
Wie will Mertens da draußen erklären, dass ein Orchester-Musiker mehr verdient, wenn er statt eines normalen Fagotts ein Kontrafagott spielt? Wenn von Frackzulagen und Dienstreise-Privilegien die Rede ist? Wie soll jemand da draußen verstehen, dass viele Orchestermusiker neben ihrem Vollzeitberuf noch Zeit für eine Professur und allerhand privater Mucken haben?
Ist die Kultur wirklich so arm?
Wäre es nicht sinnvoll, wenn unisono nicht gegen die Windmühlenflügel der Zeit kämpfen würde, sondern stattdessen das faire Morgen mitdenkt? Ebenso, wie es nicht zielführend für die Berliner Kulturszene sein wird, wenn sie immer wieder auf ihre alten Strukturen beharrt, statt neue zu erfinden (darüber haben wir bereits in einem langen Essay nachgedacht).
Ja, und dann ist da noch der Deutsche Musikrat. Man hatte sich nach dem Wechsel an der Spitze hier vielleicht auch etwas mehr Neudenken gewünscht. Aber auch Antje Valentin, die neue Generalsekretärin, setzt auf andauernde öffentliche Forderungen, auf Warnungen und Krisen-Geunke. In einer aktuellen Pressemitteilung erklärt der Musikrat, dass das mittlere Einkommen von Musiklehrenden im Jahr 2024 14.650 Euro brutto betrug. Vollkommen unklar bleibt, woher diese Zahl kommt? Sind das die Eigen-Angaben der Lehrenden bei der Künstlersozialkasse? Das wäre dann so, als würden Amazon oder apple ihre Gewinnrechnung in Deutschland auf Null kalkulieren. Fakt ist, dass Musiklehrerinnen und Musiklehrer an deutschen Schulen im Schnitt 43.000 Euro bekommen und an Musikschulen – selbst mit nur dreijähriger Berufsausbildung – 38.000 Euro. Was für ein Bild wird hier also aufgemacht? Selbst wenn es sich nur um freischaffende Musiklehrerinnen und -Lehrer handelt: Nehmen wir Mal lediglich 40 Euro die Stunde, fünf Stunden am Tag, fünf Mal die Woche für 10 Monate an (zwei Monate Urlaub!). In diesem Fall käme man auf 40.000 Euro pro Jahr, minus einige laufende Kosten.
Keine Frage: Es gibt zu wenig fest angestellte Musiklehrerinnen und Musiklehrer – das liegt zum großen Teil am komplexen Ausbildungsweg. Wäre es nicht viel sinnvoller, hier anzusetzen? Denn Stellen sind ja genügend ausgeschrieben.
Viele Vertreterinnen und Vertreter von Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland haben sich einen Auftritt in der Öffentlichkeit angewöhnt, der alle Vorurteile da draußen unterstützt: Künstlerinnen und Künstler werden als unzufriedene Bittsteller dargestellt, deren gesellschaftlichen Wert die Gesellschaft nicht anerkennt. Wie aber soll sich das ändern, wenn die Vertreterinnen und Vertreter dieser Künstlerinnen und Künstler tagein tagaus erklären, dass man missverstanden werde. Gleichzeitig toben überall in der Gesellschaft Verteilungskämpfe. Eine Situation, in der man wohl kaum mit »Kaaaa-haaa-aaa-cke«-Liedern Sympathien erringt, und schon gar nicht, wenn man ausgerechnet den bei Kindern so beliebten Lockschuppen dicht macht!
Kreativität nutzen!
Es ist an der Zeit, dass die Lobby-Verbände der Kulturschaffenden neue Narrative in der Öffentlichkeit finden. Dass sie begreifen, dass Kultur bei vielen Menschen da draußen keine Bestandsgarantie mehr hat. Egal, ob das richtig oder falsch ist: es ist die Realität.
Um ein öffentliches Verständnis für die Kunst und für Künstlerinnen und Künstler zu schaffen, ist es wesentlich, die Kunst an sich bedeutsam werden zu lassen: In höchster Qualität, in direktem Kontakt mit dem Publikum, verankert in den Städten und Gemeinden. Bedeutung lässt sich nicht behaupten oder erdemonstrieren – sie lässt sich nur erspielen. Tagtäglich in unseren Orchestern, Theatern und Museen. Gerade die Kreativität der Kulturbranche muss in Zukunft dazu genutzt werden, spannende Konzepte für den eigenen Wandel und die eigene Zukunft zu entwickeln. Es geht nicht darum, Einsparungen zu verhindern, sondern darum, Bedeutung zu schaffen – am Ende könnte diese Strategie dann sogar zu mehr Mitteln führen.