»Otti, es ist so leer ohne Dich«

Januar 9, 2025
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Freunde mit Bein. Agi und Rudolf Buchbinder mit Otto und Renée Schenk (Foto: Rudolf Buchbinder privat / BackstageClassical)

Der Pianist Rudolf Buchbinder nimmt Abschied von Otto Schenk und gewährt Einblicke in das Fotoalbum einer großen Freundschaft

English summary: Rudolf Buchbinder about Otto Schenk. Hearing that my friend Otti is dead, I felt an immense void. Otto was not just a brilliant director and artist but also a loyal friend, full of humor, wisdom, and boundless curiosity. His humanity and love for life inspired his timeless art. A lover of music, he admired conductors and approached every subject with passion. We shared laughter, deep moments, and an unshakable bond. He is deeply missed.

Otto Schenk ist tot. Als ich diesen Satz hörte, öffnete sich ein großes, dunkles Loch. Otto Schenk ist tot. Als mir bewusst wurde, was das bedeutet, spürte ich die Leere, die er hinterlassen wird. Otto Schenk ist tot. Mit war sofort klar, was uns allen fehlen wird: sein Geist, sein Menschsein, seine Begeisterung, seine unbändige Neugier, sein Humor, sein Kindskopf und seine weise Ernsthaftigkeit. Mir hat es den Boden unter den Füßen weggerissen. Nein, wir können uns einfach nicht auf die Wucht des Todes vorbereiten. Otto Schenk ist tot. Mir ist einer meiner besten Freunde gestorben.

Unsere Leben haben sich so lange begleitet, dass ich mich gar nicht mehr an unsere erste Begegnung erinnern kann. Wir haben uns einige Zeit lang wöchentlich getroffen: Bei ihm und seiner wunderbaren Frau Renée. Am idyllischen Irrsee,  bei ihm oder bei Agi und mir zu Hause in Wien. Unzählige Abende haben wir miteinander verbracht. Und an keinem einzigen entstand auch nur eine Sekunde Leerlauf.

Die Herren im Pool: Rudolf Buchbinder und Otto Schenk (Foto: Rudolf Buchbinder privat/ BackstageClassical)

Es gab einfach nichts, was Otti nicht interessierte. Er war ein bemerkenswerter Universalist! Ob Sport, Bildende Kunst oder die aktuelle politische Lage – ihn interessierte alles! Ganz besonders das Wohlbefinden seiner Freunde. Ich übertreibe nicht, wenn ich Otti und Renée als Teil unserer Familie betrachte. Unsere Kinder kannten die beiden seit deren Geburt und begleiteten ihr Aufwachsen mit großem Interesse. Mit Otto Schenk habe ich Höhen erlebt und Tiefen, Momente ausufernder Freude und tiefster Trauer. Er war eine Sicherheit in meinem Leben. Und ich wusste: Egal, was passiert, nichts kann unser Miteinander zerrütten.

Der Mensch, der Freund der Theatermann

Wer Otto Schenk als Menschen kennen, wer ihn einen Freund nennen durfte, der versteht vielleicht auch seine Kunst besser. Den Regisseur, dem es nie um Effekte oder Provokationen ging, sondern um seine Charaktere. Dem nur eines im Theater wichtig war: der Mensch. 

Der Mensch war für Otti das wohl rätselhafteste, absurdeste und gleichsam spannendste Wesen überhaupt. Keiner stellte die menschlichen Stärken und Schwächen seiner Schauspiel- und Operncharaktere so überzeugend auf die Bühne wie er. Und es ist bezeichnend, dass Otti dabei keiner Mode verfiel, sondern zeitlose Kunst schuf. 

Rudi und Otti – Freunde fürs Leben (Foto: Rudolf Buchbinder privat / BackstageClassical)

Immer wieder hat Otti gesagt »Das Leben ist das größte Abenteuer«. Und ich bin fest davon überzeugt, dass er am Leben für die Bühne lernte. Dass der Grund all seiner Kunst seine unendliche Menschlichkeit ist – seine Menschenliebe. Er hat sie stets ohne erhobenen Zeigefinger präsentiert, dafür mit einem andauernd zwinkernden Auge. Nirgends wurde das so deutlich als wenn Otti in die Rolle des Frosch in der Fledermaus schlüpfte. Dann war er einer wie wir alle. Ein Mensch unter Menschen. Nein, mehr noch: ein Wiener! 

Die Musik – sein zu Hause

Über nichts hat Otti so gern geredet wie über die Musik. Sie war seine vielleicht tiefste Leidenschaft. Er fragte mich andauernd über Beethoven aus, über  Mozart, pluderte über Wagner und Brahms – ganz so, als sei er selber Musiker. Otti wollte alles wissen: von der musikalischen Theorie über kniffelige Stellen bis zu den Gedanken anderer Musikerinnen und Musiker. Ganz besonderes interessierten ihn aber die Dirigenten. Otto bewunderte Dirigenten, und sie bewunderten ihn zurück: Carlos Kleiber, Leonard Bernstein, Claudio Abbado. 

Wie oft sah ich ihn in meinen Konzerten! Immer, wenn ich ihn in einer der Reihen entdeckte, freute ich mich. Dann fühlte ich mich sicher. Dann wusste ich: Da sitzt ein Freund. Mein Freund Otti. 

Und wie sehr haben Agi und ich im Gegenzug seine Aufführungen genossen, diese Meilensteine der Opernregie: Die Meistersinger, den Rosenkavalier, die Fledermaus. Als Otti Wagners Ring in New York inszenierte, gab es sogar Sonderflüge. Seine letzte große Inszenierung an der MET, den wunderbaren und so humorvollen Don Pasquale, den haben wir uns natürlich auch nicht entgehen lassen.

Rudolf Buchbinder, Helmuth Lohner und der »Man in black«, Otto Schenk (Foto: Rudolf Buchbinder privat / BackstageClassical)

Otti war so »menschenklug« und ernsthaft in seiner Kunst und gleichsam ein so herrlicher Kindskopf – ein Mensch, der seine Freiheit liebte. Und ich glaube, dass genau das auch einer der tiefen Kerne unserer Freundschaft ist: Unsere Lausbubennatur. Wie oft haben wir auf dem Sofa gesessen und über irgendwelchen Schabernack gelacht, während seine Renée und meine Agi  sich verständnislose Blicke zugeworfen haben. 

Otto Schenk ist tot. Mein Lausbuben-Freund. Mein kluger Freund. Otti ist seiner Renée gefolgt. Und ich sehe uns alle vier noch auf dem Sofa sitzen und erzählen und lachen. Und mir kommen die Tränen. Otto Schenk ist tot. Er fehlt mir. 

Eines der letzten Bilder von Rudolf Buchbinder und Otto Schenk. (Foto: Rudolf Buchbinder privat / BackstageClassical)

Rudolf Buchbinder

Von Kritikern gefeiert und von Musikliebhabern in der ganzen Welt verehrt, gehört Rudolf Buchbinder zu den großen Pianisten unserer Zeit. Seine Interpretationen entstehen aus der einzigartigen Verbindung von geistigem Verständnis mit intellektueller Strenge und Spontaneität mit technischer Kontrolle. Ein unermüdliches Studium und eine lebenslange Begeisterung für die Meisterwerke der Klavierliteratur lassen seine künstlerischen Fähigkeiten immer noch zunehmen.

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