Das neue Jahr wird ein Jahr der Veränderung: Vieles kommt auf den Prüfstand. Aber nur wer jetzt wach bleibt, kann den Wandel mitgestalten.
English summary: 2025 will be a year of transformation, with critical decisions reshaping society and culture. While exhaustion dominates—whether from wars, politics, or crises—retreating into apathy isn’t an option. Cultural institutions face mounting financial pressure, demanding transparency, self-criticism, and innovation. The focus must shift from preserving old systems to inspiring change, fostering resilience, and confronting societal challenges head-on. (Zusammenfassung mit KI generiert)
Die Welt, wie sie gerade dreht, macht müde. Und vieles spricht dafür, sich 2025 einfach die Decke über den Kopf zu ziehen und abzuwarten, bis alles irgendwie besser ist: Me-Time statt Kulturzeit, Kuscheln und Cocooning statt Chaos in Amerika, Gaza, der Ukraine oder Thüringen. Ist es am Ende nicht egal, ob Friedrich Merz mit Robert Habeck oder Olaf Scholz koaliert. Und können wir uns den AfD-Onkel bei der nächsten Familienfeier nicht einfach schöntrinken?
In den letzten Gesprächen des Jahres ging es bei mir oft um Erschöpfung: um Kriegs-Müdigkeit, AfD-Müdigkeit oder Trump-Müdigkeit. Irgendwie scheint alles gerade ein bisschen zu viel! Ein Freund erklärte mir, dass er sich im US-Wahlkampf »satt informiert« hätte und nun, da Donald Trump gewonnen hat, alle Kanäle auf stumm geschaltet habe. Die Würfel seien gefallen, sagte er, und jetzt müsse er sich erst einmal wieder um sein eigenes Stückchen Glück kümmern.
Das Fatigue-Syndrom
Das ist verständlich. Überhaupt kommt es mir vor, als wollten Deutschland und Europa ihr allgemeines Fatigue-Syndrom am liebsten durch Dauerschlaf lösen. Und durch den Konsum kultureller Schönheit. Für die Kunst scheinen die anstrengenden Zeiten in erster Linie zu bedeuten, dass im Jahre 2025 noch mehr Biedermeier als Brandstifter zu erwarten ist, noch mehr Entertainment als Provokation und noch mehr Eskapismus als der anstrengende Versuch, unserer Welt jeden Abend den Spiegel vorzuhalten.
Ja, wenn die Welt da draußen schon voller Probleme ist, kann dann nicht wenigstens die Kultur eine problemfreie Zone sein? Können wir nicht zumindest die Augen zudrücken bei Machtmissbrauch, autoritärem oder politisch fragwürdigem Verhalten? Müssen wir uns denn wirklich um Machtspiele bei den Salzburger Festspielen, um Russlands Einfluss auf europäische Kultur, um Tobsuchtsanfälle von Regisseuren oder um merkwürdige Personalpolitik in der katholischen Kirchenmusik kümmern? Kann die Kultur nicht einfach funktionieren und uns in schwierigen Zeiten Ablenkung und Unterhaltung verschaffen?
Neulich erklärte mir ein Dirigent, dass er die nächsten drei Jahre hauptsächlich dazu nutzen würde, noch intensiver zu studieren, denn »meine radikalen Ansätze werden in dieser Zeit wohl nicht gefragt«, erklärte er mir. »Ich warte einfach, bis die Welt wieder müde von ihrer eigenen Müdigkeit geworden ist – und dann komme ich zurück. Dann wollen die Leute wieder Konfrontation und Tiefe.«
Aber können wir die Zeit des Biedermeier wirklich einfach so wegschlafen? Und können wir – wenn wir dann aufwachen – einfach in jene Welt zurückkehren, die wir vor der großen Müdigkeit verlassen haben? Das wäre zu schön, um wahr zu sein!
Wer schläft, verpennt den Wandel
Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. 2025 werden grundlegende Weichen gestellt – und wer diese Weichenstellung verpennt, wird in einer Wirklichkeit aufwachen, die wesentlich schlimmer sein könnte als der aktuelle status quo.
Gerade in ökonomischen und politischen Krisen wächst die Erwartung an die Kunst, der Beruhigung statt der Aufwiegelung zu dienen, der Zerstreuung statt der Sammlung. Während da draußen Kriege toben, sind auf der Bühne weniger Provokation und Radikalität gefragt als Schönheit und Form. Und das hat erhebliche Folgen für einen Kulturbetrieb, der ja selber gerade in der Krise (oder zumindest in einem erheblichen Wandel) steckt.
Die aktuellen Kultur-Baustellen sind so groß, dass sie nicht auf morgen warten können. Wie dringlich der Kampf ist, hat Joe Chialos Kultur-Kahlschlag in Berlin 2024 gezeigt. Ohne Rücksicht auf Zukunfts-Visionen wurde hier blindlings Kultur abgeholzt. Aus anderen Städten und Gemeinden hört man bereits ebenfalls radikale Spar-Überlegungen. Und auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden die Etats 2025 wohl kleiner werden. Das hat nicht nur Einfluss auf die Symphonieorchester und die Kulturfestivals der Sender, sondern auch auf den Kulturjournalismus und die kulturelle Unterhaltung.
Grundsätzlich ist es nicht schwer zu prophezeien, dass alte Privilegien wie sie einige Orchester oder Ensembles noch immer pflegen, 2025 auf den Prüfstand gestellt werden. Es ist wichtig, ihren Wandel mit eigenen, kreativen Beispielen selber zu definieren, statt ihn passiv aus der Hand zu geben.
Viele Institutionen werden 2025 um ihre pure Existenz kämpfen. Immer größer wird der Druck, dass sie ihre Nähe zum Publikum unter Beweis stellen. Dass sie rentabler werden oder Bildungsaufgaben übernehmen, die Schulen schon lange nicht mehr abdecken. Bei all den Anforderungen bleibt nur wenig Atem, um strukturell und visionär zu denken. Widerstand scheint auf den ersten Blick zwecklos.
Keine Abstriche bei Inhalt und Qualität
Das Schlimmste aber ist, dass die intellektuelle Dimension der Kultur in diesen Tagen auf der Strecke bleibt. Dass die Debatte um die eigentlichen Inhalte im aktuellen Legitimations-Diskurs immer unwichtiger werden. Die Vereinbarung, dass wir als Gesellschaft Geld für kreative Freiräume ausgeben, in denen auch das Scheitern zum Alltag gehören muss, wird durch eine neue Erwartung an die Kultur ersetzt, dass auch sie ihre Existenz andauernd legitimieren muss – am liebsten durch Zahlen und eine Anbiederung an an die Masse.
Dabei scheint es für viele Kulturschaffende immer schwerer geworden zu sein, mit der eigenen Stimme durchzudringen: Die Proteste gegen die Sparmaßnahmen in Berlin waren breit angelegt, stießen aber nur auf wenig Unterstützung und verpufften am Ende zum großen Teil. Letztlich wurde im kleinen Bereich der Kultur prozentual mehr eingespart als in anderen, wesentlich größeren Ressorts. Die Hilferufe der Kulturschaffenden dringen nicht mehr durch.
Kein Wunder, dass sich bei vielen Resignation breit macht. Nach der Corona-Krise erleben viele Künstlerinnen und Künstler nun zum zweiten Mal, dass sie nicht als systemrelevant angesehen werden. Während Politiker aller Parteien um jeden Arbeitsplatz bei VW ringen, wird die Kultur mehr oder weniger leise an den Rand gespart. Und das, obwohl die Autobauer mit einem ähnlichen Grundfehler zu tun haben wie die Kulturschaffenden: Sie haben die Notwendigkeit für Wandel zu spät erkannt.
Eine Sprache finden
Den Kulturschaffenden scheint derzeit die Sprache zu fehlen, ihre Existenz zu legitimieren. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, wach zu bleiben, sich nicht zurückzuziehen, sich aber auch nicht anzubiedern, sondern die Kraft darauf zu verwenden, selbst ein Teil optimistischer Inspiration zu sein. Begonnene Prozesse der Transformation müssen fortgesetzt werden, der Wandel des eigenen Systems darf nicht in fremde Hände gegeben werden. Das A und O müssen Inhalt und Qualität bleiben.
Aber gerade in Zeiten, in denen Kultur unter Druck steht, müssen wir uns auch mit dem auseinandersetzen, was schief läuft. Wir müssen Missstände benennen, inakzeptables Verhalten sichtbar machen und den Diskurs um unsere Institutionen so führen, dass ihre Glaubwürdigkeit garantiert ist. Es wäre gerade in diesen Zeiten fatal, die Augen vor Machtmissbrauch zu verschließen, vor Verschwendung oder unmoralischem Führungs-Verhalten.
2025 wird ein Jahr des Umbruchs, und viele liebgewonnene Selbstverständlichkeiten werden auf den Prüfstand gestellt. Vielleicht helfen einige Vorsätze, um das neue Jahr zu einem guten Jahr zu machen:
- OPTIMISMUS UND BESINNUNG AUF DIE KUNST. Es muss darum gehen, eine neue Form der Aufmerksamkeit für die Kultur zu entwickeln. Die alten Rituale der andauernden Empörung greifen ebenso wenig wie das laute Lamento über Einschnitte im Kulturbereich. Kultur muss gerade jetzt alle Anstrengungen unternehmen, inspirierend zu wirken, den Raum des Innehaltens zu behaupten und einen Ort zu etablieren, den es andernorts in Zeiten des Wandels nicht gibt: Einen Raum, der aus der Erfahrung der Vergangenheit Optimismus für die Umbrüche der Zukunft schafft. Kurz gesagt: Weniger Lamento und Beharren auf überkommene Strukturen als den eigenen Wandel als kreatives, kulturelles Vorbild in Szene zu setzen.
- TRANSPARENZ UND SELBSTKRITIK. Gerade in Kulturmedien muss es darum gehen, nicht die alten Rituale zu bedienen und affirmativ zu unterhalten, sondern einen Prozess des Wandels durch öffentliche Debatten zu begleiten: Führungsstrukturen, Betriebsklima, neue, kreative Prozesse und innovative Experimente brauchen Raum und müssen diskutiert werden. Eine mediale Hierarchiegläubigkeit und ein Festhalten am alten System, um das eigene System zu retten, werden nicht zum Ziel führen. Kulturjournalismus muss unabhängig und eigenständig operieren – damit unterstützt er die Kulturinstitutionen mehr als durch blinde Lobhudelei. 2025 muss zum Jahr der Transparenz und der Offenheit werden, und dazu gehört es auch, Liebgewonnenes kompromisslos auf den Prüfstand zu stellen.
- SPAß AN NEUEN WEGEN. In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass ein stures Beharren auf alte Strukturen nicht zielführend ist. Im Gegenteil: Wer das Gestern im Morgen bewahren will, wird um so krachender von der Realität überholt werden. Berlin hat vorgemacht, wie schnell selbst einem funktionierenden System der Garaus gemacht werden kann. Um so wichtiger ist es, den Mut und den Spaß daran zu finden, die eigenen Strukturen neu zu denken: Spareffekte aufzuspüren und gleichzeitig inhaltlich spannende Innovationen zu fördern. Die Opernstiftung in Berlin war so ein Beispiel: Sie hat Geld gespart und Prozesse für alle drei Berliner Opernhäuser effektiver gemacht. 2025 ist das Jahr, in dem wir mehr solcher Lösungen finden müssen. Es ist möglich, den unabdingbaren Spardruck als Anfang eines auch für die Kultur produktiven Umdenkprozesses zu nutzen.
Gerade, wenn von der Kultur erwartet wird, kein Stachel im Fleisch, sondern Balsam auf der empfindlichen Haut einer Gesellschaft zu sein, ist es wichtig, dass Kulturschaffende ihre Stachel um so selbstbewusster ausfahren, um ihre kritische Rolle innerhalb unseres Gemeinwesens zu behaupten. Kultur darf natürlich auch kommerziell sein, aber eine Kulturnation muss sich eben auch Nischen leisten, in denen der Inhalt an sich das Wesentliche ist. Kultur, die wir uns als Bürgerinnen und Bürger in unserem Staat leisten, hat nur dann Sinn, wenn sie auch provoziert, wenn sie ungehorsam ist und die Sehnsucht nach Blümchen-Tapeten nicht kompromisslos bedient.