Berlins Klassik-Institutionen vereinen sich gegen weitere Kultur-Sparmaßnahmen in der Hauptstadt. Auch der Bühnenverein schreibt an Bürgermeister Wegner und Senator Chialo.
In einem gemeinsamen Statement erklärten die Berliner Opern- und Konzerthäuser, die Orchester und Chöre sowie das Staatsballett, dass sie die Berliner Politik auffordern, die geplanten Einsparziele im Haushalt nicht auf den Kulturbereich anzuwenden. Zuvor hatte der Bühnenverein in einem Protestschreiben (siehe unten) bereits erklärt, dass die Vorgaben bei den institutionell geförderten Opern-, Konzert- und Theaterhäusern dazu führen würden, dass der Spielbetrieb »weitestgehend« ausgesetzt werden müsse: Wegen der Fixkosten für Personal und Gebäudeunterhaltung bestehe dort »der einzige budgetäre Spielraum im künstlerischen Programm«.
Die Opern- und Konzerthäuser schrieben nun: »Der Kulturhaushalt hat derzeit einen Anteil von 2,1 % am Gesamthaushalt des Landes Berlin – eine geringe Investition, die einen maximalen Imagegewinn für die Stadt Berlin generiert. Kürzungen in der Kultur – das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Stadt – werden die Ausstrahlung Berlins drastisch mindern. Es kann nicht im Sinne der politisch Verantwortlichen sein, die Lebensqualität der Metropole Berlin durch signifikante Kürzungen im Kulturbereich zu senken.
Zudem ist die Kultur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: als Arbeitgeber in der Kreativbranche ebenso wie im Tourismus. Mehr als die Hälfte der Berlin-Gäste kommen nachweislich wegen des attraktiven Kunst- und Kulturangebots in die Stadt. Kürzungen in der Kultur würden dieses Angebot stark beschneiden und damit zu massiven Einnahmeausfällen für die gesamte Stadt Berlin führen.
Kürzungen würden zudem eine existenzielle Bedrohung für viele unabhängige Künstler*innen, Gruppen und Bühnen darstellen, die das kulturelle Leben dieser Stadt bislang in weltweit einzigartiger Weise mitprägen und ohne deren Mitwirken größere Produktionen in den Konzert- und Opernhäusern nicht realisiert werden können. Die Kulturschaffenden in dieser Stadt stehen solidarisch zusammen, um Kürzungen für den Kultursektor insgesamt entschieden abzuwenden, und wollen nicht in einen Verteilungskampf gezwungen werden.«
Joana Mallwitz, Chefdirigentin und künstlerische Leiterin des Konzerthausorchesters: »Uns allen sollte inzwischen klar sein, dass wir die Mitte unserer Gesellschaft und ihren Zusammenhalt stärken müssen und dass wir unsere kulturelle Identität positiv besetzen müssen. Unser Ziel muss es daher sein, den Zugang zu Musik und Kultur noch niedrigschwelliger gestalten zu können. Der Schaden, der durch Kürzungen im Kulturbudget entstehen würde, wäre immens und würde nicht nur uns als Kulturbetrieb empfindlich treffen, sondern den Zusammenhalt unserer gesamten Gesellschaft gefährden.«
Kirill Petrenko, Chefdirigent und Künstlerischer Leiter der Berliner Philharmoniker: »Wenn man die so wichtige kulturelle Vielfalt Berlins erhalten will und weiterhin die Besten ihres Fachs aus allen Bereichen anziehen möchte, darf man nicht an den finanziellen Grundlagen rütteln oder sie insgesamt in Frage stellen.«
Christian Thielemann, Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden: »Die klassische Musikszene Berlins sucht ihresgleichen und ist von weltweiter Ausstrahlung. Neben den Konzerten vor Ort tragen wir alle mit unseren Tourneen und medialen Übertragungen dazu bei, dass Berlin ein Synonym für kulturelle Exzellenz ist. Wollen die politisch Verantwortlichen wirklich zulassen, dass ausgerechnet aus Berlin ein solch fatales Zeichen in den Rest des Landes gesandt wird?«
Gemeinsames Statement der Intendant*innen: »Kultur ist das Herz von Berlin – sie zieht Menschen aus aller Welt an, ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, schafft Arbeitsplätze und macht unsere Stadt lebenswert. Die Kulturinstitutionen unserer Stadt sind nicht nur Orte der Kunst mit internationaler Strahlkraft, sondern dringend notwendig, um den Wirtschaftsstandort Berlin zu erhalten. Klar ist: Kürzungen im Kulturbereich würden der Stadt Berlin langfristig massiv schaden.«
Philip Bröking, Intendant und Operndirektor, Komische Oper Berlin
Susanne Moser, Intendantin und Geschäftsführende Direktorin, Komische Oper Berlin
Sebastian Nordmann, Intendant, Konzerthaus Berlin
Anselm Rose, Geschäftsführer ROC Berlin – Rundfunk Orchester und Chöre GmbH
Dietmar Schwarz, Intendant, Deutsche Oper Berlin
Elisabeth Sobotka, Intendantin, Staatsoper Unter den Linden
Christian Spuck, Intendant, Staatsballett Berlin
Georg Vierthaler, Generaldirektor, Stiftung Oper in Berlin
Andrea Zietzschmann, Intendantin, Stiftung Berliner Philharmoniker
Quelle: Pressemitteilung
Der offene Brief des Bühnenvereins Berlin:
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wegner, sehr geehrter Herr Senator Evers, sehr geehrter Herr Senator Chialo,
am 19. September 2024 haben Sie den Vertreter*innen aller Kulturbereiche in einer Informationsveranstaltung die Haushaltsnotlage des Landes Berlin und die notwendigen und drastischen Einsparauflagen in 2025 und 2026 auch für den Kulturetat erläutert. Ein Einsparvolumen von 110 bis 150 Millionen Euro oder mehr für 2025 und nochmals eine ähnliche Summe für 2026 stehen im Raum.
Einsparungen in dieser Größenordnung kämen einem Kahlschlag für die Kultur in Berlin gleich:
- Die institutionell geförderten Opern-, Konzert- und Theaterhäuser wären gezwungen, den bereits geplanten und vertraglich verabredeten Produktions- und Spielbetrieb weitestgehend auszudünnen. Denn mit hohen Fixkosten für Personal und Gebäudeunterhaltung besteht der einzige budgetäre Spielraum im künstlerischen Programm. Die Auswirkungen auf das kulturelle Angebot der Stadt wären drastisch – allein die 29 Mitgliedsbetriebe im Bühnenverein erreichen jährlich rund 3 Millionen Besucher*innen.
- Privatrechtlich organisierten Häusern drohte die Insolvenz.
- Kürzungen bei den projektbezogenen Förderungen träfen die vulnerabelsten Bereiche der freien Szene und der Performing Arts, der Literatur, der Bildende Kunst, des Tanzes und der kulturellen Bildung.
- Wichtige Einrichtungen der Freien Szene, der Clubs, der Literatur, der Bildenden Kunst wären wegen ausbleibender Kooperationen von der Schließung bedroht.
- Der „Arbeitsplatz Kultur“ wäre unmittelbar und in großem Umfang von Entlassungen und dem beruflichen Aus Vieler bedroht. Immerhin arbeiten allein 8,2% der Erwerbstätigen in Berlin im Kulturbereich.
- Das kulturelle Angebot wäre ein Bruchteil von dem, was es jetzt ist. Damit verschwänden Räume des sozialen Miteinanders und der Begegnung, des gesellschaftlichen Dialogs, Angebote der kulturellen und politischen Bildung, Orte der Freizeit und des Kulturgenusses.
- Die mit dem Kultursektor verbundene Umwegrentabilität sänke massiv. Wirtschaftszweige wie Hotel- und Gaststättengewerbe, Tourismus, Nahverkehr, Einzelhandel etc. würden empfindliche Einbußen erleiden.
- Die hohe internationale Präsenz der Berliner Kultur über Gastspiele und Kooperationen überall in der Welt bräche weg. Die internationale Kulturszene, die über viele Festivals und Kooperation nach Berlin kommt, bliebe der Stadt fern.
- Die Vielfalt, die Exzellenz, die Kraft, die Innovationsfähigkeit der Kultur in Berlin würde geschwächt oder verschwände. Die internationale Strahlkraft Berlins, die viele in unsere Stadt zieht und die die Stadt als Lebensort so attraktiv macht, würde verblassen.
Die im Raum stehenden Kürzungen sind für die Kultur keine haushaltspolitischen Weichenstellungen für die Zukunft. Mit diesen Plänen würde die Kultur mit voller Wucht gegen die Wand fahren.
Als Verbund der Opern- und Konzerthäuser, der Orchester, der Sprechtheater, der Revue und des Kabaretts in Berlin rufen wir den Senat dazu auf, bei den anstehenden Beratungen zur Konsolidierung des Gesamtlandeshaushalts den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellenwert der Kultur in den Fokus zu nehmen. Das erzielte Einsparvolumen im kleinsten Ressortetat der Stadt steht in einem eklatanten Missverhältnis zu den immensen Schäden, für die man noch in Jahrzehnten einen hohen Preis zahlen wird. Wir appellieren an Sie: Graben Sie der Kultur Berlins nicht das Wasser ab. Berlin lebt von der Kultur. Die Kultur bildet Gesellschaft und schafft Lebensqualität. Sie ist der entscheidende Standortfaktor Berlins. Sie prägt Berlins Image, auch und gerade im Vergleich mit anderen deutschen sowie internationalen Metropolen.
Der Bühnenverein steht solidarisch zusammen mit allen Bereichen der Kultur in Berlin. Wir lassen uns nicht in Verteilungskämpfe treiben. Berlin braucht die Vielfalt der Kultur, Berlin profitiert von den wechselseitigen Impulsen der unterschiedlichen Kulturbereiche. Das macht die Stadt reich und zukunftsfähig. Jeder Euro für die Kultur ist eine Investition, die sich vielfach auszahlt. Ideell, gesellschaftlich und wirtschaftlich.
Die Petition kann hier gezeichnet werden