Das Beethoven-Haus in Bonn hat das Manuskript des Streichquartettes op. 130 angekauft. Es ist musikalisch ebenso bedeutend wie historisch. Der gesamte Krimi um die Handschrift als Interview und Podcast.
Ein verlorenes Werk von Ludwig van Beethovens hat seinen Weg zurück nach Bonn gefunden. Julia Ronge, die Kustodin des Beethoven-Hauses in Bonn, erzählte BackstageClassical in einem ausführlichen Gespräch, wie das Manuskript des Streichquartetts Opus 130 in B-Dur nach langer Odyssee zur Sammlung zurückkehren konnte — eine Geschichte, die nicht nur musikwissenschaftlich, sondern auch historisch fesselnd ist. Malte Boecker, der Direktor des Beethoven-Hauses spricht darüber, wie viel Arbeit und Vertrauen nötig war, um verschiedene Unterstützer für diese Anschaffung zu mobilisieren (Zum Podcast für alle Player oder zu ApplePodcast) .
»Ein besonderer Moment“
Die Rückkehr dieses Manuskripts ist für das Beethoven-Haus ein Meilenstein. Julia Ronge beschreibt den ersten Augenblick, in dem sie das Manuskript in den Händen hielt: »Ich bin im Sommer in die USA geflogen, um es mir anzusehen. So etwas kauft man nicht, ohne es vorher gesehen zu haben. Als der Karton geöffnet wurde und ich den prächtigen Einband sah, wusste ich sofort: Das muss ein Original sein. Dieser Moment war etwas Besonderes, nicht nur wegen der Handschrift selbst, sondern auch wegen der Umstände.«
Obwohl Ronge tagtäglich mit solchen Handschriften arbeitet, gesteht sie: »Den Schauer, den viele Besucher empfinden, spüre ich nicht mehr so intensiv. Doch wenn ich sehe, wie andere davon berührt sind, bewegt mich das immer noch.«
Das Manuskript: Einzigartig und kostbar
Das Streichquartett Opus 130 gehört zu Beethovens späten Werken und ist für seine Musikwissenschaft von unschätzbarem Wert. »Es ist die einzige handschriftliche Quelle dieses Werkes«, erklärt Ronge. »Das macht sie nicht nur historisch bedeutend, sondern auch musikalisch besonders. Beethoven verbindet hier die Eleganz eines Ländlers mit künstlerischer Tiefe. Ursprünglich bezeichnete er den Satz als Deutscher Tanz. Später fügte er hinzu: „Wie ein deutscher Tanz“, um den künstlerischen Charakter zu betonen.
Das Publikum der Uraufführung liebte diese Musik. »Der Satz wurde zur Wiederholung gefordert — etwas, das bei Beethovens späteren Kammermusikwerken selten vorkam.«
Eine wechselvolle Geschichte
Die Reise des Manuskripts ist ebenso bemerkenswert wie das Werk selbst. Ursprünglich gehörte es Heinrich Steger, einem Wiener Rechtsanwalt und Sammler, der es Anfang des 20. Jahrhunderts an das Beethoven-Haus verkaufte. Doch nicht alle seiner Manuskripte wurden erworben. Ronge erklärt: »Das Beethoven-Haus konnte sich damals nur vier Stücke leisten. Die restlichen wurden an wohlhabende Sammler verkauft, darunter die Familie Petschek.«
Die Petscheks, eine wohlhabende jüdische Familie, mussten 1938 vor den Nationalsozialisten fliehen und ließen ihre Kunstsammlung zurück. Das Manuskript wurde schließlich von den Nazis beschlagnahmt und gelangte in das Mährische Museum in Brünn. Nach dem Krieg blieb es hinter dem Eisernen Vorhang, unerreichbar für die rechtmäßigen Erben.
»Ein Diebstahl«
»Die Arisierung des Petschek-Besitzes war der größte Diebstahl des NS-Regimes«, betont Ronge. »Die Familie wusste lange nicht, wo das Manuskript war. Erst 1945 wurde klar, dass es in Brünn gelandet war. Doch nach 1949 blockierte das kommunistische Regime jegliche Rückgabe.«
Erst 2022, nach jahrzehntelangem Rechtsstreit, wurde das Manuskript an die Erben restituiert. »Die Petschek-Nachfahren hätten es verkaufen können, aber sie entschieden sich für einen Ort, an dem es zugänglich ist und nicht in einer Privatsammlung verschwindet«, berichtet Ronge.
Die Bedeutung der Rückkehr
Das Manuskript wird nun digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. »Nächsten Sommer planen wir eine Sonderausstellung, um die Geschichte dieses Stücks zu erzählen«, kündigt Ronge an. »Es ist uns wichtig, nicht nur die musikwissenschaftliche Bedeutung hervorzuheben, sondern auch die historische Dimension — wie Menschen bestohlen und verfolgt wurden.«
Dank modernster Technik wird das Manuskript weltweit erforschbar sein. »Obwohl nichts die Aura des Originals ersetzen kann, erlaubt uns die Digitalisierung, einen breiteren Zugang zu schaffen. Wissenschaftler, die einen legitimen Grund haben, können das Original weiterhin einsehen«, versichert Ronge.
Ein Triumph für die Musikwissenschaft
Das Beethoven-Haus ist nicht nur um ein wertvolles Exponat reicher, sondern kann nun auch die Sammlung Heinrich Stegers komplettieren. Ronge fasst zusammen: »Es ist ein Meilenstein, sowohl für uns als auch für die Musikwelt. Dieses Manuskript erzählt eine Geschichte von Verlust, Entbehrung und schließlich Rückkehr. Es ist ein Symbol für das, was Beethoven selbst oft in seiner Musik ausgedrückt hat: Hoffnung und Triumph.«
Die Ausstellung wird diesen Sommer ihre Tore öffnen und eines versprechen: ein unvergleichliches Eintauchen in die Welt Beethovens und die bewegte Geschichte seiner Werke.