In Berlin demonstrieren große und kleine Kulturinstitutionen gegen die Sparmaßnahmen – sie äußern ihr Unverständnis über Kultursenator Joe Chialo. Gespräche mit Dietmar Schwarz, Rüdiger Schaper und Andreas Altenhof.
10 Prozent weniger Ausgaben in allen Berliner Kulturbetrieben – so will Kultursenator Joe Chialo die aktuellen Sparmaßnahmen in der Hauptstadt umsetzen. Für die meisten Berliner Kulturinstitutionen ist das nicht darstellbar. In diesem Podcast (hier für Apple oder für alle anderen Player) sprechen der Intendant der Deutschen Oper, Dietmar Schwarz, Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper und Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel darüber, warum der Spar-Kampf in Berlin auch überregional von Bedeutung ist.
Für Dietmar Schwarz sind weitere Einsparungen kaum machbar. »85 Prozent unseres Haushalts sind Festgelder«, erklärt er, »80 Prozent Gehälter, fünf Prozent Fixkosten wie Strom und Heizung. Es bleiben also nur 15 Prozent des Etats, um wirklich Kunst zu machen. Wenn das am Ende nur noch fünf Prozent sind, können wir schlichtweg nicht mehr sechs Premieren auf der großen Bühne stemmen, sondern müssen hier radikal kürzen.« Schwarz äußert dabei auch Kritik an der Rolle von Kultursenator Joe Chialo: »Wenn Herr Chialo jetzt sagen würde: ‚Hey, wir haben gerade scheiß schwierige Zeiten – jetzt, liebe Opernhäuser, kratzt noch einmal den aller letzten Euro raus, den Ihr auskratzen könnt, aber ich verspreche Euch, 2027 werde ich die Notwendigkeiten Eurer Häuser berücksichtigen‘, dann könnte man ja irgendwie Verständnis aufbringen. Aber solche Ansagen kommen dieses Mal nicht. Und das irritiert uns.« Schwarz weiter: »Seit ich in Berlin bin, kenne ich nur Kultursenatoren, die sich bedingungslos hinter die Kultur gestellt haben – darauf mussten wir bei Herr Chialo sehr lange warten.«
Auch Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper kritisiert den Berliner Kultursenator für sein öffentliches Desinteresse. Altenhof erklärt, dass die Neuköllner Oper auf vielfache Weise von spontanen Einsparungen betroffen wäre. Die Verträge für nächstes Jahr seien bereits geschlossen, sagt er, mit den fälligen Strafzahlungen würde sich der Etat des Hauses nicht um 10 Prozent, sondern um 20 Prozent verringern. Man müsste mindestens auf zwei Produktionen verzichten, und auch die so wichtigen Schul-Projekte, der Arbeit mit Flüchtlingen und andere Outreach-Programme streichen. »Joe Chialo ist ja nicht nur Senator für Kultur«, sagt Altenhof, »sondern auch Senator für Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er müsste doch genau für dieses Engagement kämpfen.«
Auch Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel kritisiert Joe Cialo. »Er ist nicht jemand, der sich eindeutig vor die Kultur stellt«, erklärt der Journalist, »seine dürren Worte machen den Kulturschaffenden Angst. Es wäre doch das Mindeste, dass ein Kultursenator sich hinstellt und allen klar macht, das Kultur das Asset der Stadt ist. Aber genau das sagt er nicht. Dabei wäre es wichtig, dass die anderen Parlamentarier genau das vom Senator hören. Und letztlich ist es dieses Gefühl, dass da ein Kultursenator mit einer anderen Agenda unterwegs ist, dass er nicht für die Kulturschaffenden da ist, was viele Kulturschaffende in Berlin verunsichert.«
Kernaussagen von Dietmar Schwarz
Was würden 10 Prozent weniger für die Deutsche Oper bedeuten?
Das würde ganz klar eine Strukturveränderung bedeuten. 85 Prozent unseres Haushalts sind Festgelder, 80 Prozent entfallen auf Gehälter, fünf auf Fixkosten wie Strom oder Heizung. Es bleiben also nur 15 Prozent des Etats, um wirklich Kunst zu machen. Wenn das am Ende nur noch fünf Prozent sind, können wir nicht mehr sechs Premieren auf der großen Bühne stemmen, sondern höchstens vier. Aber genau das wäre fatal, da es ja ein großes Interesse an der Mischung aus Neuem und Repertoire gibt. Nur mit diesen beiden Standbeinen kann die Oper ihre Lebendigkeit bewahren.
Sie kritisieren, dass Sparmaßnahmen in der Kultur den Gesamt-Haushalt kaum retten würden…
Tatsächlich muss Berlin in dieser Runde drei Milliarden Euro sparen. Das ist sehr viel! Drei Milliarden von 40 Milliarden Euro. Man darf dabei aber nicht vergessen: Vor der Pandemie betrug der Haushalt nur 35 Milliarden. Berlin gibt heute also mehr Geld aus als vorher. In der gleichen Zeit haben wir von der Opernstiftung aber nicht mehr Geld bekommen – es wurden lediglich die Tarifsteigerungen ausgeglichen. Auch deshalb warnen wir, dass 10 Prozent Rasenmäher-Einsparungen jetzt nicht funktionieren werden. So würde man das letzte, was in Berlin noch klappt, die Kultur, beschneiden. Ganz abgesehen davon, dass die Kultur ja nicht in der Krise ist. Es gibt ja ein großes Interesse an allen Häusern. Allein wir haben eine Auslastung von 82 Prozent.
Mehr zu Berlin bei BackstageClassical
- Warum Joe Chialo der falsche Mann ist – Hintergundtext
- Meckert nicht so elendig – Kommentar zu den Kultur-Protesten
- Warum Proteste ins Leere laufen – Essay zur Lage
Es scheinen derzeit auch strukturelle Pläne zu fehlen – warum ist das so?
Es hat in Berlin ja schon durchaus strukturelle Maßnahmen gegeben, und die waren damals sehr umstritten. Ich rede von der Opernstiftung. Damals ging es um die Zusammenlegung der Ballette und der Werkstätten. Das stieß auch nicht überall auf Zustimmung, aber die Stiftung wurde von Kultursenator Thomas Flierl trotzdem in Angriff genommen – in erster Linie, um die Existenz der Deutsche Oper zu sichern. Derartige Perspektiven und Konzepte sehe ich in der heutigen Politik nicht. Zur Erinnerung: Damals ging es darum, die Grundlagen der Exzellenz zu garantieren, von denen Senator Chialo auch heute noch so gern spricht. Aber inzwischen sind die Spar-Grenzen einfach erreicht, und weitere Einsparungen ohne Qualitätsverlust sehe ich nicht. Es wäre sicherlich gut, perspektivischer zu denken. Aber dagegen spricht auch das Prinzip der Kulturpolitik, die in Zweijahresfristen denkt und in Legislaturperioden, an deren Ende die Wiederwahl stehen muss.
Welche Tonalität wünschen Sie sich denn von der Politik?
Wenn Herr Chialo jetzt sagen würde: »Hey, wir haben gerade scheiß schwierige Zeiten – jetzt, liebe Opernhäuser, kratzt noch einmal den aller letzten Euro raus, den Ihr auskratzen könnt – aber ich verspreche Euch dafür: 2027 werde ich die Notwendigkeiten Eurer Häuser berücksichtigen«, dann könnte man ja irgendwie Verständnis aufbringen. Aber solche Ansagen kamen dieses Mal nicht. Seit ich in Berlin bin, kenne ich nur Kultursenatoren, die sich bedingungslos hinter die Kultur gestellt haben – darauf mussten wir bei Herr Chialo sehr lange warten.
Das war früher anders?
Als ich mein Amt 2012 angetreten habe, war die Deutsche Oper auch schon unterfinanziert. Aber die Politik war sich darüber wenigstens im Klaren. Klaus Wowereit sagte mir damals: »Ich weiß, dass bei Ihnen zwei Millionen Euro fehlen. Gehen Sie doch Mal in den Golfclub, vielleicht können Sie da ja private Gelder akquirieren.« Ich habe dann zwar nicht Golf gespielt, aber wir haben durchaus gute Gelder aus privater Hand eingesammelt, und auch der Freundeskreis ist inzwischen ein verlässlicher Partner. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: In Deutschland funktioniert das mit privaten Geldern nicht wie in den USA. Auch die Idee, mehr Einnahmen durch höhere Ticketpreise zu generieren, halte ich prinzipiell für nicht tragbar. Unsere Preise sind – verglichen mit München – zwar noch moderat, aber für eine Familie letztlich schon sehr hoch. Dass wir inzwischen mehr Zuschauer haben als vor der Pandemie, hat auch mit der neuen Preisgestaltung und der Theatercard zu tun, die es mehreren Menschen ermöglicht, überhaupt in die Oper zu gehen. Ich finde, dass wir als Kulturinstitutionen letztlich auch den Auftrag haben, für alle Menschen in der Stadt zugänglich zu sein. Und das wären wir durch noch höhere Eintrittspreise nicht.