Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
sollen Theater ihre Namen verkaufen? Sind die Klassik-Proteste in Berlin okay? Und was ist eigentlich in Österreich los?
Das Sanifair-Theater Zittau?
Kein Scherz! Das Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau will seinen Namen an Sponsoren verkaufen. Wird das Haus also bald nach einem Schuhfabrikanten oder einem Sanitär-Unternehmen benannt? Für BackstageClassical erklärt und kommentiert Antonia Munding die Debatte und argumentiert: Lieber ein Sponsor statt ein kleineres Ensemble. Ähnlich sieht es auch Görlitz-Intendant Daniel Morgenroth. Ich diskutiere das Thema im aktuellen Podcast von Alles Klar, Klassik? und finde: Sponsoring ist super, wenn es so dezent und stilvoll läuft wie bei der Deutschen Bank oder bei Rolex mit den Berliner und Wiener Philharmonikern. Aber wenn ein Beethoven-Orchester für die Telekom Magenta-Socken anziehen muss, dann kann Sponsoring auch eine Erniedrigung der Kultur werden.
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Berliner Klassik-Prominenz gegen Einsparungen
In einem Protest-Schreiben wenden sich Kirill Petrenko, Joana Mallwitz und Christian Thielemann, ihre Intendantinnen und Intendanten und ein Großteil der Berliner Klassik-Szene gegen eventuelle Sparmaßnahmen im Kulturhaushalt. »Der Kulturhaushalt hat derzeit einen Anteil von 2,1 % am Gesamthaushalt des Landes Berlin«, heißt es in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Kultursenator Joe Chialo, »eine geringe Investition, die einen maximalen Imagegewinn für die Stadt Berlin generiert. Kürzungen in der Kultur – das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Stadt – werden die Ausstrahlung Berlins drastisch mindern.« Auffällig ist, dass sich nicht alle Orchester an dieser Aktion beteiligt haben. Warum? BackstageClassical wird in dieser Woche eine ausführliche Antwort auf diese Frage veröffentlichen.
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AfD goes Russia
Während seine Parteikollegen in Thüringen bei der konstituierenden Sitzung des Landtages die Gerichte auf den Plan riefen, orientiert sich der ehemalige Cellist des Leipziger Streichquartetts und der heutige AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf weiter in Richtung Russland: Gerade wurde er mit dem Titel des Ehrenprofessors der Gnesin Russian Academy of Music ausgezeichnet. Der Rektor, Alexander Sergeevich Ryzhinsky, sagte: »Es ist wirklich eine große Ehre für uns, eine große Freude!« Interessant: auf der Seite des Instituts heißt es »Moosdorf ist der Leiter des deutschen Streichensembles Leipziger Streichquartett.« – Nur: Das ist er schon lange nicht mehr. Aber andere, wirklich große West-Cellisten fahren eben nicht mehr für Operettenorden nach Russland. Zuvor hatte Moosdorf noch ein Konzert im Rahmen des Tschaikowsky-Festivals gegeben. Puhhhh….
Wiener Klassik-Würstel I
Mal im Ernst: Wenn Kirill Serebrennikov inszeniert und Philippe Jordan dirigiert – was erwartet man an so einem Abend an der Staatsoper in Wien? Die beiden Künstler aus der Lewin-Agentur versprechen schon seit einiger Zeit schnell produzierte, szenische Provokationen und musikalische Haudrauf-Interpretationen. Das muss man sich nicht wirklich antun. Aber in Wien ist ein Teil des Publikums wohl gekommen, um seine schlechte Laune abzulassen: Buhkonzert, Zwischenrufe und Tumulte, bis der Dirigent sein Taschentuch auf den Baton legte und symbolisch mit weißer Fahne kapitulierte. Wann spielt in Wien das Spektakel endlich Mal wieder auf der Bühne, Bogdan Roščić?
Lernen wir Menschen denn nichts?
Eigentlich wollte ich mit der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv einfach nur über Musik reden. Und das gelang uns auch ziemlich gut – für eine halbe Stunde. Dann brachen die Emotionen über die Situation in ihrer Heimat, der Ukaine, durch und wir redeten darüber, warum Lyniv auch gegen ihre Landsleute den Komponisten Tschaikowski verteidigt. Und darüber, ob Kunst die Menschen überhaupt klüger macht. Lyniv sagt: »Als Mensch ist es für mich einfach schwer, dass Kriege noch heute zu unserer Zivilisation gehören. Auf der einen Seite entwickeln wir dauernd neue I-Phones oder schnellere Flugzeuge, auf der anderen Seite bewegen wir uns noch immer im Mittelalter, als rohe Kraft und brutale Gewalt die Welt regierten. Das ist doch sehr ernüchternd!« Das ganze Gespräch und der Podcast hier.
Wiener Klassik-Würstel II
Die österreichische Zeitung Kurier will vorerst keine Kritiken aus dem Volkstheater von Kay Voges mehr veröffentlichen. Damit reagiert das Blatt auf eine andauernde Auseinandersetzung des Theaters mit einem seiner Kritiker. In einem ersten Video hatte das Theater mit einem Showdown-Video für die neue Saison geworben und den kritischen Kritiker in Western-Manier mit dem Vorlesen aller Aufführungen gequält (zuvor wurde er als »Ratte« beschimpft und angeschossen). Nun folgte ein zweites Video, das die Zeitung schockierte. In einer Hitler-Kickl-Pesiflage wird der Kurier mit Fäkalien bespritzt: »Der Kurier begrüßt durchaus eine konstruktive Konflikthaltung zwischen Kulturschaffenden und Kritikern«, heißt es, »gerade in Zeiten der ökonomischen Schwächung der Kulturbranche beobachten wir aber mit Sorge, dass Intendanten verschiedenster Wichtigkeit immer sensibler auf Kritik reagieren. Bei diesem gegeneinander Schießen wollen wir nicht mitmachen.« Mit Spannung erwarte man nun »Statements der Fördergeber über den Einsatz ihrer Mittel.« Ach, Leute!
Ich hatte auch Mal einen Clash mit Kay Voges: Es ging 2016 um ein Christian Thielemann-Interview von mir in seiner Freischütz-Inszenierung in Hannover (mehr hier – Bezahlartikel). Wir haben uns damals zum Showdown im Intendanten-Büro getroffen, unsere Wasserpistolen mit Worten gefüllt und abgedrückt. Ich habe Voges als lustvoll streitenden Künstler erlebt, der mit meiner Kritik kreativ umgegangen ist und am Ende in der Inszenierung selber einen Gag aus dem Konflikt gemacht hat. Zu erklären, dass man als Zeitung nicht mehr berichtet, ist die falscheste Reaktion – hier wird die Eskalation selbst zur Inszenierung. Es wirkt ein bisschen, als wolle ein Blatt in der Krise sich auf Kosten der Kunst in seiner Opferrolle profilieren.
Personalien der Woche
Die Stadt Leipzig und Opernintendant Tobias Wolff trennen sich einvernehmlich nach nur einer Amtszeit. Aber Leipzig hat noch ein ganz anderes Problem: Warum stockt es eigentlich mit der Vertragsverlängerung von Andris Nelsons beim Gewandhaus Orchester. +++ Die Matthäus-Passion mit Simon Rattle und dem BRSO begann mit »Wir setzen uns mit Tränen nieder« – Chor und Orchester hatten in gelben Westen die Bühne betreten. Eine Protest-Aktion und der Ruf nach höherem Gehalt. +++ Was, bitteschön war denn das, liebe Deutsche Grammophon? Okay, dumm das Semyon Bychkov nicht gemeinsam mit Daniil Trifonov auftreten konnte – aber musstet Ihr ihn für Euren Stage+Stream wirklich mir Charles Dutoit ersetzen? Mi dem Dirigenten, der in Boston, Cleveland und New York rausgeflogen ist – wegen zahlreicher Übergriffe in vielen, vielen Jahren? Gab es da keine bessere Wahl? +++
Apropos: Meine Freunde im SWR-Orchester scheinen auch nicht zur Ruhe zu kommen. In einer außerordentlichen Orchesterversammlung im Funkstudio Berg ging es letzte Woche erneut hoch her: Der Orchestervorstand wurde kritisiert, und immer klarer formieren sich wohl die Fronten zwischen altem Freiburg-Block und der Stuttgart-Fraktion. Offensichtlich sind auch erneute Gespräche auf »höherer Ebene« zu François- Xavier Roth geplant. Orchester Gesamtleiterin Sabrina Haane und Programmdirektorin Anke Mai wollen wohl weiter am Dirigenten festhalten, wohl auch aus finanziellen und juristischen Zwängen. Diese Woche finden die ersten Workshops zum Thema Roth statt.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! Die Tarifverhandlungen zwischen Bühnenverein und Gewerkschaften scheinen produktiv voranzugehen. Der Bühnenverein hat – vorbildlich transparent – gerade ein Papier veröffentlicht, mit dem es in die Verhandlungen gegangen ist. Daraus ist zu ersehen, dass besonders die Arbeitszeiten neu geregelt und familienfreundlicher gestaltet werden sollen. Über die konkreten Punkte unterhalte ich mich in der aktuellen Folge von Alles klar, Klassik? mit Dorothea Gregor von der Liz Mohn Stiftung.
Ach ja, und noch etwas Positives: Ich hatte am Wochenende Wigald Boning zu Gast in meinem Talk-Format »Playlist« bei den Bremer Philharmonikern: Chefdirigent Marko Letonja dirigierte dabei eine Orchester-Klassik-Version von »Mief« – für gute Laune unbedingt hörenswert!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr
Axel Brüggemann