Die GEMA soll das geistige Eigentum von Musikern schützen. An der Art und Weise wie sie das tut, entzündet sich Kritik. Warum, das erklärt ein absurdes Beispiel des Pianisten und Arrangeurs Julian Riem.
English summary: The GEMA, tasked with protecting musicians’ copyrights, faces criticism for high fees and unclear revenue distribution. A classical concert highlighted issues: €920.36 was charged, but artist Julian Riem received only €65.91. Small venues and modern composers are disproportionately burdened under GEMA’s opaque system.
Gäbe es sie nicht, man müsste die GEMA erfinden. Gerade im digitalen Heute, wo junge Menschen keinen Sinn mehr darin erkennen können, dass Musik etwas kosten muss. Auf den großen Streamingplattformen wird sie längst kostenlos angeboten, mit dem bloßen Verkauf ihrer Musik können Musiker und Komponisten schon länger nicht mehr leben. Mehr denn je braucht es also eine »Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte«, wie die GEMA mit vollem Namen heißt.
Sie ist eine Autorengesellschaft, die das Urheberrecht von Komponisten, Textdichtern und Musikverlagen durchsetzt, die in der GEMA Mitglied sind. Gut 95.000 sind es derzeit, die von den Tantiemen profitieren, welche die Gesellschaft bei Konzerten, Veranstaltungen aller Art wie Straßenfesten oder Weihnachtsmärkten oder sonstiger kommerzieller Musiknutzung erhebt. Wie gut all das der GEMA gelingt, kann man jedes Jahr im Geschäftsbericht nachlesen. Er listet Jahr für Jahr neue Rekordzahlen auf. So hat die GEMA im vergangenen Jahr 1,082 Milliarden Euro an Rechteinhaber weltweit ausgeschüttet – so viel wie nie zuvor. Statt Standing Ovations aber sind immer mehr Mitglieder ratlos und verärgert über einen »undurchsichtigen Verein«, so der Münchner Pianist und Arrangeur Julian Riem.
Entsetzen bei Veranstalter und Künstler
Stein des Anstoßes ist ein Klassikkonzert vom November 2022 in Pöcking am Starnberger See. 200 Besucher kamen in das BecCult Bürgerhaus, zahlten 35 Euro Eintritt, Einnahmen insgesamt 5.325 Euro. Für den Abend hatte Julian Riem drei Werke von Mendelssohn, Ravel und Tschaikowsky arrangiert, die der Veranstalter, der Kunst- und Museumsverein Starnberger See e.V. (KMV) an die GEMA gemeldet hat. Weil Riem im Beirat des Kunstvereins sitzt, trat er an diesem Abend ohne Honorar auf, was die Bedeutung der GEMA-Tantiemen für ihn noch einmal erhöhte. Als die GEMA-Rechnung aus Berlin bei der KMV-Schatzmeisterin Monica van Lutterveld eintraf, war das »Entsetzen« beim Verein wie bei Riem groß. Die GEMA veranschlagte für den Konzertabend eine »Vergütung« in Höhe von 920,36 Euro.
»Ich habe mich erstmal neben den Stuhl gesetzt«, klagt Monica van Lutterveld. »In all den Jahren haben wir nie mehr als 250 Euro für ein Konzert bezahlen müssen. Für einen kleinen Verein wie unseren ist das viel zu viel Geld. Ich bin entsetzt!« Das war auch der Hauptakteur des Abends, Julian Riem, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Riem, einziger GEMA-pflichtige Künstler des Abends, sah davon exakt 65,91 Euro. Nach Abzug der Umsatzsteuer waren das gerade einmal 13 %. Was aber geschah mit dem Rest?
Instransparente Verteilung
Der GEMA-Verteilungsplan ist ein intransparentes Rechnungsgebilde, das bei vielen Mitgliedern schon länger in der Kritik steht. Vor allem auch deshalb, weil er den kreativen Input der Musik- oder Textdichter mit einer komplizierten Punktevergabe bemisst, die sich nicht selbst erschließt und die GEMA selbst offenbar kein Interesse hat den Verteilungsplan zu erklären. Für »Aufführungen der ernsten Musik«, so viel ist eindeutig, spielen Saalgröße und Ticketpreise eine zentrale Rolle. Sind Konzertveranstalter Mitglieder bei Veranstalterverbänden wie BDKV oder Livekomm gibt es einen Nachlass von 20 Prozent. Das aber rechnet sich für kleine Veranstalter wie dem KMV mit wenigen Konzerten pro Jahr oft nicht. Wie der konkrete Verteilungsplan aussieht und wie er justiert wird, das wird in der jährlichen Mitgliederversammlung bestimmt.
Stimmberechtigt sind die rund 5.000 ordentlichen Mitglieder, die fünf Jahre hintereinander mindestens 30.000 Euro Tantiemen bezogen haben. Die überwältigende Mehrheit der knapp 90.000 außerordentlichen Mitglieder können lediglich über 64 wahlberechtigte Delegierte Einfluss auf den Verteilungsplan nehmen. Die Unwucht besteht also darin, dass im Gegensatz zu Julian Riem ein Ralph Siegel selbst darüber entscheidet, wie ein Ralph Siegel an seine Tantiemen kommt.
Der Klassik-Arrangeur ist der Dumme
Kaum einer hat sich mit der GEMA so intensiv beschäftigt wie der Leipziger Musiker Markus Rennhack, seit knapp zehn Jahren Delegierter der Komponistensparte bei der GEMA. Rennhack sagt, dass die Abrechnung für das Konzert in Pöcking auf der Basis des aktuellen Verteilungsplans »korrekt« sei. Dass bei Riem kaum etwas ankomme, habe vor allem damit zu tun, dass im Bereich E-Musik die Werknutzungsgenauigkeit im Vordergrund stehe, so Rennhack. Jedes Werk, ob Klavierstück, Streichquartett oder Orchesterwerk, wird je nach Länge und Zahl der beteiligten Musiker mit einem eigenen Verrechnungsschlüssel bewertet.
Die drei von Riem bearbeiteten Stücke in kleiner Besetzung bringen dann kaum Punkte. Hinzu kommt, dass ihm als Bearbeiter nur 40% der Tantiemen zustehen, die restlichen 60% für die Originalautoren Mendelssohn, Ravel und Tschaikowsky gehen in den großen Ausschüttungstopf für alle. Die Feinjustierung zwischen Werknutzung und Inkassogenauigkeit (die GEMA zahlt pro Werk soviel aus wie sie einnimmt) sei ein Dauerthema, so Rennhack, das spätestens bei der nächsten Mitgliederversammlung im Mai 2025 wieder heiß diskutiert werden dürfte.
Da sich die GEMA im vorliegenden Fall also an die eigenen Regeln hält, überrascht dann doch, mit welcher Penetranz sie ihren schlechten Ruf verteidigt. Dem Autor liegt der Mailwechsel zwischen Julian Riem und dem GEMA-Mitgliederservice vor, in dem Riem um Aufklärung über die Verwendung der Tantiemen aus dem Konzert im November 2022 bittet. Einmal heißt es: „Die Lizenzgebühren, die bezahlt werden und nicht unmittelbar an Sie ausgeschüttet werden, sind keineswegs nur Verwaltungskosten. Ganz im Gegenteil: die GEMA darf als wirtschaftlicher Verein keine Einnahmen behalten, sondern lediglich die Kosten abziehen, die sie für ihre Dienstleistung benötigt.
Alles darüber hinaus kommt allen Urhebern zu Gute, die auch eine Verteilung erhalten. Das ermöglicht die Kollektivverteilung.“ Wie und warum der Großteil der Tantiemen nicht an Riem sondern kollektiv verteilt wird bleibt unklar. Auch Monica van Lutterveld wollte wissen, warum Sie etwa 2018 für ein Konzert der unterhaltenden Musik gerade mal ein Viertel davon bezahlen musste. „Die haben mir gar nix erklärt“, sagt sie. Als der Autor die GEMA-Pressestelle mit ganz konkreten Fragen zu dem Konzert in Pöcking konfrontiert, etwa wie die 920,36 Euro genau verteilt wurden, wird mit Verweis auf den Datenschutz keine einzige Frage beantwortet. Dabei hatten sowohl Julian Riem als auch Monica van Lutterveld Erklärungen abgegeben, dass der Autor in Ihrem Namen Nachforschungen anstellen dürfe. Als Riem gegenüber der GEMA noch einmal darauf besteht, die Journalisten-Fragen doch bitte zu beantworten, herrscht plötzlich Funkstille – bis heute.
Die GEMA wird Konzertveranstaltern zu teuer
Hört man sich bei Künstlern, Agenturen, Konzertveranstaltern im Raum München um, dann bekommt man nicht den Eindruck als wäre die GEMA die Retterin der klassischen Musik, sondern ein Ärgernis und eine Gefahr für den bestehenden Konzertbetrieb. »Bei privaten Konzertveranstaltern wird seit Jahren der Wunsch geäußert auf GEMA-pflichtige Werke zu verzichten, um Kosten zu vermeiden«, erklärt eine namhafte Künstleragentur, die ungenannt bleiben will. Da die populären Kassenschlager der Klassik wie Beethoven, Mozart oder Wagner längst gemeinfrei sind, trifft es dann vor allem die zeitgenössische klassische Musik, die es eh schon schwer hat ein Publikum zu finden.
In der Münchner Klassikszene soll getuschelt werden, dass der Konzertimpresario Andreas Schessl von MünchenMusik überhaupt keine GEMA-pflichtigen Werke mehr akzeptieren würde – aber so weit geht es dann doch nicht: In der Konzertsaison 2023/24 standen bei MünchenMusik 161 Konzerte mit Klassik auf dem Programm, diese enthielten 109 GEMA-pflichtige Werke. Und trotzdem: Eine breite Debatte über die Generierung und Verwendung der Einnahmen scheint dringend nötig.
Ergänzung: Nach Erscheinen des Textes erreichte uns eine Mail von MünchenMusik, in der der Veranstalter die GEMA-pflichtigen Werke der letzten Saison aufgelistet hat – die haben wir nachträglich gern in den Text eingefügt.