Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit zwei Diven aus zwei Universen, der Absage an eine Bayreuther Jubiläums-Sause, wahnsinnig teuren Bauprojekten und einer sehr schlecht verkauften Abschiedstournee.
Zwei Diven-Kosmen
Zwei Meldungen haben mich diese Woche zum Schmunzeln gebracht: Anna Netrebko hat Mal wieder ein Instagram-Highlight hingelegt und mit himmelblauem Cinderella-Outfit einen ihrer McDonald’s-Besuche gefeiert! Gleichzeitig hat Angela Gheorghiu dem Magazin People Person in ihrer rumänischen Heimat ein Interview gegeben und noch einmal in einer alten Sache nachgelegt: Sie verteidigte, dass sie in Korea nicht bereit war, eine Zugabe zu singen. »Ich habe in meiner 34-jährigen Karriere zusammen mit all meinen Kollegen ein Prinzip und Respekt für die Oper bewahrt«, betonte sie und nannte prominente Dirigenten wie Georg Solti und Arturo Toscanini, die Zugaben ebenfalls strikt ablehnten, da sie den Fluss einer Aufführung stören. Ebenso legte Gheorghiu noch einmal in ihrem Kleinkrieg gegen Jonas Kaufmann nach, mit dem sie bereits 2016 um eine Zugabe gestritten hatte: Gheorghiu habe Kaufmanns Karriere gefördert und sei nun enttäuscht von ihm. Mir ist klar, dass Angela Gheorghiu nicht leicht ist – jeder kennt ihren Zoff mit Claudio Abbado beim legendären Verdi-Requiem, den er ihr mit den Worten »but she sings like an angel« vergab. Ich muss auf jeden Fall sagen, dass mir dieses altmodische Diven-Gehabe, in der es noch irgendwie um die Musik geht besser gefällt als das weitgehend sinnentleerte Insta-Diventum. Obwohl: Auch ich kenne ziemlich viele McDonald’s neben ziemlich vielen Opern- und Konzerthäusern…
Keine Millionen-Jubiläums-Sause in Bayreuth
Was ist denn da los in Bayreuth? BackstageClassical hat erfahren, dass in einer nicht öffentlichen Abstimmung im Stadtrat eine Millionen-Sause zum 150. Festspiel-Jubiläum 2026 abgesagt wurde. Die Gruppe um Intendant Joosten Ellée von PODIUM Esslingen wollte mit dem Projekt Zurück vom Ring! auch Nicht-Wagnerianer erreichen. Die Kulturstiftung des Bundes war bereits an Bord und wollte das Projekt mit 700.000 Euro fördern. Nun hat die Stadt dem Projekt allerdings den Garaus gemacht: Die Haushaltslage sei zu angespannt. Gegenüber BackstageClassical sagte Ellée: »Wir bedauern sehr, dass der Stadtrat seinen bereits gefassten Beschluss für das Vorhaben widerrufen hat. Das geplante Festival wäre eine künstlerisch spannende Chance mit vielen verschiedenen stilistisch diversen Formaten.« Ist die Absage auch eine Reaktion der Bayreuther Politik auf Claudia Roths andauernde Einmischung in die Ausrichtung der Festspiele? Zuletzt sorgte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien durch Forderungen nach mehr Diversität in Bayreuth für Aufsehen und durch den Vorschlag, auf dem Grünen Hügel doch auch Humperdincks Oper Hänsel und Gretel zu spielen.
Der Norden kann’s!
Wenn es um neues Publikum geht, lohnt zuweilen ein Blick in den Norden: In Skandinavien scheint klassische Musik längst wieder eine Sache für junge Menschen zu sein. Das liegt auch daran, wie selbstverständlich und unverkrampft Musik im Alltag hier verankert ist. Für BackstageClassical berichtet Stephan Knies regelmäßig aus Schweden, Island oder Finnland – diese Woche schreibt er über eine neue Seebühne im norwegischen Røykenvik, wo die Sängerin Eli Kristin Hanssveen die Leute für klassische Musik begeistert.
Blicke in den Norden bei BackstageClassical
- Die NORDLICHT-Kolumnen von Stephan Knies
- Antonia Munding darüber, wie Bergen die Nazi-Vergangenheit in Musik bewältigt
- Die Harpa in Island könnte ein Vorbild auch für andere Konzerthäuser sein
Ach, Justus – lass es!
»Ich habe mich entschlossen, mich mit der Tournee von meiner Familie, meinen Freunden und Fans zu verabschieden«, sagte der 80-jährige Justus Frantz noch vor einigen Wochen und plante eine große Tournee seiner Philharmonie der Nationen. Doch irgendetwas scheint nicht richtig zu laufen: Bei Eventim ist die »Comeback-Tournee« zwar mit 17 Events angekündigt, aber für Städte wie Magdeburg, Bielefeld, Erfurt, Nürnberg oder Lübeck sind Karten »zur Zeit nicht verfügbar«, offiziell abgesagt ist das Konzert in Bad Oldesloe – und die Saalpläne für Salzburg und Berlin sehen – gelinde gesagt – mehr als mau aus (Stand 3.11.2024)! Eine der nächsten Stationen für Frantz wird wohl Dubai sein, dort soll er am 15. November den Dubai Opernball dirigieren – organisiert von Putin-Freund Hans-Joachim Frey. Auf eine BackstageClassical-Anfrage an Plácido Domingo, ob er – wie angekündigt – ebenfalls in diesem russlandnahen Setting auftreten wird, kam keine Antwort.
Teuer, teuer – und noch nicht fertig!
Die Zahlen sind schwindelerregend – und es wird immer schwerer, sie gegenüber der Allgemeinheit zu legitimieren. Kultur-Bauprojekte in Deutschland verschlingen nicht selten mehr als eine Milliarde Euro! Derzeit richten sich die Augen besonders auf vier Standorte (hier haben wir die aktuelle Situation zusammengefasst): In Stuttgart ruft die Sanierung schon jetzt den Bund der Steuerzahler auf den Plan – er befürchtet, dass das Budget um mehrere hunderte Millionen steigen könnte und fordert mehr Transparenz. Schon jetzt scheint klar: Der Wiedereröffnung wird sich mindestens um vier Jahre verzögern – auf 2044. Eine unendliche Geschichte ist der Umbau in Köln: Hier belaufen sich die Kosten inzwischen auf 1,5 Milliarden Euro. Beim Umbau der Komischen Oper Berlin soll indes weiter gespart werden – hoffentlich nicht am falschen Ende, hofft die aktuelle Intendanz. Immerhin: Die Beethovenhalle Bonn liegt nun wohl endlich auf der Zielgeraden: Der letzte Arbeitsschritt der 221,6 Millionen Euro-Sanierung ist für Dezember 2024 geplant, ein Jahr später, am 16. Dezember 2025, soll die Eröffnung gefeiert werden. Jetzt hat GMD Dirk Kaftan mit dem Beethoven Orchester schon Mal ein Baustellen-Konzert geben.
Roth doch nicht nach Barcelona
Nach Veröffentlichung unseres letzten Newsletters hat das Gran Teatre de Liceu in Barcelona erklärt, dass François-Xavier Roth nicht länger als neuer Chefdirigent im Spiel sei. Das hatte zuvor der britische Klassik-Journalist Norman Lebrecht gemeldet. Roth sei anfänglich zwar im Gespräch gewesen, aber das Orchester habe sich gegen ihn entschieden, nachdem die Vorwürfe bekannt wurden, nach denen Roth Musikerinnen und Musiker unerwünschte Text- und Bildnachrichten geschickt hatte. Das dürfte den SWR weiter unter Druck setzen, der trotz der Vorwürfe an Roth festhält. Das Orchester des Senders scheint kommende Saison wieder »ganz normal« mit seinem designierten Chefdirigenten zu planen: Im Mai 2025 soll der Dirigent den 100. Geburtstag von Pierre Boulez im Festspielhaus Baden-Baden dirigieren – gemeinsam mit dem SWR. Und auch im Program der Donaueschinger Muisiktage steht Roth bereits jetzt wieder auf dem Programm.
Personalien der Woche
Das Teatro Morlacchi in Perugia will die Generation Z für klassische Musik begeistern und hat Giacomo Puccinis La Bohème auf eine 90-minütige Kurzfassung zusammengestrichen. Tenor Gianluca Terranova, der die Hauptrolle des Rodolfo spielt, erklärt, dass die Kürzungen notwendig seien, um ein abgelenktes Publikum zu erreichen. Wirklich? +++ Die Linzer Veranstaltungsgesellschaft Liva soll rasch eine interimistische künstlerische Leitung bekommen, nachdem der künstlerische Leiter Dietmar Kerschbaum entlassen und das Dienstverhältnis mit dem kaufmännischen Leiter René Esterbauer einvernehmlich aufgelöst wurde. Eine internationale Ausschreibung beider Funktionen soll noch diese Jahr erfolgen – die Auswahl allerdings erst nach der Bürgermeisterwahl im Januar. +++ Der Südwestrundfunk will die SWR Sommerfestivals in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg künftig nur noch im Wechsel alle zwei Jahre veranstalten – einmal in Stuttgart und dann wieder in Rheinland-Pfalz. Damit reagierte der Sender auf Sparmaßnahmen und Kostensteigerungen im Eventbereich. Das SWR Sommerfestival in Rheinland-Pfalz findet vom 27. bis 29. Juni 2025 in Speyer statt. In Stuttgart wird es dann am Pfingstwochenende vom 22. bis 25. Mai 2026 organisiert.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier? Die Musik-Prominenz bekennt sich zu Kamala Harris – auf jeden Fall ein Großteil der amerikanischen Pop-Legenden: Taylor Swift, Stevie Wonder, Jennifer Lopez, Bruce Springsteen, Beyoncé oder Cher haben sich für die Kandidatin der Demokraten ausgesprochen. Und die Klassik? Spielt im Wahlkampf keine sonderlich große Rolle. Aber immerhin: Die Sopranistin Joyce Di Donato hat Harris nun auch öffentlich unterstützt – in einem Gespräch mit mir hat sie schon vor fünf Jahren ein Lied auf Donald Trump angestimmt – zu sehen hier! Auch der Cellist Yo-Yo Ma trommelt zum einen für Harris, zum anderen dafür, dass Musikerinnen und Musiker vor den Wahllokalen musizieren. Und auch MET-Chefdirigen Yannick Nézet-Séguin trägt Kamala-T-Shirts, obwohl er als Kanadier nicht wahlberechtigt ist. Ob es helfen wird? Wie wichtig es auch für Künstlerinnen und Künstler sein kann, sich politisch zu positionieren haben vor einigen Monaten bereits Lisa Batiashvili und Alondra de la Parra in meinem Podcast deutlich gemacht, als sie über die Situation in Mexiko (an der Grenze zu Trumps USA) und über die Stimmung in Georgien (vor der Wahl) gesprochen haben. Es ging um Musik und Freiheit.
In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann