Absolutismus bei Bayreuth Baroque?

November 18, 2024
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Eine Produktion bei Bayreuth Baroque (Foto: Bayreuth Baroque, Traubenberg)

Ehemalige Mitwirkende beschweren sich über die Arbeitsbedingungen bei Bayreuth Baroque. Sie kritisieren Intendant Max Emanuel Cenčić für sein Verhalten und vermissen klare Beschwerdewege.

English summary: Former participants criticize Bayreuth Baroque’s director, Max Emanuel Cenčić, for abusive behavior and lack of complaint mechanisms. Accusations include insults, physical altercations, and conflicts of interest with his agency. The city of Bayreuth denies responsibility despite funding the festival.

»You are so fucking stupid!« herrscht der Regisseur eine der Sängerinnen an, einen anderen Sänger beschimpft er mit dem griechischen Wort für »A*loch« oder »W*chser«: »Malaka!«. Die anwesenden Bühnenarbeiterinnen und Bühnenarbeiter werden schon Mal mit Pfiffen oder mit Schnalztönen kommandiert. »Die Atmosphäre bei Proben ist oft sehr bedrückend«, erinnert sich einer der Beteiligten gegenüber BackstageClassical

In den letzten Wochen waren insgesamt zehn Menschen bereit, mit uns von ihren Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Festival Bayreuth Baroque und seinem künstlerischen Leiter, dem Countertenor und Regisseur Max Emanuel Cenčić, zu berichten. 

Seit 2020 leitet Cenčić Bayreuth Baroque. Er hat das Festival, das zuvor unter dem Namen Bayreuther Barock von unterschiedlichen Ensembles wie dem Concerto Köln, der Akademie für Alte Musik Berlin oder dem Collegium Cantorum Köln gestaltet wurde, neu erfunden und durchaus erfolgreich als internationales Schaufenster der barocken Oper etabliert – finanziell unterstützt wird er dabei unter anderem von der Stadt Bayreuth. 

Mitwirkende beklagen Produktionsbedingungen

Nun erzählen Mitwirkende gegenüber BackstageClassical von übergriffigen Textnachrichten, Handgreiflichkeiten während der Proben, von herabwürdigenden Äußerungen und von einer unglücklichen Verquickung von Festivalleitung und Künstleragentur. Dabei wollen sie anonym bleiben, haben aber glaubwürdige Dokumente für ihre Kritik vorgelegt. 

Ein Hauptkritikpunkt ist der allgemeine Umgangston, besonders bei den Proben. Auf Anfrage von BackstageClassical erklärt Max Emanuel Cenčić, dass die Berichte »aus dem Zusammenhang gerissen, dramatisiert oder erfunden« seien. »Eine Probenzeit ist generell schwierig für alle Beteiligten«, sagt er. »Man ist sechs Wochen täglich bis zu sechs Stunden im Probenraum und gibt sein Bestes. Niemand ist jeden Tag gleich gut drauf. Dass einem manchmal Wörter ausrutschen oder man im Umgang miteinander nicht die Höflichkeit einhält, die man unter normalen Bedingungen einhalten würde, ist etwas, was nicht nur Regisseur:innen, sondern auch Sänger:innen und Techniker:innen passiert.« In seiner Antwort gibt Cenčić die Vorwürfe an das Team zurück: »Ich habe genauso erlebt, dass Mitarbeiter:innen mir gegenüber beleidigend wurden. Das alles ist menschlich, da wir alle unter großem Druck stehen, für unsere Gäste die beste Aufführung zu schaffen. Es sind Emotionen, die manchmal überkochen. Wichtig ist aber, dass wir danach reden und uns gegenseitig verstehen.«

»Gegenangriffe statt Entschuldigungen«

Genau das scheint aber oft nicht zu passieren. Künstlerinnen und Künstler, die an den Proben beteiligt waren, zeigen sich wenig erstaunt über Cenčićs Antwort: »Gegenangriff statt Entschuldigung«, sagt einer von ihnen gegenüber BackstageClassical, »das ist symptomatisch. Aber im Jahre 2024 ist es eben einfach nicht mehr okay, sich so bei den Proben zu verhalten.« 

Beteiligte an vergangenen Produktionen von Bayreuth Baroque beklagen darüberhinaus, dass es – obwohl es sich um ein von der Stadt Bayreuth mitfinanziertes Festival handelt – keine klaren Beschwerdewege gäbe. »Die Situation ist auch deshalb kompliziert«, sagt einer der Künstler, »da es oft eine Verquickung von Agentur und Intendanz gibt: Viele Sängerinnen und Sänger bei Bayreuth Baroque stehen in der Agentur Parnassus unter Vertrag. Bei Meinungsverschiedenheiten ist es nicht selten, dass Kritik an den Produktionsbedingungen über die Agentur diskutiert werden. Und dort droht dann das Damoklesschwert, aus der Agentur geworfen zu werden.« 

Keine geeigneten Beschwerdewege

Tatsächlich wird Parnassus Arts Production in Wien von Georg Lang betrieben. Er ist Manager und Eigentümer – und gleichzeitig auch künstlerischer Betriebsdirektor von Bayreuth Baroque. Max Emanuel Cenčić wird auf der Homepage als »künstlerischer Leiter« im Agentur-Team genannt. Und BackstageClassical liegen Schriftwechsel vor, in denen Beschwerden über die Produktionsbedingungen von Bayreuth Baroque über die Agentur abgewickelt werden, und in denen Agentur-Leiter Lang das Verhalten seines Regisseurs verteidigt. Parnassus Arts Production fungiert als eine Art KBB von Bayreuth Baroque.

Cenčić sagt dazu: »Ich selbst bin nicht als Agent oder Manager von Sänger:innen tätig. Künstlerischer Diskurs und Kritik in den Proben sind zentral für das Entstehen einer guten Aufführung. Eine solche Kritik in den Proben führt aber nicht zum Ausschluss aus der Agentur.« Doch es gibt durchaus einen Fall, in dem sich die Agentur von einem Künstler getrennt hat, der an der Produktionen von Bayreuth Baroque beteiligt war und der die Produktionsprozesse kritisiert hatte. 

Die Stadt fühlt sich nicht verantwortlich

Einen offiziellen Code of Conduct für den Fall von Beschwerden, wie er besonders bei staatlich geförderten Kulturveranstaltungen existieren sollte, ist den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern nicht bekannt. All das scheint die Stadt Bayreuth nicht wirklich zu stören. Oberbürgermeister Thomas Ebersberger lässt BackstageClassical wissen: »Die Stadt Bayreuth bezuschusst – neben weiteren öffentlichen Zuschussgebern – Bayreuth Baroque, weil wir von der künstlerischen Qualität dieses außergewöhnlichen Festivals überzeugt sind. Bayreuth Baroque hat sich in den vergangenen Jahren einen auch international hervorragenden Ruf erarbeitet. Das Festival stellt einen wichtigen Impuls für das Kulturleben in Bayreuth dar. Dies belegen die Besucherzahlen ebenso wie das überregional positive Medienecho.« Weiter heißt es: »Dass es Kritik einzelner Mitwirkender am Umgangston während der Proben gibt, war der Stadt Bayreuth bislang nicht bekannt. Die Stadt ist Zuschussgeber, nicht Organisator des Festivals. Sollte es zu Unstimmigkeiten oder persönlichem Fehlverhalten im Rahmen der Proben gekommen sein, so wäre dies auf der Ebene der Festivalleitung mit den Betroffenen zu klären.«

Ein Teil jener Künstlerinnen und Künstler, die sich bei BackstageClassical gemeldet haben, ist nicht mehr für Bayreuth Baroque tätig, andere wollen sich öffentlich nicht äußern. Bleibt also die grundsätzliche Frage, wer eigentlich bei Veranstaltungen wie Bayreuth Baroque für das Einhalten fairer Arbeitsbedingungen verantwortlich ist.

Axel Brüggemann

Axel Brüggemann arbeitet als Autor, Regisseur und Moderator. Er war als Kulturredakteur und Textchef bei der Welt am Sonntag tätig und schrieb danach für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Heute veröffentlicht er u.a. im Tagesspiegel, im Freitag, der Jüdischen Allgemeinen oder in der Luzerner Zeitung. Er arbeitet für Radiosender wie den Deutschlandfunk, den WDR oder den HR. Seine Fernsehsendungen und Dokumentationen (für ARD, ZDF, arte oder SKY) wurden für den Grimmepreis nominiert und mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Brüggemann schrieb zahlreiche Bücher u.a. für Bärenreiter, Rowohlt, Beltz & Gelberg oder FAZ Buch.

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