Klassik-Vorsätze für ein verrücktes 2025  

Januar 13, 2025
6 mins read

Willkommen im neuen Klassik-Jahr!

Es geht wieder los. Im ersten BackstageClassical-Newsletter des Jahres gibt es einen Musik-Krimi, ein Salzburg-Update, einen menschlichen Trauerflor und besonders viel Optimismus und Kampfesgeist!  

Der Krimi eines Beethoven-Manuskriptes

Beginnen wir mit einer guten Nachricht! Das Beethoven-Haus Bonn hat das Originalmanuskript des 4. Satzes von Beethovens Streichquartett op. 130 angekauft. Es ist musikalisch ebenso bedeutend wie historisch. Im BackstageClassicalPodcast erklärt Kustodin Julia Ronge die abenteuerliche Geschichte der Handschrift, die von den Nazis aus den Händen einer jüdischen Familie geraubt und erst sehr spät restituiert wurde und in die USA gelangte. Beethoven-Haus Direktor Malte Boecker berichtet, wie viele Schultern und wie viel bürgerliches Engagement nötig war, um einen solchen Schatz mit den anderen noch existierenden Beethoven Quartett-Manuskripten zu vereinen. Sehenswert ist auch die kongeniale Rede über das Werk an sich, die der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann bei der Eröffnung gehalten hat – so geht Musikvermittlung! Sowohl den Podcast als auch den Festakt hören und sehen Sie hier.

Podcast von BackstageClassical

Der Fall Mischke und die Musik 

Dass der öffentliche Aufregungs-Turbo im Jahr 2025 immer weiter aufdrehen wird, hat die Debatte um den designierten und dann doch wieder zurückgezogenen Moderator der ARD-Sendung ttt – titel, thesen, temperamente, Thilo Mischke, gezeigt. Für mich eine Art Fortsetzung der oft misslungenen ARD Krisenkommunikation in Sachen Kultur, die auch schon in den Fällen Teodor Currentzis und François-Xavier Roth aufgefallen war. Und natürlich stellt sich die Frage nach dem ARD-Kompass, wenn Mischke »geopfert«, gleichzeitig aber an Roth festgehalten wird. Noch irritierender scheinen die inneren Strukturen: Was gelten Meinungen der Redaktionen oder von Orchestermusikerinnen und Orchestermusikern gegenüber den strategischen Vorsätzen der Leitung? Ich bin der festen Überzeugung, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine der bedeutendsten Säulen unseres Gemeinwesens ist. Um so wichtiger ist es, dass ihre Spitze angstlos und transparent mit den Menschen kommuniziert und ihre Kritikerinnen und Kritiker nicht angreift, sondern in Dialog mit ihnen tritt. Shoko Kuroe hat den aktuellen Fall für BackstageClasscial noch einmal aufgedröselt. Ihre »Ordnung des Mischke Diskurses« lege ich Ihnen sehr ans Herz.

Anzeige

Neueste Salzburger Nachrichten

Das Jahr hat für mich auch mit einer anderen wichtigen Erkenntnis begonnen: Es gibt schon sehr viele Menschen da draußen, die sehr solidarisch sind! Ich war gerührt von Ihrer Unterstützung für BackstageClassical. Nachdem der Fonds der Salzburger Festspiele und ihr Intendant Markus Hinterhäuser mir zwei Abmahnungen mit den Streitwerten von 30.000 und 70.000 Euro geschickt hatten, erlebte ich eine einmalige Solidarität: Mich erreichten überwältigend viele Mails mit Zuspruch und Ermutigung, persönliche Anrufe von Kulturschaffenden, ich erlebte eine breite Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen, und 72 Menschen haben bislang 3.348,47 Euro für BackstageClassical in dieser Situation gespendet – von Kleinstbeträgen bis zu 300 Euro. Jede Spende zeigt mir: Unser investigativer und meinungsstarker Journalismus wird von sehr vielen Schultern getragen, und dafür sage ich Danke! Da ich die Abmahnung in sieben Punkten nicht unterschrieben habe, haben der Festspielfonds und Markus Hinterhäuser inzwischen Antrag auf einstweilige Verfügung beim Gericht in Hamburg gestellt. Ein Urteil steht aus. In einem der nächsten Newsletter werde ich Sie natürlich über den Ausgang informieren. Der aktuelle Fall ist auch Anlass eines Podcasts, den ich mit dem österreichischen Investigativjournalisten Michael Nikbakhsh und dem Autor und Kulturmanager Fabian Burstein aufgenommen habe. Hier geht es grundsätzlich um die Frage, wie unabhängig Kulturjournalismus noch ist, und wie wir ihn perspektivisch schützen und verteidigen können.

Der Investigativ-Podcast Dunkelkammer

Otti reißt ein ungeheures Loch

Otto Schenk ist tot – der große österreichische Schauspieler und Regisseur. Mich hat der Nachruf, den einer seiner besten Freunde, der Pianist Rudolf Buchbinder, bei BackstageClassical geschrieben hat, sehr bewegt. Buchbinder gibt in seinem Text Einblick in sein privates Fotoalbum und beschreibt anrührend, warum der Tod seines »Lausbubenfreundes« Otti Schenk ihn einfach nicht zur Ruhe kommen lässt. Für mich ist der Text der berührende Abschied von einem Wegbegleiter – und die Erkenntnis, dass Menschen, die uns verlassen, in lebendigen Erinnerungen bleiben können. Buchbinders Nachruf endet so: »Otto Schenk ist tot. Mein Lausbuben-Freund. Mein kluger Freund. Otti ist seiner Renée gefolgt. Und ich sehe uns alle vier noch auf dem Sofa sitzen und erzählen und lachen. Und mir kommen die Tränen.«

Rudolf Buchbinder, Helmuth Lohner und der »Man in black«, Otto Schenk (Foto: Rudolf Buchbinder privat)

Marodes München?

Der 97jährige Herbert Blomstedt war fit – nicht bereit war letzten Samstag lediglich der Herkulessaal. Die Alarmlampen sprangen aus unerklärlichen Gründen an und konnten nicht mehr ausgestellt werden. Der zuständige Techniker war nicht zu finden. Klar, dass Kritik laut wurde. Und am Gasteig? Da gehen langsam die Lichter aus. Zum Jahreswechsel 2024 wurde die Philharmonie nach 40 Jahren geschlossen. Dies markiert das Ende einer Ära, die 10.000 Konzerte und 20 Millionen Besuche umfasste. 

Personalien der Woche

Arnold Schönberg-Sohn Larry Schönberg beschreibt in einem packenden Bericht, wie die Feuer in Los Angeles auch das Archiv von Belmont Music Publishers zerstört haben – und damit zahlreiche mit Schönberg verbundene Objekte. +++ Ich bin ja kein Riccardo Muti-Fan: Aber das Wiener Neujahrskonzert mit ihm hat mir durchaus gefallen! Nächstes Jahr ist Yannick Nézet-Séguin dran. Vollkommen okay, aber was ist mit der Erklärung der Philharmoniker, dass sie bislang keine Frau engagiert haben, weil es wichtig sei, dass die Neujahres-Dirigenten einen langen Weg mit dem Orchester gegangen seien. So richtig lang war ihr Weg mit Nézet-Séguin nun auch nicht. Irgendwie kriegen die Wiener in dieser Sache keinen Dreh. +++  2025 ist das Pierre Boulez-Jahr: Am 5. Januar 2016 ist der französische Dirigent in Baden-Baden verstorben, am 26. März 1925 wurde er in Montbrison geboren. Einst wollte er Opernhäuser in die Luft sprengen. Aber der Klassik-Provokateur wurde besonnener. BackstageClassical bringt ein historisches XXL-Interview, in dem er sogar darüber nachdachte, eine Oper zu schreiben und in dem er seine Bayreuth-Tempi erklärt. +++ Ich schaue gerade die Mega-Doku FCHollywood im ZDF. Im Teil Die Wutrede geht es um den Opernfan Giovanni Trapattoni, unter anderem wird ein Interview gezeigt, das ich damals für die FAS mit dem Trainer geführt habe: Trapattoni schwärmt darin über Verdi, Bach und Mozart. Was für ein Gentleman, den ich damals treffen durfte, ein Vinyl-Opern-Sammler, ein Kenner der Musik … Das Interview gibt es noch (allerdings hinter Paywall) +++ Der Dirigent Franz Welser-Möst musste nun auch das Dirigat der Zauberflöten-Premiere in Wien aus gesundheitlichen Gründen abgeben. Gute Besserung!

Anzeige

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Zwischen den Jahren war ich in Berlin und habe mich dort mit vielen Kulturschaffenden getroffen (und habe ein großartiges Konzert mit den Berliner Philharmonikern und dem radikal provokant und klug dirigierenden Tugan Sokhiev mit einer Uraufführung von Donghoon Shin und Mahler Eins gesehen). Kurz gesagt: Die Stimmung vieler Kulturschaffender liegt  am Boden, die Komische Oper hat bereits erste Programm-Streichungen aus Kostengründen angekündigt. Die Kompromiss- und Strategielosigkeit der Kultur-Kürzungen sorgt in der Hauptstadt für einen ordentlichen Kater. 

Egal, mit wem man spricht: Besonders groß ist die Enttäuschung über die fehlende Kommunikation von Kultursenator Joe Chialo und über die Art, wie er sein Büro führt; über die Fluktuation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und über seinen persönlichen Umgang. All das in einer Situation, in der so viele andere Dinge in Frage stehen: Donald Trump in den USA, Alice Weidel diskutiert mit Elon Musk, Österreich bekommt eventuell eine Rechts-Rechts Regierung, und Deutschland geht mit Neuwahlen ebenfalls ins Ungewisse. All das macht nicht nur die Kulturschaffenden müde. Viele Leute wollen Me-Time statt Kulturzeit, Kuscheln und Cocooning statt Chaos in Amerika, Gaza, der Ukraine oder Thüringen. 

2025 ist es besonders wichtig, wach zu bleiben – viele entscheidende Weichen werden gestellt.

Aber gerade jetzt ist es wichtig, nicht müde zu werden, nicht einzuschlafen. Gerade jetzt wird Zukunft gestaltet, und es wäre fahrlässig, wenn wir das ausgerechnet jenen Kräften überlassen, die unsere kulturelle Landschaft umkrempeln wollen. Ich habe in einem ausführlichen Essay argumentiert, warum derjenige, der jetzt schläft, den Wandel nicht nur verpennt, sondern auch in einer Wirklichkeit aufwachen könnte, die mit unserer kulturellen Gegenwart gar nichts mehr zu tun hat. In Österreich demonstrieren wieder jeden Donnerstag Zehntausende gegen eine Rechtsregierung, und in Berlin versuchen viele Menschen und Institutionen unsere Kulturlandschaft zu retten. Ja, es ist gerade unglaublich anstrengend für unsere Werte aufzustehen – aber es passiert! Und wir werden auch 2025 alle Kräfte vereinen, um unsere Kulturlandschaft gemeinsam in die Zukunft zu führen.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

P.S.: Auch, wenn die Gemeinde noch klein ist: BackstageClassical findet gerade Gefallen an der Plattform BlueSky. Hier herrscht ein aufgeklärt diskutierender Grundton. Wir sind auch weiterhin für tägliche Klassik-News bei Instagram oder Facebook, würden uns aber freuen, wenn Sie uns auch bei BlueSky begleiten.   

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

Fördern

Artikel auf BackstageClassical sind kostenlos. Wir freuen uns, wenn Sie unabhängigen Klassik-Journalismus fördern.

Mehr aktuelle Artikel

Film zum Bühnenjubiläum von Anna Netrebko

30 Jahre Netrebko auf der Opernbühne. Das hätte Anlass für eine spannende Doku sein können. Leider ist es nur ein PR-Film ihres Managements, in dem Justus Frantz die Stimm-Karriere kommentiert.

Einige Fragen an Kühnes Oper

Klaus-Michael Kühne will Hamburg eine neue Oper schenken. Die Stadt sagt: »Ja«. Nun kommt es auf den öffentlichen Diskurs an, ob das Projekt ein Erfolg wird. Ein Kommentar.

Don't Miss