Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit den desaströsen Folgen der Kulturkürzungen in Berlin, Fragen an die GEMA und einigen Dirigentenwanderungen.
Der Berliner Doppel-Wumms
Wumms! Das hat gesessen. Letzte Woche hatten wir noch Hoffnung, haben uns von Dietmar Schwarz, dem Intendanten der Deutschen Oper, erklären lassen, wie bedrohlich die Sparmaßnahmen im Berliner Kulturhaushalt sein würden. Nun scheint es noch schlimmer zu kommen. Fast 12 statt 10 Prozent muss Berlins Kultur sparen: Kostenloser Museumssonntag – weg! Renovierung der Komischen Oper – weg! Rundfunk Orchester und Chöre gGmbH: Minus 750.000 Euro! Stiftung Oper Berlin: Minus 15 Millionen! Konzerthaus Berlin: Minus 1,8 Millionen! Stiftung Berliner Philharmoniker: Minus 2 Millionen! Egal, wohin man hört: Überall herrscht pure Verzweiflung. Und langsam auch eine bedrückende Erkenntnis: Der Protest der Kulturschaffenden im Vorfeld war laut – aber er hat nichts gebracht. Die Argumente blieben ungehört. Ähnliches haben wir schon bei der Abschaffung von 3sat beobachtet. Hat Berlins Kultursenator Joe Chialo sich mit seiner Streich-Orgie etwa wirklich für höhere Ämter in Berlin beworben (hier ein Update des Joe Chialo-Porträts und seiner politischen Irrwege)? Ist Berlins Kettensägenmassaker die Beweisführung, dass Kulturstreichungen nicht länger verpönt, sondern – im Gegenteil – inzwischen in Wahrheit Populismus sind? Dass Kultur, wie schon in Corona-Zeiten, seine gesellschaftliche Lobby in Krisenzeiten Mal wieder verloren hat?
Die große Ratlosigkeit
Ausführlich habe ich mich diese Woche mit der Co-Intendantin der Komischen Oper, Susanne Moser, unterhalten. Ein Gespräch (auch als Podcast), das ich Ihnen sehr empfehle. Sie rechnet vor, dass der 10 Millionen-Baustopp ihres Hauses am Ende Mehrkosten von 240 Millionen Euro kosten wird und sagt »ich dachte bislang, das die CDU auch eine Partei mit wirtschaftlicher Weitsicht sei.« Außerdem muss sie 9 Prozent Einbußen im Etat hinnehmen und – wie sie bei BackstageClassical erklärt – werden die Tarifsteigerungen auch nicht im alten Maße ausgeglichen. »All diese Zahlen«, sagt Moser, »sind einfach nur absurd.« Was sie besonders ärgert: Der Weiterbau des Hauses an der Behrenstraße wurde ihr vom Regierenden Bürgermeister Kai Wegner persönlich zugesagt – dass der Umbau nun auf Eis gelegt wurde »habe ich aus der Zeitung erfahren.« Und wie geht es nun weiter? »Wir werden uns nicht die Kugel geben«, sagt Moser, »wir werden weiter Gespräche führen. Ich habe noch das Vertrauen, dass wir zu einer guten Lösung kommen werden.« Aber sehr viel Zuversicht liegt in ihrer Stimme nicht.
Geht’s noch, GEMA?
Die GEMA schüttete 2023 Rekordeinnahmen von 1,082 Milliarden Euro an Rechteinhaber aus – aber es gibt auch Kritik. Für BackstageClassical beschreibt der Journalist Thilo Komma-Pöllath den Fall des Pianisten und Arrangeurs Julian Riem. Nach einem Konzert im bayrischen Pöcking, in dem der Künstler auf seine Gage verzichtete, schickte die GEMA dem Veranstalter eine Rechnung in Höhe von 920 Euro. Davon bekam Riem selber nur 65 Euro. Die Gründe sind komplizierte Verteilungsregeln, geringe Punktebewertung für Klassikstücke und kollektive Tantiemen-Ausschüttungen. Die GEMA gefährde den Konzertbetrieb, befürchten einige Künstlerinnen und Künstler, da Veranstalter inzwischen GEMA-pflichtige Werke vermeiden, um Kosten zu sparen – besonders bei zeitgenössischer Musik.
BackstageClassical zum Hören
Guten Morgen … heißt der regelmäßige Podcast von BackstageClassical. Sie können ihn ganz leicht abonnieren, um keine Sendung zu verpassen: Bei Spotify, ApplePodcast oder für alle Player. In der letzten Folge haben wir mit der Co-Intendantin der Komischen Oper, Susanne Moser, gesprochen. Hier weitere Highlights zum Nachhören:
- Die Dirigentin Oksana Lyniv im XXL-Gespräch
- Christine Eichel über ihren Blick auf Clara Schumann
- Die Dirigentin Marie Jacquot über ihre Zukunft beim WDR
Debatte um Bayreuth Baroque
Letzte Woche haben wir über Mitwirkende bei Bayreuth Baroque berichtet, die sich über die Arbeitsbedingungen und den Umgangston von Max Emanuel Cenčić beklagt haben. Der Text hat inzwischen auch international für Aufsehen gesorgt: Die Seiten SlippedDisc und Operawire haben das Thema ebenso aufgenommen wie die Frankenpost und der Bayreuther Kurier. Hier hat Jürgen Lenkeit auch in der Politik nachgefragt – auch weil das Festival mit 340.000 Euro von der Stadt bezuschusst wird. Während die CSU von Bürgermeiter Thomas Ebersberger keinen »Handlungs- oder Moderierungsbedarf« sieht, sind andere Fraktionen kritischer: SPD und Grüne wollen bewusst auf ethische Standards achten. Stefan Schlags von den Grünen sagt: »Was im Markgräflichen Opernhaus passiert, ist in allererster Linie Sache des Freistaats als Besitzer der Immobilie. Es ist ein Unding, dass ein großer Teil der Fördermittel dafür verwendet wird, dessen entgangene Besucherentgelte an Aufführungs- und Probentagen zu ersetzen.«
Blick nach Osten
Der russische Bass Ildar Abdrazakov, bekannt für seine Nähe zum Kreml, wurde nach heftiger Kritik und politischem Druck vom Teatro San Carlo in Neapel aus der Besetzung gestrichen. Der ukrainische Bass Alexander Tsymbalyuk – ebenfalls in der Don Carlo-Produktion disponiert – äußerte öffentliches Unbehagen über die Zusammenarbeit. Recherchen von OPERN NEWS und ein offener Brief des Vereins Liberi, Oltre le Illusioni, verstärkten die Kontroversen. Auch EU-Abgeordnete, darunter Pina Picierno, forderten die Absetzung Abdrazakovs, der zuvor schon Auftritte an der Mailänder Scala und der Bayerischen Staatsoper verloren hatte. Erstaunlich ist die Programmierung beim Verbier Festival, das ja von russischen Geldern unterstützt wurde, und dessen Musikdirektor lange Valery Gergiev war. Nun hat das Festival in der Schweiz Teodor Currentzis eingeladen (u.a. mit dem Pianisten Mikhail Pletnev) – neben ihm auch Künstler, die sich explizit gegen Russlands Krieg gegen die Ukraine ausgesprochen haben, so wie Evgeny Kissin oder Paavo Järvi.
Dirigentenwanderungen
Gleich zwei Taktstock-Personalien bestimmten diese Woche: Philippe Jordan wird 2027 Cristian Măcelaru als Chefdirigent des Orchestre National de France ablösen. Der derzeitige Generaldirektor des französischen Orchesters, Johannes Neubert, hat mit Jordan bereits als Intendant der Wiener Symphoniker zusammengearbeitet. Jordan war bereits Musikdirektor der Opéra de Paris, und ist bis Ende der Saison 2025 noch Musikdirektor der Wiener Staatsoper, wo er im Streit mit Intendant Bogdan Roščić gehen wird. Außerdem wird Markus Poschner Chefdirigent des Utah Symphony. Er wird den amerikanischen Klangkörper, bei dem er 2022 debütierte, zur Spielzeit 2027/28 übernehmen. Aktuell ist er Chefdirigent des Bruckner Orchester Linz und des Orchestra della Svizzera italiana, von dem er ab 2025/26 zum Sinfonieorchester Basel wechselt.
BackstageClassical wandert von X zu Bluesky
Wir hatten an dieser Stelle vor einigen Wochen über die Inkonsequenz des Kultur-Menschen geschrieben (es ging um Donald Trumps Mann bei Steinway). Wir haben beschlossen, Ende des Jahres unseren Account bei Elon Musks Twitter-Nachfolger X nicht länger zu bespielen – stattdessen gibt es ab sofort tägliche Klassik News (auch auf Englisch) bei Bluesky (folgen Sie uns hier). Weiterhin bleibt BackstageClassical natürlich aktiv bei Instagram und Facebook – oder, natürlich, direkt bei www.backstageclassical.com.
Personalien der Woche
Die neue Intendantin der Bregenzer Festspiele, Lilli Paasikivi, hat ihr Programm mit Rund 80 Veranstaltungen vorgestellt: Neben der alten Freischütz-Aufführung auf der Seebühne (hier unsere Kritik) gibt es George Enescus Oper Oedipe in der Regie von Andreas Kriegenburg, auf der Werkstattbühne feiert Emily – No Prisoner Be Premiere, eine Hommage an die Lyrik von Emily Dickinson, vertont von Kevin Puts und interpretiert von Joyce DiDonato. +++ Unruhe bei den Salzburger Festspielen: Immer lauter werden die Gerüchte über einen ernsthaften Krach zwischen Intendant Markus Hinterhäuser und seiner Schauspielchefin Marina Davydova. Man hört, dass sie inzwischen ein Dossier über die unliebsamen Begegnungen mit dem Intendanten angelegt haben soll, ein ähnliches Dossier – so wird gemunkelt – soll auch Festspielpräsidentin Kristina Hammer bereits angelegt haben. Hinterhäusers Personalpolitik, sagen Insider, erinnere sie derweil an Donald Trumps neues Kabinett: Fachkenntnis ist zweitrangig, alles was zählt ist: Loyalität. +++ Jonas Kaufmann wird nicht bei der diesjährigen Saisoneröffnung der Mailänder Scala dabei sein. Er sollte die Partie des Alvaro in Verdis Macht des Schicksals an der Seite von Anna Netrebko singen, hat aber vor Probenbeginn »aus familiären Gründen« abgesagt – für ihn springt der Amerikaner Brian Jagde ein. +++ Bremerhavens Generalmusikdirektor Marc Niemann wird neuer Intendant und Geschäftsführer des Sendesaals Bremen. +++ Beat Fehlmann, der seit 2018 als Intendant die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen leitet, wird das Landesorchester zum Ende der Spielzeit 2024/2025 verlassen. Auf seinen Wunsch und in enger Absprache mit dem Kulturministerium Rheinland-Pfalz wurde sein ursprünglich bis Sommer 2028 laufender Vertrag vorzeitig aufgelöst.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Dafür sorgen – wie immer – Sie, liebe Leserinnen und Leser. Uns hat die breite Debatte über die Zukunft der Kritik in den sozialen Medien gefreut. Hier noch ein Nachklapp: »Als ich vor 20 Jahren von Darmstadt nach Bremen zog, war ich noch drei Seiten Feuilleton aus dem Darmstädter Echo gewohnt«, schreibt etwa Rainer Glaap, »in Bremen habe ich mich dann schnell umgewöhnt, da war’s deutlich weniger bei deutlich mehr Einwohnern und Abonnenten.« Wir bei BackstageClassical machen unbeirrt weiter – und freuen uns, dass Sie uns dabei unterstützen. Wenn Sie nicht nur lesen wollen, was diese Woche passiert ist, dann hören Sie doch, wie ich gemeinsam mit Dorothea Gregor von der Liz Mohn Stiftung in unserem Podcast Alles klar, Klassik? dieses Mal über die Situation in Berlin, ein besonderes Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie und über Lesetipp für den Winter plaudere.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif
Ihr
Axel Brüggemann