Vieles wurde geschrieben, meist mit eigenen Interessen. Die Dozentin und Pianistin Shoko Kuroe versucht den Fall um ttt und Thilo Mischke noch einmal distanziert zu entknoten.
English summary: Shoko Kuroe critically examines the controversy around Thilo Mischke as the new host of ARD’s titel, thesen, temperamente. She questions ARD’s opaque selection process, noting internal editorial concerns and societal backlash rooted in Mischke’s past work, including his book on sexual tourism and problematic podcast remarks. The public debate escalated into a power struggle, reflecting unresolved issues around sexism and MeToo in cultural institutions. Kuroe argues that ARD’s reaction, perceived as dismissive, reinforces institutional resistance to change, fostering frustration and radicalization among activists. She calls for more transparency, inclusion of survivor voices, and a deeper cultural reckoning.
Zum Eklat um die Personalie des neuen Moderators der ARD Kultursendung titel, thesen, temperamente gibt es mehrere Aspekte, die in der aktuellen eskalierenden Debatte vermengt werden. Ich möchte an dieser Stelle versuchen, diese Aspekte zu entknoten.
Auswahl des Moderators durch die ARD
Die ARD erklärte den Auswahlprozess für Thilo Mischke als Moderator nicht. Offenbar hatte es auch Bedenken bezüglich der Personalie innerhalb der ttt Redaktion gegeben, die Entscheider sprachen sich trotzdem für ihn aus.
Thilo Mischke hat in der jüngeren Vergangenheit wichtige Reportagen vorgelegt (z.B. über Rechtsradikalismus oder die Taliban), so dass ich verstehe, dass die Entscheider in ihm eine gute Kombination zwischen cool&sexy und seriös gesehen hatten – einen Moderator, der kein »alter, weißer Mann« ist und trotzdem auch bei Zuschauern Anklang finden kann, die allergisch gegen »links-grün versifften Genderwahn und Wokeness« sind. Ich hatte allerdings 2024 bezüglich eines MeToo Themas (sexuelle Gewalt an Musikhochschulen) persönliche Erfahrungen mit DLF und NDR Kultur gemacht (die ich grundsätzlich sehr schätze und gerne höre). Damals war ich selber von intransparenten Redaktionsentscheidungen betroffen, bei denen ich den Eindruck hatte, dass die Institutionen und und das Täterumfeld geschützt werden sollten.
Zudem hält der SWR auch weiterhin an François-Xavier Roth als designiertem Chefdirigenten fest – trotz dessen Dickpics an Orchestermitglieder. Insgesamt war mein Eindruck also, dass Sexismus bei der Entscheidung nur als ein nebensächliches Thema betrachtet wurde.
Kritik an der Personalie
Es ist keinesfalls so, dass es gleich einen Shitstorm gab. Es gab Menschen, die ihren kritischen Blick zunächst per Leserbrief ausdrücken und inhaltliche Kritik in Podcast oder Blog äußerten.
Und auch die ARD zeigte sich zunächst durchaus reflektiert.
Öffentlicher Protestbrief
Mit dem dann erschienenen offenen Brief der protestierenden Kulturschaffenden tat ich mich eher schwer, da ich ihre Argumentation als unehrlich empfand. Es ging in erster Linie darum, dass die Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der wichtigen Kultursendung auch selber mit ihren eigenen Werken vorkommen möchten. Sie zeigten sich zudem skeptisch, ob Gegenwartsthemen wie Machtmissbrauch und Metoo mit Thilo Mischke als Moderator angemessen besprochen werden können.
Es ist lobenswert, dass die Unterzeichner geschrieben haben, dass sie es ablehnen würden, mit Thilo Mischke bei ttt zusammenzuarbeiten, statt zu fordern, dass er weg soll. Was sie aber wirklich wollten, ist, dass die ARD einsieht, dass Thilo Mischke nicht der passende Moderator für die Kultursendung ist, und dass die ARD ihre Entscheidung von sich aus überdenkt.
Den Brief habe ich nicht unterzeichnet, weil ich es albern finde, mich dahingehend zu äußern, dass ich nicht mit Thilo Mischke zusammenarbeiten möchte, wenn ich bisher mit ihm nichts zu tun hatte, in Zukunft wahrscheinlich auch nicht mit ihm zu tun haben werde, und vermutlich auch nie in die Sendung eingeladen werde.
Eine solche Ablehnung würde nur dann Eindruck machen, wenn man selbst so prominent oder wichtig wäre, dass einen das Publikum vermissen würde – wenn man eine Einladung verweigern würde. Aber das ist wahrscheinlich nur bei einer Handvoll der Unterzeichnenden der Fall.
Diese Diskrepanz verleiht dem Protest eine neue Emotionalität. An dieser Stelle änderte der Protest seine Richtug von einer Kritik hin zu einem Machtkampf, der dann als Shitstorm empfunden wurde.
Ich habe persönlich in meiner Karriere auf bestimmte Engagements, Konzerte oder auf Bewerbungen auf Stellen verzichtet, weil ich nicht mit dem Täter in meinem Fall zusammenarbeiten oder ihn als meinen Chef haben wollte. Umgekehrt hat sein Umfeld mich wie Luft behandelt. Der Täter hatte mir sogar geraten, dass ich im Ausland bessere Karrierechancen hätte.
Mir ging es stets darum, Konzerte zu spielen und Entfaltungsmöglichkeit in der Klassikszene zu haben. Da würde ich nicht öffentlich extra betonen, dass ich mit bestimmten Kollegen nichts zu tun haben will – schon alleine weil ich weiß, dass sie mich am liebsten gar nicht sehen wollen.
Damals-Zeit
Thilo Mischkes Einstellung zu Sex und Vergewaltigung war damals (ca. 2010-2015) noch Mainstream. Unter dem Zeitgeist haben Vergewaltigungsopfer doppelt gelitten, weil ihnen nicht geglaubt wurde oder weil ihnen die Schuld fürs Vergewaltigtwerden gegeben wurde. Viele Männer waren schon immer respektvoll, einige setzten sich auch schon damals aktiv gegen sexuellen Missbrauch ein. Renommierte Personen in relevanten Positionen mit übergriffigen Einstellungen waren aber gesellschaftsfähig und prägten die Zeitgeist.
Die Fixierung auf Thilo Mischke leugnet also das Leid vieler Vergewaltigungsbetroffenen aus der Zeit, die Victim-Blaming, Ausgrenzung, Leugnung und Schönreden in ihrem Umfeld erfahren haben. Betroffene bekamen kaum Recht vorm Gericht, auch war die medizinische und therapeutische Versorgung mangelhaft. Feminismus betrachteten Betroffene eher nur als ein lächerliches Thema.
Mit MeToo hatte sich die gesellschaftliche Einstellung zum sexuellen Machtmissbrauch geändert, die Betroffenen bekamen eigene Stimmen, und Kulturinstitutionen haben Verhaltenskodex und Richtlinien entwickelt.
Die Bücher
Mischkes Buch In 80 Frauen um die Welt wird auch in der Debatte gerne als »Bumsbuch« beschrieben. Das ist aber ein erschreckender Euphemismus für Sextourismus. Auch wenn ich sehe, dass seine Abenteuerlust und Kontaktfreudigkeit für seine späteren Reporter-Tätigkeiten im Ausland evtl. vom Vorteil waren, kann diese Art von Sextourismus für die lokalen nicht-weißen Frauen sexuelle Ausbeutung bedeuten. Gefährlich ist zudem der Tonfall des Buchs, der streckenweise an Vokabular der Pick-Up-Artist Bewegung erinnert.
Der Podcast
Ich persönliche halte Mischkes Äußerungen in seinem Podcast Feminismus = First World Problems? für nicht so wichtig. Es ist ein Podcast auf Boulevard-Niveau, vorwiegend mit Beschreibungen von Sexpraktiken.
Die Frage, ob eine Vergewaltigung ein Triebproblem oder ein Machtproblem ist, ist im Übrigen nicht neu. Sie ist auch nicht das zentrale Thema des Podcasts. Ich finde es durchaus legitim, wenn Diskutanten in einem solchen Austauschformat auch mal unausgereifte Gedanken äußern. Für eine ARD Sendung darf man sich allerdings mehr Qualität erwünschen.
Reaktion ARD
Am Problematischsten finde ich die Reaktion der ARD nach der Absage.
FAZ Artikel vom 05.01.2025: „Christine Strobl, die nach eigenen Angaben nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen war, sagte: „Die Entscheidung der Kulturchefinnen und -chefs beruht auf der Erkenntnis, dass eine Diskussion nicht mehr möglich ist. Und das finde ich einen problematischen Zustand, und das treibt mich sehr um.“ Ihr sei es wichtig, „dass wir jetzt wieder zu einer normalen Debattenkultur zurückkommen“.
Genau diese Dynamik ist problematisch, weil es zeigt, wie Institutionen an problematischen Personalentscheidungen festhalten. Im Übrigen entspricht das auch meinen Erfahrungen – auch bei konkreten MeToo Vorfällen bis hin zu Vergewaltigungen passiert letztendlich wenig, solange Betroffene für Gespräche noch offen sind oder sogar von sich aus das Gespräch suchen. Aus der Sicht der Betroffenen ist das ein Aussitzen.
Viele Selbstbetroffene resignieren dann und geben auf.
Aktivisten (im Fall von ttt und Thilo Mischke sind es zumeist Feminist:innen) neigen eher zur Radikalisierung. Wenn die ARD Programmchefin selbst impliziert, dass sie erst dann auf eine Forderung eingeht, wenn es einen Shitstorm gibt, kann sie den Protestlern doch nicht übel nehmen, dass Aktivisten den Weg eines Shitstorms wählen?
Warum muss es so weit kommen?
An dieser Stelle erlaube ich mir, ebenfalls ein paar Fragen zustellen: gehört das MeToo Thema (einschließlich sexueller Machtmissbrauch in der Kultur) nicht zu den »zentralen und relevanten« Themen einer Kultursendung? Und soll ein Journalist einen Fall, der ihn persönlich als Protagonisten betrifft, selbst journalistisch aufarbeiten? Sollen da nicht auch andere zu Wort kommen? Und sollten nicht endlich Selbstbetroffene als Teil der MeToo-Aufarbeitung gehört werden?
Der Backlash
Auch die Reaktionen mehrerer Redakteure in verschiedenen Zeitungen zeigen, dass wir uns nach der MeToo Phase mit Aufbruch und Aufklärung wieder in einer Phase des Backlash befinden. Ein Umdenken hatte bei diesen Kommentatoren offenbar nicht stattgefunden. Vielmehr hatten sie sich mit ihren Vorurteilen über Vergewaltigungen nur aus Sorge um Kritik und Konsequenzen und hatten dabei vielleicht sogar das Gefühl, dass sie nichts mehr sagen durften. Jetzt sind sie mit ihrer alten Haltung wieder präsent.
Wie werden diese Menschen reagieren, wenn es in ihrem eigenen Umfeld konkrete MeToo Vorfälle gibt?
Das Fazit
Das ist eine Situation, wo es nur Verlierer gibt. Vor allem für Betroffene vom sexuellen Missbrauch ist die Debatte toxisch.